Der Traumwanderer

Zur späten Abendstunde surfte ich in die Mongolei. Ich besichtigte das Kloster Gandan und den Palast Bogd Khan sowie den Schildkrötenfelsen im Nationalpark Gorkhi-Terelj, um dann im Orkhon-Tal das Kloster Erdene Zuu zu besuchen. Im Shankh Kloster erfuhr ich etwas von der lebendigen buddhistischen Tradition, um dann via Satellit in der Wüste Gobi nach einer Fata Morgana Ausschau zu halten. Leider sind große Teile der Mongolei, wie auch Teile von Russland und China, für Touristen aus dem Weltraum gesperrt.

Dann versuchte ich, mehr über Ed herauszubekommen. Nachdem ich einiges über die berühmten mongolischen Przewalski-Pferde gelesen hatte, die als Vorfahren unserer heutigen Pferde gelten, recherchierte ich das Lieblingstier der Mongolen, ohne das Dschingis Khan niemals die halbe Welt erobert hätte. Noch heute gibt es mit drei Millionen Tieren mehr Pferde als menschliche Einwohner in diesem Land. Die Nomaden sind sehr stolz auf ihre kleinen Pferde und mögen es nicht, wenn man sie als »Ponys« bezeichnet, las ich.

Aha! Damit war ich mir sicher, dass Ed mir keine Pferdegeschichten erzählt hatte, sondern tatsächlich aus der Mongolei stammte. Die Pferde leben das ganze Jahr stets im Freien, was zwischen 30 Grad Celsius im Sommer und -40 Grad im Winter schwanken kann. Mongolische Pferde sind genügsam, ausdauernd, trittsicher im Gelände und dienen den Nomaden bei der alltäglichen Arbeit. Wenn sich ein Tier an den Reiter gewöhnt hat, lässt es ihn nie im Stich. Meist werden die Pferde frei laufend gehalten, nur die Reittiere werden eingefangen und angebunden. Ihr Futter suchen sie sich selbst. Ich las auch, dass Stutenmilch (Airag) das mongolische Nationalgetränk ist und Pferderennen sehr beliebt sind. Auf einer Internetseite war ein Pferd abgebildet, das Ed tatsächlich sehr ähnlich war. Stockmaß nur 130 bis 145 cm – und trotzdem kein Pony!

Tusche: Klaus Holitzka

In der Nacht hatte ich einen merkwürdigen Traum. Ich trug eine bunte Kappe und wanderte ohne Ziel durch eine weite Steppe. Mein Herz war von heiterer Stimmung erfüllt. Ich sang ein mongolisches Hirtenlied und begleitete mich dabei auf einer quietschenden, quäkenden Mondlaute, indem ich mit einem Fiedelbogen über die Seiten strich.

Eine Herde wilder Pferde galoppierte auf mich zu. Der Hengst, der die Gruppe anführte, sagte: »Traumwanderer, wohin gehst du?«

»Ich bin, wo ich bin«, sagte ich. »Ich suche keine Antwort und habe kein Ziel.«

Der Hengst erwiderte: »Wann immer du willst, reite ich mit dir in die Dunkel­heit, um das Licht zu finden.«

Ich dankte ihm und versprach, ihn in der Traumzeit aufzusu­chen, wenn ich ihn brauchen würde. Dann ging ich weiter und quietschte fröhlich auf meiner Mondlaute, bis ich einen Mann sah, der mir schon aus der Ferne bekannt vorkam.

Nein, nicht schon wieder! Es war Ho Lin Wan, mein Gefährte aus meinem früheren Leben in Tibet[1]. Er war in die wilde, wirre, bunte, schmuddelige Pracht eines mongolischen Schamanen gekleidet. In einer Hand trug er eine Gebetsmühle, in der anderen ein Seil. Ho Lin Wan! Nirgendwo war man vor ihm sicher. Seltsamerweise schien er mich nicht zu sehen. Er wollte gerade an mir vorübergehen, als ich ihn ansprach. Da blieb er stehen und schaute mich lange an, als würde er mich nicht erkennen.

»Ho Lin Wan«, sagte ich, »wohin gehst du?«

»Ich suche mein Pferd. Hast du es gesehen?«

Ich nickte. »Eben traf ich eine Herde wilder Pferde.«

Ho Lin Wan sagte: »Nein, die kenne ich. Da ist mein Pferd nicht bei. Hast du sonst etwas zu meiner Erleuchtung beizutragen?«

Ich quietschte ein paar Bogenstriche auf meiner Laute und sang mein Mantra: »Ich lebe, ich glaube, ich vertraue, ich bin dankbar, ich bin mutig …«

Ho Lin Wan grummelte. »Grässliches Geräusch. Wann wirst du endlich deinen Ton finden?«

»Wozu muss ich meinen Ton finden?«

»Damit du deine Zuhörer zur Aufmerksamkeit führst und auch sie ihren Ton finden.«

»Und was bewirkt dieser Ton, den ich suchen soll?«

»Er schafft dir eine Verbindung zur Quelle deiner Kraft.«

»Wie finde ich diesen Ton?«

»Indem du still bist! Denk über die Stille nach, wenn du schon denken musst!«

Ho Lin Wan schien ziemlich schlecht gelaunt zu sein. Früher hätte ich mich mies gefühlt. Wenn man zu einer mongolischen Laute schräge Lieder singt, klingt es nun mal ziemlich schaurig, aber für mich hörte es sich gut an. Es machte mir Spaß. Also würde ich mir die Laune nicht vermiesen lassen. Trotzdem dankte ich dem alten Schlauberger für seine weisen Worte und versprach ihm, an meinem Ton zu arbeiten.

»Sehr gut«, sagte Ho Lin Wan, »dieser Ort ist die totale Leere, ein guter Platz, um seinen Ton zu finden. Du bist nichts geworden, hast nichts erreicht und das ist gut so. Was immer auftaucht, sind ohnehin nur Formen deines Ich-Bewusstseins.«

»Bin ich hier, weil ich träume, ich wäre in der Mongolei? Oder lebe ich hier und träume, ich würde Golf spielen und merkwürdige Bücher schreiben?«, fragte ich ihn.

»Frage dich: Wer ist es, der nichts versteht?«

»Ho Lin Wan, ich bin froh, dich getroffen zu haben. Ich frage mich nur, warum ich nichts verstehe.«

»Erinnere dich des Bardo Thödol[2]«, sagte er ernst. »Befreiung durch Hören im Zwischenzustand. Finde deinen Ton, dann wirst du hören können.«

Bei früheren Begegnungen hätte ich mich mit solchen Sprüchen abspeisen lassen, aber diesmal war es anders. Ich fühlte mich wohl mit meinen quietschenden Geräuschen und falschen Tönen. War diese Steppe nicht groß genug für uns beide? Trotzdem fragte ich, als er weitergehen wollte: »Und was ist mit dem Pferd?«

»Das Pferd ist weg. Hat sich davongemacht, schon vor seiner Geburt, vermutlich weil es die totale Leere leid war.«

»Vor seiner Geburt?«

»Ja, ich kenne mein Pferd aus früheren Leben. Tibet, China, wo immer es zu trocken, zu heiß, zu kalt oder zu nass war, sind wir zusammen gewandert. Zuletzt hatte es die Steinwüsten und steilen, engen Bergpfade satt. Das Pferd träumte von satten, grünen Weiden und einem geruhsamen Leben ohne Kletterei.«

»Dann ahne ich, wo dein Pferd steht.«

»Wo?«

»Ach, es ist nur eine Vermutung meines verblendeten, falsch tönenden Ich-Bewusstseins.«

»Sag! Wo?«

Mit einem dämonischen Grinsen schaute ich ihn an und stöhnte:

»Schuhu, Schuhu,

sieh selber zu,

dein Pferd steht

in der Waldesruh!«

Lachend rannte ich davon. Ho Lin Wan lief hinter mir her und versuchte, einen Stein nach mir zu werfen, aber ich ritt bereits auf dem monotonen Summen meiner magischen Laute durch die Lüfte davon. Ich flog über gelbe Täler, dann durch graue Wolken, bis sich das Summen zu einem durchdringenden Brummen verstärkte, von dem ich schließlich erwachte. Frau Pfeiffers Staubsauger dröhnte durch die Waldesruh – ich sah auf die Uhr: Halb zehn! Komplett verpennt.


[1] › Vgl. Eugen Pletsch: Der Weg der weißen Kugel

[2] › Vgl. Evan Wentz: Das tibetanische Totenbuch

Auszug aus: Achtung Golfer- Schlägertypen in Wald und Flur

Golf als Übungsweg

Wir praktizieren den Weg und das heißt, wir üben, die Begierde loszulassen. Erst dann kann Sport auch mehr werden als einfach nur Sport, nämlich Weg-Übung, Weg-Praxis.
Dieser Satz stammt aus Fumon S. Nakagawas Buch „ZEN, weil wir Menschen sind“, das 1997 im Theseus-Verlag erschienen ist.

Was heißt: Golf als Übungsweg? Demut und so…? Ja, auch, aber eigentlich geht es um viel mehr: Jeder Golfschlag ist eine unwiderrufliche Handlung, die im Idealfall etwas Vollkommenes ausdrückt. Der Putt nimmt dabei eine besondere Rolle ein, weil er sozusagen als Klimax die Folge der vorherigen Schläge auf der Bahn abschließt und, wie kurz er auch sein mag, als voller Schlag gezählt wird.
Ein Golfschlag erfordert Mut, Entschlusskraft und die Fähigkeit, den Schlag so auszuführen, wie man ihn beabsichtigt. Rainer Mund nennt das ‚Den Schlag zum Ball bringen‘.
Golfen heißt in diesem Kontext, körperliche Fähigkeiten mit Übungen zu verbinden, die den Geist stärken.

Das ‚Hagakure‘ bezeichnet dies als entschlossenes Handeln am Rande des Wahnsinns, was der Golfrunde eines Tour-Spielers entsprechen könnte, während der Alltag eines Amateur-Golfers doch eher vom unentschlossenen Handeln in Mitten des Wahnsinns geprägt ist.

Mancher Adept des Golf-Weges macht aus seiner Faszination gegenüber japanischen Kampfkünsten kein Geheimnis. Ähnlich dem Manager, der „Die Kunst des Krieges“ von Sunzi unter dem Kopfkissen bewahrt, erhofft er sich aus den martialischen Texten der Samurai-Tradition, den Mut zum eigenen Biss anzulesen.

Zur Frage, wie ein Golfer mit Emotionen, Gedanken und Ängsten umgehen soll rät Zen-Autor Jan Willem van de Wetering:
Mach weiter, tu dein Allerbestes. Und mach dir klar, dass es keine Garantie dafür gibt, dass du es jemals schaffst.“
Das ist ein Satz der Mastery-Orientierung ausdrückt und mit diesem Satz, der wenig Mut macht, müssen besonders die Golfprofis leben, die jede Woche neu versuchen, ihr Bestes zu geben.
In dem Zusammenhang fällt mir „Fearless Golf“ von Dr. Gio Valiante ein. Valiante empfiehlt dem Golfer ‚Mastery-Orientierung‘, was im Gegensatz zur ‚EGO-Orientierung‘ bedeutet, dass der Spaß im Lernen und der damit verbundenen Verbesserung (Kaizen) steckt. Die Motivation, sich zu verbessern, bedarf keiner externen Belohnung (Preise). Hindernisse werden als Herausforderung betrachtet, sie stellen keine Bedrohung dar. Überhaupt liegt der Focus darauf, den Platz zu spielen, anstatt andere Golfer im Wettbewerb zu schlagen. Wettbewerb wäre höchstens die Gelegenheit erworbene Fähigkeiten zu testen und zu perfektionieren, aber die Motivationen des Ego-Golfers sind ansonsten ohne Bedeutung.

Ein Ego-Golfer spielt, um der Erwartung anderer gerecht zu werden. Sein Selbstwertgefühl hängt von seiner Leistung im Vergleich mit anderen ab oder wie Vagliante sagt: „Ein guter Score ist (dem Ego-Golfer) wichtiger, als gut zu spielen.“
Ego-Golfer gieren nach Preisen, Auszeichnungen, Anerkennung und einem besseres Handicap. Deshalb ist ihr Spiel weniger von Freude, sondern mehr von Versagensangst bestimmt.

Ist der Spieler ‚in the zone‘, ist seine unmittelbare Handlung ohne Anhaften an Gedanken des Vorhin und Nachher. Sind die technischen und mentalen Hausaufgaben tausendfach geübt, passiert ES – sofern man ES zulassen (loslassen) kann.
Ob ES dann wirklich passiert, ist Gnade oder Glück, oder wie immer man dieses absichtslose Wirken jenseits des Wollens bezeichnen möchte.

Ein Putt-Coach empfahl mir, zum Loch zu sehen und dann zu putten. ZEN-Leute empfehlen, eins mit dem Ziel zu werden und mein Freund Timbo, ein englischer Autoverkäufer, sagt stets: „Don’t think. Just hit the fucking ball.“

Welches Konzept Euch am meisten hilft, müsst Ihr selbst rausfinden.

Eugen Pletsch

*Jan Willem van de Wetering: ‚Ein Blick ins Nichts‘, Rowohlt.

…ein paar Anmerkungen…

Aus dem Schlusswort eines Vortrags

Gestatten Sie mir zum Abschluss noch ein paar golfphilosophische Anmerkungen:
Manche Leute meinen ernsthaft, Golf wäre gar kein »Sport«, sondern eine Methode der Bewusstseins- und Charakterbildung.
Das ist insofern richtig, als das Golfspiel auf einem Codex beruht, nach dem ein Spieler sich bisweilen selbst Strafschläge notiert, wenn er meint, gegen eine der Regeln verstoßen zu haben.
Doch diese Ehrenhaftigkeit, die man Spirit of Golf nennt, gilt mittlerweile in manchen Kreisen als verstaubte Tradition.
Der »Geist des Golfspiels« ist vielerorts flüchtig geworden, gerät immer mehr in Vergessenheit oder hat sich in einen Poltergeist verwandelt.

Deshalb hoffe ich, dass die Tradition unseres Spiels nicht gänzlich verloren geht, wenn die Mitgliedergewinnung um jeden Preis vielfältige Blüten treibt, von denen nicht alle nach Golf duften.
Sich auf die geistigen Grundlagen unseres Spiels zu besinnen, heißt auch, Golfanfängern deutlich zu sagen, worauf sie sich einlassen.
Ja: Golf ist ein Spiel, aber »Golf spielen« ist kein leichtes Unterfangen und wer nicht bereit ist, das Spiel so weit zu erlernen, wie es seine motorischen und geistigen Fähigkeiten zulassen, wird mit all den Problemen konfrontiert werden, die ich als bekennender Golfdilettant in meinem Büchern ausführlich karikiert habe.
Meine Botschaft ist, dass Humor und die Fähigkeit, sich selbst zu betrachten, ohne sich dabei allzu ernst zu nehmen, wichtige Elemente dieses Spiels sind. Aber Golf ist auch eine Kunst, die mit Können zusammenhängt und mit Glück und der Fähigkeit loszulassen, um das Spiel zuzulassen, das in uns steckt.
Das klappt meist nicht so, wie es soll, aber Wunder geschehen immer wieder…und manchmal passiert dann jener magische Moment, in dem uns die Golfgöttin ihre Gunst schenkt und in dem alles möglich wird, weshalb wir nie von unserem Spiel lassen werden…

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

(c) by Eugen Pletsch