Der Schmieder und das Pfefferle

Was mich am Golfsport begeistert ist, dass sich die merkwürdigsten Menschen finden und manchmal sogar dicke Freunde werden.

Häufig sind es im Schnupperkurs zusammengewürfelte Leidensgenossen, die sich auch nach der Platzreife treu bleiben, zusammen ihre ersten Erfolge und Niederlagen teilen, um die Fairways in den nächsten Jahren als Dreier oder Vierer stets zur gewohnten Zeit in Länge und Breite zu durchpflügen.
Manchmal sind es nur zwei Spieler, die sich sympathisch sind und im Laufe der Jahre mehr Zeit miteinander zu verbringen, als mit ihren Ehepartnern.

So ist es auch beim Dr. Schmieder und dem ‚Pfefferle‘. Die zwei sind wirklich ein herziges Paar. Aus 300 Metern erkennt man sie selbst bei Gegenlicht an der Silhouette, den spangelangen Hagestolz Schmieder und das nudeldicke Pfefferle.

Der Schmieder und das Pfefferle (wie man sie bei uns nennt) könnten unterschiedlicher nicht sein, Antipoden, das jeweilige Ende einer Wurst.

Pfefferle, der treffend mit ‚noch einen Kopf kleiner als Norbert Blüm‘ beschrieben wird (falls das überhaupt geht), hatte sich als Maurer von der Pieke an hochgearbeitet, sozusagen aus dem Keller hoch in das Penthouse, in dem er heute als reicher Bauunternehmer residiert.
Sein Eintritt in den Golfclub Bauernburg hing damit zusammen, dass er – wie viele andere gierige Hamsterbäckchen der Region – hoffte, unserem Magnaten und einstigen Förderer des Clubs zu begegnen. Pfefferles Traum war, in der benachbarten Kreisstadt mit seinen mittelalterlichen Winkeln und Gassen das erste Hochhaus zu errichten, „so mit Parkhaus, Einkaufcenter und dem ganzen Drum und Dran“, wie er gerne ausführte. Natürlich nicht mit eigenem Geld! Solche riskanten Investments werden in Bau- und Bankenkreisen grundsätzlich via OPM (other peoples money) abgesichert.

Leider verstarb der Herr Magnat bevor ihn Pfefferle in einem Moment der Umnachtung hätte beschwatzen können. Während der Verlust des Förderers den Bauernburger Golfclub ins Elend stürzte, hielt sich Pfefferles Enttäuschung in Grenzen. Da ihn der Anblick von unbebautem Land stets in Erregung versetzt, liebt er das Golfspiel als genüssliche Frischlufttätigkeit – nicht mehr und nicht weniger.

Die brachiale Kraft in Pfefferles Maurer-Armen sorgt dabei für manche Überraschung in Wald und Flur und wenn er Jagdzeit hat und seine Kugel pfeift, springen Mensch und Tier, um hinter dicken Eichen- und Buchenstämmen Schutz zu suchen. Bei aller Streuung ist Pfefferle trotzdem ein Golfer geworden, mit dem man im Matchplay zu rechnen hat, denn er ist, wie alle Bauunternehmer (mit einem Bündel Schwarzgeld in der Tasche) vollkommen nervenfrei.

Selbst bei einer Runde gegen einen Finanzinspektor läge sein Ruhepuls bei 60 Schlägen (wobei Finanzinspektoren natürlich kein Golf spielen). 60 Schläge sind bei Pfefferle auch sonst die Norm. So viele Schläge braucht er auf neun Loch, 120 Schläge auf achtzehn Loch, zumindest auf Plätzen mit breiten Fairways. Auf engen Plätzen kann er diesen Schnitt nicht halten, worüber die kugelförmige Frohnatur jedoch nur lachen kann. Er gibt dann sogar noch einen Witz zum Besten, einen vom Bau, der recht deftig werden kann. Dann lacht das Pfefferle und wenn es ihn so richtig packt, hält er sich den Bauch vor Lachen und alle werden von seinem Lachen angesteckt und lachen mit – manchmal sogar der Dr. Schmieder.

Dr. Schmieder, wie gesagt das andere Ende der Wurst, ist Historiker wie unser Vize Prof. Klausthaler. Es muss erwähnt werden, dass er mit seiner Promotion über den Bau der Pyramiden fast gescheitert wäre, weil er in seiner Inauguraldissertation nach ausgiebiger Recherche aller erreichbaren Forschungsergebnisse die Meinung vertrat, dass keine physikalische Technik, kein Hebel und keine Rolle in der Lage gewesen wäre, Steine dieser Größe in pyramidenförmige Höhen aufzuschichten. Vielmehr schloss er sich der Meinung von Drunvalo Melchizedek und Erich von Däniken an, nach der Außerirische die Pyramiden erbaut haben. Mit dieser Dissertation wäre er voll an die Wand gefahren, wenn ein eiaculatio praecox nicht vorzeitig zur Ehe und der Einsicht geführt hätte, dass es, um sich einen Lehrstuhl zu ergattern, klüger war, den offiziell gängigen Lehrmeinungen zu huldigen.
Insgeheim blieb er natürlich bei seinen Ansichten treu und dann, Jahre später, entdeckte Dr. Schmieder das Golfspiel.
Dass er seine Bälle weder durch Hebelkraft noch durch Rollen an den von ihm gewünschten Punkt befördern konnte, machte das Geheimnis des Golfschwungs für ihn ebenso faszinierend wie das Geheimnis der Pyramiden.
Noch heute glaubt Schmieder fest daran, dass ein Ball durch Gedankenkraft gesteuert werden kann und dass er mit diesem Glauben nicht allein ist, beweisen die viele Golfer, die ihren Bällen laut hinterherrufen, um Fluglänge und Richtung zu korrigieren.
Ansonsten ist Dr. Schmieder ein stiller Feingeist, ein gesitteter Mensch, dem alles Laute, Brachiale und Ordinäre, das den Golfsport allerorts zu überrennen droht, ein Gräuel ist. Feingliedrig, hager und (wie viele Vegetarier) mit zu wenig Nervenfett ausgestattet, stakst er über die Aue und schluckt wie ein Marabu, wenn er seinen Drive verschießt. Dann zittert er wie ein Vogel, der Nässe aus seinem Gefieder schüttelt, dehnt das Gebälk und holt erneut aus, um den 2. Schlag, meist schnurgerade, auf die Bahn zu schicken.

Sein Handicap von 28 hatte sich Dr. Schmieder an jenem glücklichen Tag zusammengekegelt, an dem er erstmals mit dem Pfefferle spielen sollte. Das Schicksal einer grausamen Starterliste hatte ihn in eine Gruppe verbannt, die, wie ihm schien, nur aus Brüllochsen bestand. Nicht zuletzt deshalb konnte er in der Nacht vor dem Turnier keine Ruhe finden. Ob er seine Meldung zurückziehen sollte? War da nicht ein Kratzen im Hals? Sein Rücken schien ihm auch verspannt. Warum war er so verrückt gewesen, sich bei diesem Turnier anzumelden? Hatte er keine Vorlesung vorzubereiten? Andererseits: Sollte er den anderen die Preise wirklich kampflos überlassen? Dr. Schmieder quälte sich bis er schließlich mit sorgenschweren Gedanken einschlief, um am nächsten Tag mit total gerädert aufzuwachen.

Seine Mitspieler waren Ernst Müller, Hans Habicht und der Kugelblitz Pfefferle. Entgegen seiner Befürchtungen waren diese Mitspieler feine Kerle mit solider Etikette-Kenntnis und besonders Pfefferle, vor dessen Lachsalven er sich am meisten gefürchtet hatte, spielte ruhig und besonnen, lobte auch mal und war dankbar, wenn man ihm half, seinen Ball im Nachbartal aufzuspüren.

Die Warterei in der prallen Sonne, besonders an der 7. Bahn, brachte das Gespräch auf die Baukunst der Ägypter. Pfefferle, stolz auf seine proletarische Vergangenheit, meinte, dass es nicht die Pharaonen waren, die die Pyramiden erbaut hätten, sondern die Sklaven. Es kam zu einem Disput. Hans Habicht meinte, kein ungebildeter Slave hätte sich so ein Weltwunderbauwerk ausdenken können. Ernst Müller, ein SPD-Mann, also jemand der in einem Golfclub eigentlich gar nichts zu suchen hat, unterstütze die Pfefferle-Fraktion indem er sagte, dass auch die Architekten Sklaven gewesen wären. Alle wären Sklaven und heute wäre das nicht anders, weder im Journalismus, noch in der IT-Branche, wo er sich gut auskennen würde.

Darauf stürzte sich Hans Habicht auf ihn und fragte den Ernst, ob er das ernst meinen würde. Die neue SPD wäre zwar wie die alte CDU, was legitimieren würde, dass er Golf spielt…aber solche Sprüche über die Sklaverei…da müsse er doch sehr bitten.

Plötzlich trat Dr. Schmieder vor, der bisher geschwiegen hatte und führte aus, dass keine physikalische Technik, kein Hebel und keine Rolle in der Lage gewesen wären, Steine dieser Größe in pyramidenförmige Höhen aufzuschichten. Seine eigenen Forschungen würden die Meinung von Drunvalo Melchizedek und Erich von Däniken bestätigen. Die anderen nickten, Erich von Däniken…von dem hatten sie schon mal gehört. Pfefferle, der bei seinem Marsch durch die Instanzen vom Keller bis zum Penthouse gelernt hatte, dass es zwischen Himmel und Erde viel mehr gibt als die Wissenschaft zu erklären weiß, schaute den hageren Dr. Schmieder bewundernd an und meinte in Richtung Habicht und Müller, dass man von einem Mann wie Dr. Schmieder viel lernen könnte.

Schmieder, dem jegliche Anerkennung seiner Thesen bezüglich außerirdischer Baukunst bislang versagt geblieben war, bedankte sich für das Kompliment und meinte, dass er nichts lieber tun würde als sich mit einem Experten wie dem Pfefferle über die Geschichte der Baukunst auszutauschen.

Das war der Beginn ihrer Freundschaft. Das Grün der 7. Bahn war schließlich frei geworden und weil Dr. Schmieder so glücklich darüber war, einen verständnisvollen Menschen gefunden zu haben, blieb er ganz entspannt und spielte die Runde seines Lebens.

Unser Halfway-House, das Jahre später, als die alte Hütte abgebrannt war, von Pfefferle nach den Vorgaben des Dr. Schmieder neu erbaut wurde, hat selbstverständlich die Form einer Pyramide. Wer sich mit dem Geheimnis der Pyramiden beschäftigt wird schnell erfahren, warum die Wurst- und Käsestullen in unserem Halfway-House länger frisch bleiben als sonst wo und warum müde Spieler nach einer viertel Stunde auf dem Bänkchen in der Pyramide erfrischt und gestählt weiterspielen können.

Das ist, was ich so schön finde, an diesem Spiel. Man trifft die merkwürdigsten Leute und manche werden sogar gute Freunde und bauen Pyramiden.

(c) by Eugen Pletsch

Achtung Golfer!

Wie mein Buch über „Schlägertypen in Wald und Flur“ entstand….

Prolog

Ein Buch zu schreiben ist für mich ein ähnliches Abenteuer wie eine Golfrunde auf einem gänzlich unbekannten Platz. Man kann sich einschwingen, ein Birdie Book studieren oder sich einen Spielplan zurechtlegen, aber wenn es dann losgeht und direkt am ersten Abschlag auf einem Felsen über der Küste plötzlich heftiger Wind aufkommt, dann passieren die merkwürdigsten Dinge und das manchmal über 18 lange Bahnen. Es fasziniert mich immer wieder, wohin mich mein Golfspiel führt, aber noch mehr fasziniert es mich, als Anhänger des spontanen Schreibens, zu erleben, wie ein Text entsteht und sich daraus ein Buch entwickelt – oder sollte ich sagen: verwickelt?

Mein letztes Buch[1] hatte mich weit über meine körperlichen und geistigen Grenzen hinausgeführt, und ich brauchte Jahre, um mich zu regenerieren.

Als schließlich die Lust an einem neuen Buchprojekt in mir zu köcheln begann, versuchte ich mich an einem anarchistischen Golfroman. Es sollte ein dicker, fetter Schmöker werden, schwer genug, um Augen mit Tränen zu füllen, Blumen zu pressen und um offene Balkontüren zu fixieren. Mein Werk sollte auch die dunkle Seite des Golfsports beschreiben. Viele mögen es nicht glauben, aber sogar der Golfsport hat seine Schattenseiten, die von Niveaulosigkeit, Geltungssucht und Habgier bestimmt sind. Deshalb – und weil ich manchmal dem Wahn erliege, die ewigen Werte in ihrer Weisheit und Wahrheit für mich gepachtet zu haben – versuchte ich, dem »königlichen Spiel« in einem gewaltigen Epos zu huldigen, nicht zuletzt, um damit ein Bollwerk gegen den golferischen Stumpfsinn zu errichten.

Irgendwann war mein Werk zu einer stattlichen Rohfassung gereift, was mir jedoch immer noch fehlte, war der erste Satz. Deshalb wurde ich in meiner ohnehin unruhigen Nachtruhe häufig von Alpträumen heimgesucht. Dabei ging es stets um diesen ersten Satz, der mir nicht einfallen wollte. Mein Roman (mittlerweile war es ein Golfer-Drama, das vor Tragik nur so triefte) würde Herzen schmelzen und Tränen vom Himmel fallen lassen – aber nur, wenn der erste Satz perfekt wäre. Was tun?

Ich musste das Problem in aller Ruhe durchdenken, und denken kann ich am besten auf einer Golfrunde. Weil das Thema so gewaltig war und es so viel Stoff zum Nachdenken gab, spielte ich den ganzen Sommer lang jeden Tag Golf. Dadurch kam ich leider nicht zum Schreiben, während meine Träume immer bedrohlicher wurden.

Der Volkshochschulkurs

Könnte der erste Satz lauten »Der Golfer ist ein seltsam Ding, ­wovon ich euch ein Liedlein sing.«? Nein, lieber nicht. Auch Kursleiter Benno Breme war von der Idee entsetzt, während er sich an meinem verängstigten Hasenblick weidete. Noch einmal stellte er mir die Frage, die mich seit Monaten quälte: »Wie lautet der erste Satz in deinem nächsten Buch?«

Ich starrte ihn an und schluckte. Woher sollte ich das wissen? Deshalb war ich doch in seinem Kurs! Mit meinem Golferlatein war ich am Ende. Die anderen Teilnehmer des Kurses »Kreatives Schreiben« im Raum IV der Volkshochschule schauten mich desinteressiert an.

»Mein erster Satz, äh …« Ich stotterte.

»Golfer … äh … sind liebenswerte Menschen. Zumindest die meisten.«

»Und so was nimmt dir dein Verlag ab?«

Benno Breme (in der Autorenszene BeeBee genannt) schmatzte verächtlich. Er hatte gelbe Zähne vom Rotwein und Schwarzer-Krauser-Rauchen und einen dicken Schnauzer, in dem meist ein Popel hing. Noch ein mitleidiger Blick in meine Richtung, dann donnerte er los: »Leute! Der erste Satz ist entscheidend! Der muss wie ein Faustschlag sitzen!«

Er musste es ja wissen: Der Bukowski-Jünger BeeBee hatte in den 90er-Jahren einige Schmuddelgedichte in Underground-Magazinen veröffentlicht. Da ihm die breite Anerkennung versagt blieb, hatte er sich sein Nest in der Schublade »Verkannte Dichtergenies« gepolstert und pflegte sein Image als einstiger Zeilenstürmer. Was er weniger genoss, war seine Volkshochschulklientel: Smartphone-Fuzzies der Generation Twitter, die lernen wollten, wie man geile Marketingtexte verfasst, um »irgendeinen Konsumscheiß via Internet zu verhökern« (Zitat: BeeBee), sowie „Haus­frauen, die davon träumten, als Harry-Potter-Milliardärinnen in die Literaturgeschichte einzugehen“.

»Wenn du deinen Leser mit dem ersten Satz am Schlafittchen hast, kann er dir nicht mehr entrinnen! Aber nur dann!«

Eine seltsame Stille krümmte den Raum. Oh bitte, lieber Gott, gib mir endlich den ersten Satz!

Das Bild von BeeBee im Raum IV der Volkshochschule verblasste. Ich erwachte schweißgebadet.

Ein heiteres Buch?

Dann kam der Anruf, den ich seit Wochen befürchtet hatte.

»Und? Wie sieht es aus?« Die Stimme meines Redakteurs klang freundlich.

»Sie meinen draußen? Das Wetter ist sonnig«, murmelte ich.

»Ich spreche von unserer weiteren Zusammenarbeit.«

»Das neue Buch ist in Arbeit. Aber Sie wollten abklären, wie es mit dem Vorschuss aussieht.«

»Die Verlagsleitung hat über Ihre Forderungen nachgedacht.«

»Und?«

»Wie beim letzten Buch: Eine Flasche stilles Wasser, einen Apfel und eine Packung Knäckebrot.«

»Das ist alles?«

»Wir halten es hier mit Schopenhauer, der einst sagte: ›Die vortrefflichsten Werke der großen Männer sind alle aus der Zeit, als sie noch umsonst oder für ein sehr geringes Honorar schreiben mussten.‹«

»Dann aber Dinkelknäckebrot!«

»Hab’s notiert.«

»Irgendwelche Bedingungen?«

»Ja. Es soll ein heiteres Buch werden!«

»Ein was?«

»Ein heiteres Buch.«

Das vermieste mir sofort die Laune. »Das Golfspiel ist nicht immer heiter!«

»Das mag sein. Aber Sie können manchmal richtig fies werden, so dass man meint, Sie wollten Ihren Lesern das Golfspiel vermiesen.«

»Wie bitte? Ich? Ich bin der einzige in der Branche, der diesen Traumtänzern reinen Wein einschenkt, der ihnen schonungslos sagt, was ihnen bevorsteht, wenn sie … ich habe doch täglich mit den Opfern dieses Spiels zu tun. Ich bin doch selbst eins!« Ich hatte die Stimme vielleicht etwas angehoben, aber brüllen klingt anders.

»Ja, ja, schon gut«, wiegelte er ab, vermutlich, weil er befürchtete, dass mein Bluthochdruck zu Umsatzeinbußen führen könnte. »Beruhigen Sie sich. Ich rufe noch mal in ein paar Wochen an. Vielleicht fällt Ihnen bis dahin etwas ein. Aber bis zur nächsten Verlagskonferenz brauche ich ein Konzept.«

»Alles klar«, knurrte ich und legte auf.

Hatte ich unwirsch geklungen? Schließlich war der Vorschuss noch nicht ausbezahlt. Aber es regt mich auf, dass alles immer »lustig« sein muss. Das Leben ist nicht immer lustig und schon gar nicht dieses Spiel. Golf ist eine zwiespältige Angelegenheit. Jeder Golfer weiß das, und natürlich auch jede Golferin. Einerseits erfüllt uns das Spiel mit einer Heiterkeit des Herzens, die ich nicht missen möchte. Aber wenn Schläge misslingen, dann ist die Heiterkeit futsch. Dann kann man sich ärgern, bis man schwarz wird, rot sieht oder blau anläuft. Dem Ärger ist die Farbe egal.

Der Goldesel

Zwei Wochen später. Düdelüt!

Ein schmerzhaftes Nagen an meiner Hirnrinde. Düdelüt!

Mein Telefon! So früh? Nein, es war nicht früh, ich hatte total verpennt.

Ich hob ab und mein Redakteur sprang mir direkt in den Schädel, wodurch sich das Gespräch unauslöschlich in meine Festplatte brannte.

»Habe ich Sie geweckt?«

»Ich sitze seit Stunden am Schreibtisch.«

»Das ist wunderbar«, sagte er, der gerne in neuen Manuskripten stochert, egal ob sie von lustigen Teichmolchen, schwarzen Löchern im Universum, fetten Fischen auf dem Grill oder kiffenden Landschildkröten handeln. Sogar Golfbücher pflegt er in rührender Unkenntnis zu sichten, seit der Verlag nach einem Schnupperkurs der Geschäftsleitung entschied, Golfbücher im Marktsegment Naturkundliche Wanderung zu platzieren.

»Woran arbeiten Sie?«

»Am ersten Satz des neuen Buches.«

»Oh?«

»Ja, der erste Satz ist entscheidend. Man muss seine Leser sofort am Schlafittchen schnappen. Wussten Sie das nicht?«

»Aber Sie haben vorwiegend Leserinnen! Unsere Leserbefragung bestätigt das. Übrigens: Wie sieht es mit Ihrem Konzept aus? Nicht dass ich drängeln möchte, aber wie Sie wissen, rückt die Verlagskonferenz immer näher und die Kollegen fragen sich …«

Die sonst so sanfte Stimme meines Redakteurs hatte einen anderen Farbton angenommen. So klingt er, wenn ich versuche, ihn um einen Vorschuss anzuhauen.

»Ein Konzept? Sie meinen, worum es in dem neuen Buch geht?

»Genau.«

»Es handelt sicher nicht von Einwegschnecken oder kroatischen Kampfbibern. Es wird ein Golfbuch!«

»Tatsächlich? Wie interessant. Nur bräuchte ich das etwas genauer, da wir im Verlagsprogramm auch andere Golfbücher vorbereiten.«

»Meine These: Der Golfsport ist versaut. Es geht nur um Kohle.«

»Also eine Art Schmähschrift, wie Ihre anderen Bücher?«

»In diese Richtung dachte ich, aber ich wollte es diesmal etwas größer anlegen. Ich dachte an einen anarchistischen Golfroman.«

»Einen anarchistischen Golfroman? Hatten Sie nicht schon mal vor Jahren in diese Richtung gedacht?«

»Stimmt. Damals war die Zeit aber noch nicht reif, man hätte mich nicht verstanden. Doch jetzt, wo die Menschheit die größte Bedrohung in ihrer Geschichte erlebt …«

»Sie meinen den Golfsport?«

»Nein, ich meine ALLES! Der Weltuntergang steht bevor. Uralte, schreckliche Geheimnisse werden offenbar. Grauenhafte ­Gestalten der Finsternis kriechen hervor …«

»Gut, dass Sie mich an meinen Banktermin erinnern«, flötete mein Redakteur, der sich durch nichts so schnell aus der Fassung bringen lässt, »aber nun sagen Sie doch mal: Worum geht es in Ihrem Roman?«

»Sie meinen in Kurzfassung? Hm. Ich würde sagen, es geht um den Konflikt zwischen Tradition und Moderne am Beispiel des Golfsports. Sozusagen. Meine These ist: Golf ist Anarchie. Mein Beweis: Wo immer sich Golflehrer einmischen, herrscht danach das reine Chaos. Nein, das war nur ein Spaß.«

Er holte tief Luft. »Jetzt mal im Ernst.«

»Na gut. Es wird ein ziemlicher Schinken werden. Stellen Sie sich vor: Krieg und Frieden, Die Säulen der Erde und Die Bibel in einem Buch. Soll ich etwas aus der Handlung beschreiben?«

»Ich bitte darum.«

»Einerseits geht es um all die Abscheulichkeiten einer verkommenen Welt, aber es geht auch um einen Golfer und seine große Liebe. Der letzte Dialog der beiden Liebenden, wenn er sich von ihr wegen Missachtung einer Golfregel trennt – und dabei war alles nur ein Irrtum –, oh, Jesses, ich muss schon flennen, wenn ich nur daran denke. Vom Winde verweht ist nichts dagegen. Dass so ein monumentales Werk seine Zeit braucht, werden Sie doch verstehen, oder?«

Eine Weile herrschte Stille, dann hörte ich ihn leise wimmern: »Vom Winde verweht?«

»Ja! Mit herrlichen, endlos langen Sätzen und einem Schuss Wahnsinn, fast wie Dantes Inferno.« Einen gewissen Stolz konnte ich mir nicht verkneifen.

Er röchelte. »Dieses Inferno wird niemand kaufen.«

Ich erschrak. »Wie kommen Sie denn darauf?«

»Ganz einfach, weil die Menschen nicht mehr lesen. Wir leben im Twitter-Zeitalter. Mehr als eine SMS kann nicht mehr verarbeitet werden. Lange Geschichten können Sie vergessen.«

»Aber alle meine Bücher bestehen doch aus langen Geschichten!«

»Darüber wollte ich heute mit Ihnen sprechen. Die Leserumfrage besagt: Kaum ein Leser liest Ihre langen Geschichten.«

»Nein? Was dann?« Ich hatte meine Tropfen noch nicht genommen und jetzt flatterte mein Nervenkostüm. Mir wurde schwach. »Meine Leserinnen auch nicht?«

»Die lesen manche Kapitel. Aber gegen seichtes, hochtrabendes Geschwafel sind auch Frauen mittlerweile allergisch. Über doppelbödige Pointen, die den Kopf anstrengen, mag heute niemand mehr nachdenken.«

Heute Morgen würde ich meinen Blutdruck besser nicht messen. »Worauf wollen Sie hinaus?«

»Kein 1000-Seiten-Roman! Wir brauchen kurze Episoden, leicht wie Knäckebrot, die flach unter dem Wind segeln.«

»Was meinen Sie damit? Soll ich irgendwelche niveaulosen ­Sottisen und peinlichen Anekdötchen zu einem Amalgam der Geschmacklosigkeit zusammenrühren, das bei jedem intel­ligenten Menschen Übelkeit verursacht? Schopenhauer sagt dazu …«

»Das leichte Genre ist ein Trend, den wir nicht verschlafen sollten!«, unterbrach mich mein Redakteur.

»Sie meinen, ich soll meine Leser in den Hades grobschlächtiger Satire stürzen? Aber das ist doch überhaupt nicht mein Stil! Außerdem kann ich mich nicht kurz fassen.«

»Dann müssen Sie es lernen. Viele Bücher, die ihre Leser nicht mit Inhalt überfordern, sind Bestseller geworden.«

»Solche Bücher werden Bestseller?«

Es folgte ein Moment der Stille. Der Redakteur am anderen Ende der Leitung schien zu nicken. Im tiefsten Gedärm meines Wesens, da, wo in jedem Künstler die Angst vor der Einsamkeit in Altersarmut wohnt, schrie plötzlich ein hungriger Esel auf, der GOLDESEL: »ÖÖÖnk, ÖÖÖnk, ÖÖÖnk!«

»Vielleicht sollte auch ich diesen schweren Zeiten der Niveaulosigkeit meinen Tribut zollen?«

»Die Verlagsleitung würde das sehr zu schätzen wissen.«

»Und das Thema?«

»Geschichten über Golfer, sozusagen Schlägertypen in Wald und Flur. Auf wen lässt man sich ein, wenn man mit dem Golfen beginnt? Wir möchten den Markt der Neugolfer ansprechen, indem wir ihnen die Menschen vorstellen, die sich bereits für dieses hübsche Hobby entschieden haben. Freundliche, sympathische Gestalten voller Lebensfreude und Humor, die ihre Geschichte erzählen – und wie gesagt, es darf nicht zu anspruchsvoll sein. Meinen Sie, Sie können das?«

»Hübsches Hobby? Freundliche, sympathische Gestalten voller Lebensfreude? Sagen Sie, waren Sie schon mal auf einem Golfplatz?«

»Nein, aber denken Sie über meinen Vorschlag nach.«

»Ich könnte vielleicht etwas über unsere Therapiegruppe schreiben«, überlegte ich laut.

»Gut zu wissen, dass Sie noch in Therapie sind, aber ist das lustig?«

»Ich bin nicht in Therapie, ich bin der Therapeut!«

»Oh! Wie schön. Dann ist es für Ihre Klienten bestimmt lustig.«

»Für die Betroffenen vielleicht weniger, aber für die Leser könnte manche Episode ein Anlass zum Schmunzeln sein.«

»Na, dann haben wir doch etwas gefunden«, sagte mein Redakteur und legte auf.


[1] › Endlich Einstellig! – Golf und die Kunst des Scheiterns

Seniorenclubmeister Dagobert Seicht

Dagobert Seicht, der Mann mit dem tulpenförmigen Oberdeckbiss und dem unglaublichen Gedächtnis taucht in manchen meiner Geschichten auf, z.B. in der Illuminaten-Hommage ‚Die 23‘ (siehe GolfGaga, der Fluch der weißen Kugel).

Von einem breiten weißen Schirm vor der Sonne geschützt, saß der amtierende Seniorenclubmeister Dagobert Seicht in seinem Lehnstuhl aus angeblich nachhaltig erwirtschaftetem Tropenholz.
Dicke Hummeln labten sich an den Blüten des weißen Flieders, der seitlich der Clubhausterrasse wuchs. Der Tag hatte sich trotz der Gewitterwarnung eines geschwätzigen Wetteronkels prächtig entwickelt. Die liebe Sonne lächelte freundlich auf Seicht herab, der mit dämmrigem Blick zwei Spieler beobachtete, die ihre Annäherungsschläge zum Grün mit traumhafter Sicherheit im Teich versenkt hatten. Der amtierende Seniorenclubmeister lächelte, als er daran dachte, wie er dieses gefräßige Wasserloch am Finaltag großräumig umspielt hatte. Sein Spielplan sah ein Doppelbogey vor, was ihm lieber war, eine grässliche 8 zu stümpern, die aus der Gier geboren alle seine Träume zunichte gemacht hätte. Ein Doppelbogey auf der 18 reichte ihm zum Sieg.
Benebelt von warmem Fliederduft glitten Seichts Gedanken zurück zu jenem Tag, als er, sozusagen als Einäugiger unter Blinden, die Seniorenclubmeisterschaft gewann und in euphorischer Stimmung den gläsernen Humpen küsste, den man ihm überreicht hatte. Dass der verkappte Club-Chronist mit dem Überraschung-Schwung die begehrte Trophäe ergattern würde, hatte allgemeines Erstaunen hervorgerufen. Auch Seicht wusste, dass dieser Sieg keinesfalls seinem Spielvermögen zuzuschreiben war, (der Score, mit dem er gewann, war mehr als lausig), sondern vielmehr der Tatsache, dass die besseren Spieler seiner Altersgruppe die reguläre Clubmeisterschaft mitgespielt hatten oder noch in den Ferien weilten. Doch das focht ihn nicht an. Nach der Clubmeisterschaft trug er eine selbstgebastelte Krone aus Goldpappe, bis diese in einem Regenschauer aufweichte. Da ohnehin niemand bereit war, ihn in seiner Königs-Rolle zu hofieren, setze er die nasse Krone ab und beschloss, in aller Stille zu regieren.
Gewöhnlich saß Seicht auf der Clubhausterrasse, träumte vor sich hin und gedachte der guten, alten Zeiten. Wenn sich ein unbedarfter Golf-Rabbit näherte, versuchte Seicht, dem jungen Eleven die gesammelten Weisheiten aus Tausendundeinem Spiel zu erzählen, was jedoch nicht immer auf Interesse stieß.
„Übrigens, hatte ich dir schon erzählt…“
„Ja, Herr Seicht, mehrfach…danke.“.
Dennoch genoss Seicht die Einsamkeit, die er für den natürlichen Aggregatszustand jener Menschen hielt, die Außerordentliches geleistet hatten. Von der hohen Warte der Selbstbetrachtung ging sein Blick zu den Hummeln, die im Flieder ihrer Arbeit nachgingen. Er wartete auf Etbin, der ihm seine Zitronenlimonade bringen würde. Die junge Aushilfe ignorierte er, da sie sich standhaft weigerte, beim Bedienen einen Knicks zu machen, um ihn dann mit Herr Seniorenclubmeister anzusprechen.

Seicht ist ein Mann der Zahlen. Sein unglaubliches Gedächtnis ermöglicht ihm, die Handicaps aller aktiven Spieler im Club aus dem Kopf abzurufen und obwohl der Club die Turnierergebnisse mittlerweile per Computer ermittelte, war Seicht stets auf dem Laufenden. Seine Auswertungen im Kopf galten als schnell und sicher, seine CSA-Vorhersagen hatten eine Trefferquote von 100 %. Seichts Hang zur Mathematik beinhaltete aber auch ein, gelinde gesagt, überspanntes Interesse an der Zahlenmystik der Kabbala und dem Geheimwissen verschworener Bruderschaften, das nicht mehr so ganz geheim war, seit man alle Geheimnisse der Welt im Internet nachlesen konnte. Seichts Hang zu Verschwörungstheorien wurde nur von seinem Interesse an Weltuntergangsszenarien übertroffen.
An meinem Spind in der Umkleidekabine (der zufällig die Nr. 23 trug), hatte ich einen gelben Zettel gefunden.

Heute 15 Uhr. Clubhausterrasse. DS.

Das DS stand offensichtlich für Dagobert Seicht, denn es war von einer stilisierten Pyramide ummalt, über der ein winziges Auge schwebte.
Seicht, dessen Fähigkeit zur obskuren Weltbetrachtungen bereits an anderer Stelle geschildert habe, ist eine jener Gestalten, die einem Golfclub diesen Flair von Einzigartigkeit verleihen können, der nur dann entsteht, wenn sich eine kritische Masse an Spielern von der Weisheit zum Wahnsinn bewegt hat.

Als er mich erblickte, nickte mir Seicht leutselig zu und mit einem schwachen Wedeln der königlichen Rechten wies er auf den Stuhl, der ihm den Blick auf den Flieder und die 18. Bahn frei lassen würde.
„Lange nicht gesehen“.
„Ja, schön mal wieder hier zu sein.“
„Lieber Dagobert, darf Ihnen, wenngleich mit sechs Monaten Verspätung, zur Seniorenclubmeisterschaft gratulieren?“
„Oh, hat man davon gehört. Dabei ist das doch nichts Besonderes“.
Seicht wand sich in dem Versuch bescheiden zu wirken, dabei strahlte er vor Glück und ergriff meine Hand, die ich ihm hingestreckt hatte.
„Ja, das war der größte Moment in meiner Karriere als Golfer,“ platzte es aus ihm hervor. „An 4287 Trainingstagen habe ich mich auf diesen Moment vorbereitet. In 720 Wochen habe ich 2861 Runden gespielt und mein Handicap auf 16,2 reduziert.“
„Donnerwetter!“
„In dieser Zeit habe ich übrigens 861 Bälle verloren, und  917 Bälle gefunden, womit ich auch hier eine positive Bilanz vorzuweisen habe. Alles in allem kann ich sagen, dass der Golfsport gut zu mir war, und ich die verbleibende Zeit genießen werde.“
„Die verbleibende Zeit?“
„Na ja…“. Verdrehte die Augen und schaute verschwörerisch.
„Aber nun mal zu Ihnen. Sie sind hier, um diese GTP-Leute zu unterstützen?“
Seine Hasenschnute zuckte nervös. Janzen, Schunk und diese ganze Truppe vom Golftherapeutischen Pflegedienst waren ihm suspekt.
„Ja, aber auch, um an meinem neuen Buch zu arbeiten.“
„Davon habe ich gehört. Wie interessant! Wann soll es erscheinen?“
„Im Frühjahr 2013.“
„Ob das noch Sinn macht?“
„Wie meinen?“
„Allen alten Überlieferungen und Weissagungen zur Folge wird dieser Planet am 23.12.2012 mindestens einen Polsprung, wenn nicht Ärgeres erleben. Die Welt wird nie mehr sein, wie sie war – wenn es sie dann überhaupt noch gibt.“

„Der Verlag, der meine Werke veröffentlicht, ist ein Traditionshaus, das schon manchen Polsprung überlebt hat. Wären ernstzunehmende Veränderungen von kosmischer Dimension zu erwarten, dann hätte die Abteilung Astronomie für das Herbstprogramm entsprechende Titel angekündigt. Da das nicht der Fall war, gehe ich davon aus, dass sich der Planet auch im Jahr 2013 drehen wird.“

„Die Frage ist nur, in welcher Richtung. Aber gut, wir werden sehen. Worum geht es in Ihrem neuen Buch, oder ist das noch geheim?“
„Nein, Dagobert, das ist kein Geheimnis. Ich will verschiedene Golfer-Typen vorstellen, Menschen, die sich für dieses hübsche Hobby entschieden haben. Freundliche, sympathische Gestalten voller Lebensfreude und Humor, die ihre Geschichte erzählen.“
„Na, das hat uns noch gefehlt“, murmelte Seicht.
Sein Blick streifte die wogenden Formen einer Spielerin auf dem 18. Grün, die ihrer Lebensfreude gerade freien Lauf ließ, nachdem ihr 4. Putt endlich gefallen war. Der amtierende Seniorenclubmeister räusperte sich:
“Das Golfspiel ist ein Strategiespiel, das Ruhe und eine gewisse Intelligenz erfordert. Die geistigen Anforderungen machen Golf zu einem leisen Sport, bei dem man sich sowohl als Spieler als auch als Zuschauer ähnlich verhält, wie auf einem Schach-Turnier oder bei einem Piano-Konzert. Vielleicht könnten Sie Ihren Lesern das bei der Gelegenheit mitteilen?“
Kaum gesagt, erklang ein gellender Schrei. Frau Langer hatte wiedermal versucht, das 269 Meter entfernte Grün vom 18. Abschlag aus anzugreifen. Ihr Ball raste direkt auf die Clubhaus-Terrasse zu, worauf sich einige Gäste unter die Tische warfen.
„Golfer-Typen.. tz tz..“, sinnierte Seicht. „Dazu habe ich eine Theorie.“
Er nickte wohlwollend, als sich Etbin der Kellner mit einem Glas Zitronenlimonade näherte, während Frau Langers 2. Abschlag mit dem Eisen glucksend im Teich verschwand.
„Eine Theorie?“
Seicht nickte.
„Ich bin der Ansicht, dass jeder Golfer einem Archetypus angehört und sein Schwung genetisch vorprogrammiert ist. Wer C.G. Jung richtig interpretiert, kommt zu dem Schluss, dass Golfunterricht dem jeweiligen Archetypus entsprechen sollte und in einer Traumarbeit erfahren werden muss.“
„An welche Archetypen denken Sie da?“
„Nun, äh…“. Seicht schien überrascht zu sein, dass jemand freiwillig bereit war, seiner Archetypen-These Aufmerksamkeit zu schenken. Er schob ein paar lange graue Strähnen hinter das königliche Ohr, stülpte die Unterlippe vor, als schien er einen Moment nachdenke zu wollen und  schoss dann aus der Hüfte:

Meine Berechnungen haben ergeben, dass es 2179 verschiedene Golfer-Typen gibt, sozusagen die Basismodelle, was sich aus den Sternzeichen, genetischen, psychologsichen, physiologischen und 43 andern Komponenten leicht errechnen lässt. Ich denke, das Sie Ihre Überlegungen zu einem ähnlichen Ergebnis geführt haben.“
„Äh“, ich schluckte.
„Wenn wir diese 2179 Typen unter golferischen, gesellschaftlichen und charakterlichen Gesichtspunkten betrachten, kommen wir zu einer solchen Vielzahl von Typen, dass es einfacher ist zu sagen: der Golfer läßt sich nicht in einem sinnvollen System einordnen.“
Ich atmete auf.
„Das deckt sich mit meinen Beobachtungen.“
Aha! Aber was bleibt uns dann?
Archetypen, die charakterlichen Kriterien in Verbindnung mit dem Totemtier  …
„Sehr interessant. Inwieweit wurde Ihr Gedanke von Golflehrern aufgegriffen?“
„Null Resonanz. Kann sein, dass einige Golflehrer die Worte ‚Archetypus‘ und ‚Traumarbeit‘ nachgeschlagen haben, aber eine Diskussion fand nicht statt. Warum auch? Ärzte leben davon, dass wir krank sind Golflehrer davon, dass wir das Spiel nicht lernen.“
„Ja, die fachliche Diskussion ist hierzulande ein Problem. Ich hatte ein holistisches Golfmandala vorgestellt und meine These war, das jedwede Anleitung zum Golfspiel auf einem Quantenzufall beruht. Deshalb würde es auch ausreichen, wenn man Wurfpfeile auf eine Scheibe wirft, die mit Schwunggedanken vollgeschrieben ist..ich dachte, das würde ein Revolution in der Golfdidaktik auslösen…aber … Pustekuchen.“
„Ich habe Ihre Mandala-Theorie gründlich studiert. Ein sehr interessanter Ansatz, aber der Punkt ist doch der: Selbst wenn Golflehrer mit ihren Anweisungen im Trüben fischen, umgibt sie dennoch ein Mythos der Unfehlbarkeit, der durch Ihre Methode verloren ginge. Das wäre für Golflehrer ein Schuss ins Knie. Andererseits: Welcher Golfer sucht wirklich Lösungen? Wenn ich einen Mitspieler nach mehreren Schlägen ins Wasser eindeutig als „Frosch-Archetyp“ bestimmen konnte, der bei entsprechendem  Hüpf-Training selbst einen Polsprung überleben würde, fand das wenig Interesse …aber … ach, was solls.“
Der amtierende Seniorenclubmeister versuchte zu lächeln, was bei seinem tulpenförmig vorgewölbten Hasenzähnen etwas komisch aussah. In der würdevollsten Haltung, die ihm sein Lehnstuhl aus angeblich nachhaltig erwirtschaftetem Tropenholz einzunehmen gestattete, beschied er:
„Es ist, wie es ist. Eine Golfsaison haben wir noch vor uns und ich werde versuchen, meinen Titel zu verteidigen.  Dem gilt meine Konzentration!“
„Ich werde Ihre Archetypen im Auge behalten“, versprach ich ihm.
Seicht winkte die Bedienung herbei, bat um die Rechnung und verabschiedete sich und Richtung Kurzplatz, um noch ein Stündchen an seinem kurzen Spiel zu feilen.
Ich blieb noch einen Moment sitzen und dachte nach. Das war wirklich interessant. Traumarbeit und Trance ist im Golfcoaching bisher kaum bekannt. Vielleicht sollte ich darüber mit Manni Mulligan sprechen. Gewöhnlich hockte er in seiner Teichhütte an der 14. Aber seit ich in Bauernburg war, hatte ich ihn noch nicht gesehen….
(weiterlesen in „Achtung Golfer! Schlägertypen in Wald und Flur“.

*HolistischesGolfmandala