Es war viel zu heiß, um zu spielen. Wer an diesen Tagen spielte, hatte einen Schatten. Auch auf der Clubterrasse, wo sonst eine sanfte Brise wehte, war die Luft wie gebacken. Die Sonne prallte von den weißen Wänden des Clubhauses, weshalb ich es an solchen Tagen vorzog, mir im Restaurant ein kühleres Plätzchen zu suchen.
Etbin, der Kellner, trug wie immer ein weißes Hemd zur Weste und schwarze Hosen. Ihm schien die Hitze nichts auszumachen. Er ruhte regungslos im Schatten, aber in dem Moment, in dem ich Platz genommen hatte, stand er bereits mit einer großen Flasche Mineralwasser im Cooler neben mir. Er wusste, was ich bei diesen Temperaturen zu trinken pflegte. Etbin hatte etwas Katzenhaftes, er schlich. Man hört ihn nicht, er bewegte sich wie ein Samurai.
Ich trank mein Wasser und war in Gedanken, als sich Dagobert Seicht näherte. Wir grüßten uns, seitdem ich wieder häufiger in Bauernburg verkehrte, aber der gütige Herr hatte mir das gemeinsame Spiel bisher erspart. Vermutlich hatte die Sekretärin teuflische Angst vor dem, was passieren könnte, wenn zwei besserwisserische Korinthenkacker aufeinandertrafen.
Als wenn nicht genug andere Plätze frei wären, trat Herr Seicht an meinen Tisch und fragte: »Gestatten?« Ich schaute beiläufig auf und nickte, was weder herzlich noch höflich war, aber Seicht nicht abzuhalten schien, sich zu setzen. Er schwieg. Etbin brachte Seicht seine Zitronenlimonade. Ich schwieg auch. Wir schwiegen beide.
Wenn zwei Personen, die den leeren Raum des Universums in wenigen Stunden mit Sprechblasen ausfüllen könnten, einander anschweigen, dann entsteht eine gewisse Spannung. Etwa so, wie wenn ein von Sprechblasen ausgefülltes Universum kurz davor ist, den Urknall zu zelebrieren.
Ich schwieg, Seicht schwieg. Ich spürte, wie auch die wenigen Gäste an den anderen Tischen still wurden. Tiefe Stille. Nur der Koch klapperte in der Küche.
Ein großer Sumsemann, eine Hummel oder Hornisse, flog durch die offene Verandatür in den Raum. In der Stille klang das Brummen wie ein Moped in einer spanischen Nacht.
Das Geräusch kam näher. Offensichtlich hatte der Sumsemann Seichts Zitronenlimonade auf dem Radar. Wir saßen beide da und schwiegen. Die Gäste im Raum schauten fasziniert zu.
Die Szene vom Showdown zweier Verbal-Pistoleros.
Sumsemann umflog mich, wechselte zu Seicht, konnte sich nicht entscheiden und landete auf meinem Haar, was mir ausgesprochen unangenehm war. Ich verharrte regungslos. Jetzt Angst zeigen, wäre unmöglich gewesen. Ich hatte mir bei manchem Turnier schier in die Hosen gemacht, mit angstvoll zitternden Händen Zehn-Zentimeter-Putts vorbeigeschoben, jetzt blieb ich standhaft.
Sumsemann krabbelte auf meinem Haar. Mein Kopf war der Mond, auf dem das Raumschiff landete, um den Planeten auszuspähen. Der Planet war unser Tisch, auf dem die Zitronenlimonade stand. »Sumsemann«, dachte ich, »es gibt noch ein zweiten Mond, der näher am Planeten steht, mach die Flatter!«
Sumsemann hatte sich in meinem Haar verhakelt. Ich kannte das aus dem Kino. Der Trabant wird angebohrt, um eine Beobachtungsstation zu errichten. Seicht hob sein Glas, um einen Schluck aus seiner Limonade zu nehmen. Ich versuchte unmerklich, mit dem Kopf zu schütteln. Sumsemann schien festzusitzen, aber plötzlich hob er ab. Vielleicht sah er in seinem Insektenradar, dass sich sein Beuteobjekt vom Planeten zum anderen Trabanten verschoben hatte.
Sumsemann ging im Steilflug zum Angriff über und nahm das Glas ins Visier, aus dem Seicht gerade trank. Dessen Reaktion war abrupt. Das Glas mit der rechten Hand am Mund, hob er den Kopf und versuchte mit der linken Hand nach Sumsemann zu wedeln, wobei er den Kopf zurückkippte und ihm sein Gesöff über die Backen schoss.
»Ahhhhgggggrrr …«
Aber Sumsemann konterte mit: »HnnnnnnmmmmmmmHnnnnHnnnnjääännnnnnggggggzzzzzmmm ….
»Ahhhhgggggrrrgggggnnnnn …« Seicht wedelte mit den Armen, das Glas zerschellte am Boden, als ich merkte, dass er offensichtlich ein Eisstück in die Luftröhre bekommen hatte. Sein Kopf war immer rot, seine Augen standen immer vor, aber an seinem Röcheln erkannte ich, dass etwas nicht stimmte.
Ich saß etwas ungünstig, aber ich holte mit dem rechten Arm weit aus und schlug dem armen Seicht mit Wucht auf den Rücken, wobei ihm ein Eisbröckchen aus dem Mund sprang. Im selben Moment hatte der flinke Etbin den Sumsemann mit einem Schlag erlegt. Mit beiden Händen gleichzeitig frei in der Luft erwischt. Es war eine Hornisse. Keine Zeit zum Stechen. Sofort tot. Ich betrachtete das bisschen Insektenmatsch auf den harten, schwieligen Händen des Kellners. Seicht rang um Atem und Fassung. Wir dankten Etbin für seinen Einsatz. Der nickte und verschwand.
»Vielen Dank, das war knapp«, sagte Seicht.
»Kein Thema«, erwiderte ich kurz.
Er blickte auf seine Uhr. »17 Uhr 23. Na klar! Typisch.«
»Sie wissen doch was ich meine, die D r e i u n d z w a n z i g!«, -wisperte er. »Sie haben das doch alles in Ihrem Buch drin!«
»Wie bitte?«
»Na, hören Sie mal, ich weiß doch wer Sie sind. Sie haben doch dieses Buch geschrieben. Sie sind doch der Autor von ›Der Fluch der weißen Kugel‹?« Ich schaute ihn wohl ziemlich fassungslos an und er fuhr fort. »Das ganze Buch ist doch codiert. Ich habe im Internet Geschichten darüber gelesen und dann recherchiert. Ich bin auch ein Eingeweihter, wissen Sie. Wir können offen sprechen. Ich habe alles herausgefunden.«
»Was herausgefunden?«
»Na zum Beispiel die Geschichte vom ›Golf auf anderen Planeten‹, die deutet doch an, dass sich die Erde bald über außerirdischen Besuch freuen darf, was im letzten Kapitel noch einmal bestätigt wird. «
Seicht öffnete seine Kladde, die auch einige ausgedruckte Texte enthielt.
»Ich darf mal aus einem Newsboard zitieren:
›Also dann, am 23.5. um 11 Uhr‹, ruft mir Mulligan zu. So steht es in der aktuellen Ausgabe, aber in der ersten, mittlerweile verschollenen Originalschrift wurde das exakte Datum der Landung Außerirdischer mit dem 23. 5. 2001 angegeben!
Der Magnat im Kapitel ›Alte Golfclubs‹ wird als jener Adam Weishaupt identifiziert, der am 1. Mai 1776 den Geheimbund der Illuminaten und 1906 den Deutschen Golfverband gründete.
Auf S. 230 (23 und 0!) schreibt er: ›(…) und Sie beginnen, sich für das Geheimnis zu interessieren.‹ Welches Geheimnis meint er, fragen sich manche Leser. Die ›18 Bahnen des Golfsports‹ (S. 226) erklärt der Autor in einem buddhistischen Kontext, was von Verschwörungstheoretikern eindeutig als falsche Fährte angesehen wird, die der Autor legen musste, weil er ahnte, dass er als Medium bereits zu viel verraten hatte. Das Kapitel ›Ein letztes Geheimnis‹, das Golf als Geschicklichkeitsspiel beschreibt, wirkt trivial, gibt aber den Hinweis, dass es ein letztes Geheimnis gibt!«
Seicht schaute mich erwartungsvoll an. Ich schaute zurück.
»Und? Was hat das mit der 23 zu tun?«
Seicht holte tief Luft. Verschwörerisch beugte er sich zu mir.
»Ich weiß doch, in welchem Club ich bin. Ich weiß doch, was der Manni Mulligan treibt. Was meinen Sie, warum ich hier bin? Das Mysterium des Golf enthüllt sich durch die 23. Und wenn es Eingeweihte gibt, dann hier. Ich verstehe nicht, warum Sie so tun, als würden Sie das alles das erste Mal hören?«
»Weil ich es das erste Mal höre. Aber was hat das Mysterium der 23 mit dem Golfsport zu tun?«
»Bobby Jones hat 1923 sein erstes Major, die US Open, gewonnen. Der Golfclub Magdeburg wurde 1923 gegründet. Die erste Swiss Open fand 1923 statt. Miriam Burns gewann 1923 die Women‘s Western Golf Championship im Alter von 23 Jahren! Die Bonzo Dog Zigarettenkarte von 1923 wurde gerade bei ebay für 23,95 versteigert.«
Er schaute mich triumphierend an.
»Ein Birdie und ein Par an einem Par 3 ergibt kabbalistisch eine 23! Unser Platz hat ein Par 72. Drei unter Par, eine 69, ist dreimal 23, klar? Ein reguläres Par 5, aus dem Blickwinkel der Tarotkarte des »Gehenkten« (Bahn vom Grün zum Abschlag betrachtet) besteht aus zwei Putts und drei Fairwayschlägen, das gibt: 23. HA! Die Quersumme aller Golfbälle der Welt ist 23, was auch dem traditionellen Loft eines Eisen 3 entspricht.«
Dagobert Seicht blickte mich mit seinen vorstehenden Augen an. Seine dünnen Künstlersträhnen waren am Schädel angeklebt. Er schnupperte mit der Nase wie eine Ratte. In dem Moment dachte ich, er sei irregeworden.
»Sie schauen mich an, als würden sie denken, ich sei irregeworden. Na gut, was halten Sie hiervon: Der große Förderer dieser Golfanlage, unser Magnat Senator Grösius, behauptet, er würde am 23.10.2006 sterben. 18 gespielte Bahnen und danach fünf Hefeweizen ergibt?«
»Schon klar: 23!«, kam ich ihm zuvor.
»Na, sehen Sie.« Jetzt schaute er mich gütig an, als hätte ich irgendetwas verstanden.
»Gut«, sagte ich, »und was bedeutet das alles für Sie?«
»Ich kann Ihnen das zusammenfassend vortragen.«
Er schlug seine Kladde auf, blätterte einen Moment und fand dann die gesuchte Seite. Seicht begann:
»Golf ist ein Virus, der zu schweren Suchterscheinungen führt und dabei ist, das Wirtschafts- und Kulturleben auf diesem Planeten nachhaltig zu zerstören.
Die Außerirdischen sind bereits gelandet, haben Präsident Kennedy ermordet und übernahmen die Regierung der USA. Natürlich auch die Wallstreet. Diese außerirdischen Plünderheuschrecken, die von einem kleinen Planeten in der Nähe des Sirius stammen, überfallen seitdem ein Land nach dem anderen mit dem Ziel, das Wirtschafts- und Kulturleben auf diesem Planeten zu zerstören.
Die einzige Schwäche, die Plünderheuschrecken haben: Sie spielen gerne Golf (amerikanische Präsidenten!) und sie sind nicht immun gegen den Golfvirus, was eine Chance birgt, den Planeten zu retten, denn Golf macht süchtig, dann blöde und dann depressiv. Damit könnte man sie schlagen. Wir sind nicht alleine. Von irgendwoher kommt Hilfe.«
»Sehr interessant«, sagte ich.
»Nun, was halten Sie davon, Sie haben doch das Buch geschrieben!«
Plötzlich kam mir eine Idee.
»Dagobert, ich darf Sie doch Dagobert nennen?«
Er nickte erwartungsvoll.
»Ein Schlüsselroman ist verschlüsselt, sonst wäre es kein Schlüsselroman.« Ich schaute ihn freundlich an. »Es gibt Mysterien und Geheimnisse, die sich um das Golfspiel ranken. Kennedy und die Monroe sind die beiden bipolaren Koordinaten. Die YabYum-Energie der beiden bekanntesten Amerikaner ihrer Zeit verbannte schreckliche Kräfte in den unterirdischen Gewölben des Pentagon. Beide wurden ermordet. Das Biest wurde entfesselt. Seitdem regiert das große Tier und überzieht die Welt mit Krieg. 666 … Sie wissen schon.«
Ich spürte, wie es Seicht schauderte. Er war dem Geheimnis auf der Spur.
»Ein Schlüsselroman hat einen Schlüssel«.
Er nickte.
»Der ist verborgen«.
»Wo?«
Etbin näherte sich unserem Tisch.
»Etbin, zahlen!«, rief ich, worauf er zur Kasse zurückging.
»Dagobert, ich habe schon zu viel gesagt. Sie wissen schon zu viel.«
Er schob sich dicht an mich heran.
»Sie müssen schweigen«, flüsterte ich, »es ist gefährlich! Schweigen Sie! Das Mysterium ist nah. Warum glauben Sie, haben sich so viele Kräfte in Bauernburg versammelt?«
Er zuckte die Schultern. Etbin war auf dem Weg zu uns.
»Der Teich an der 14 wird von Mulligan bewacht! Tief unten wohnen Geheimnisse, die nicht gehoben sein wollen. Die 14!«, wisperte ich heiser. »Kabbalistische Quersumme fünf! Zweimal 14 ist 28 minus fünf ist?«
»23«, hauchte Seicht fassungslos.
»Genau!«
Etbin stand am Tisch, mit dem Kassenzettel in der Hand.
»Des warren denn de Pasta, wo se gestern nicht bezahlt haben und zwei vonne große Flasche Wasser, macht 18 Euro.«
»Ich übernehme noch die Drinks von Herrn Seicht«, sagte ich.
»Das wärren dann zwei Zitronelimonad, zusamme fünf Euro, macht 23 Euro.«
Ich schaute Seicht tief in die Augen, während ich Etbin 23 Euro in die Hand drückte. »Stimmt so, der Rest ist für Sie!«
Seicht saß stumm da. Sein Mund stand offen. Etbin verbeugte sich. Er hatte meine Art von Humor schon öfter genossen.
Nachdem ich wieder zu Hause war, war ich nervlich bereits etwas angefressen. Aber dann passierte mir die nächste Schote, die mich in jene dramatischen Zustände katapultierte, von denen in diesem Buch die Rede ist.
Liebevoll streichelte ich meine Persimmon-Schläger, dachte nicht lange nach, telefonierte mit dem Club und meldete mich für das Turnier am nächsten Tag an, das trotz großer Hitze stattfinden sollte. Es folgte eine unruhige Nacht.
…I‘m thankful that old road‘s a friend of mine….Towns van Zandt
Der nachfolgende autobiografische Text mit Liedern und Zeichnungen basiert auf meinem Buch OIGEN: Zwischen Sternenstaub und Hühnerdreck, das 1986 erschien und längst vergriffen ist[1]. Die Texte wurden im Frühjahr 2021 überarbeitet und ergänzt. Beiträge anderer Autoren sind entsprechend gekennzeichnet.
I did it may way
Das bürgerliche Umfeld mit liberalen Eltern, in dem ich aufwuchs, bot meinen Schwestern gute Möglichkeiten sich musikalisch zu bilden. Meine ältere Schwester lernte Blockflöte, F-Flöte, Klavier und Schifferklavier. Meine jüngere Schwester lernte Blockflöte, F-Flöte und Klavier. Ich lernte nichts. Ich hatte nur eine Blockflötenstunde, dann reichte es mir. Im Musikunterricht kapierte ich überhaupt nichts – und nicht nur weil ich grottenfaul war. Es interessierte mich einfach nicht. Harmonien-Lehre ist mir bis heute ein Buch mit sieben Siegeln. OK, ich kann einen Notenschlüssel malen und die C-Dur Tonleiter erkennen, aber das war es auch schon. Heute bedaure ich das, aber es ist, wie es ist.
Mein Vater hatte eine Sammlung von etwa 3000 Schallplatten. Vorwiegend klassische Musik, aber nicht nur. Er hatte auch das, was er für Jazz hielt, zum Beispiel Mr. Acker Bilk. Die Aufnahme von Dave Brubeck at Carnegie Hall gefiel mir besser. Als Folk-Musik populär wurde, kaufte er auch ein paar Platten in Richtung Gospel. Odetta, das Golden Gate Quartett, die damals in Deutschland recht populär waren und Pete Seeger at Carnegie Hall wurden bei uns oft gespielt. Ich entsinne mich, dass mich mein Vater zu zwei Konzerten mitnahm, die mich beide sehr beeindruckten: Das Golden Gate Quartett sahen wir – ich glaube – in Wiesbaden, und Lippmann und Rau brachte eine wilde Truppe Cajuns nach Gießen. Soweit ich das rekonstruieren kann, war es die „American Folk & Country Music“-Tournee von 1966. Dann hörte ich Bob Dylans erste Schallplatte und mein Leben veränderte sich. Als mich Freunde zum Ostermarsch nach Frankfurt mitnahmen, wo Joan Baez sang, hatte ich bereits eine Wandergitarre auf dem Rücken. Nur spielen konnte ich nicht, woran sich in den nächsten 50 Jahren wenig ändern sollte.
Mitte der sechziger Jahre reiste unsere 7. Klasse zwecks Schüleraustausch an die Fulwood Secondary Modern School nach Preston in England. Die Welt war damals zweigeteilt. Bereits in den ersten brieflichen Kontakten zwischen den Schulen wurde gefragt, wer Anhänger der Beatles oder der Rolling Stones sei, denn um Gesinnungskriege zu vermeiden sollten wir jeweils in Familien von Beatles- oder Stones-Fans untergebracht werden. Ich schrieb, ich sei Bob Dylan-Fan. Donovan wäre auch OK. Das sorgte für Verwirrung. Fieberhaft wurde an der Schule nach einem Folk-Freak gesucht. (Dabei tauchte generell die Frage auf, ob ich willkommen sei, da ich auf meinem Foto den „Ban the Bomb“-Button der Ostermarschierer trug). Schließlich fanden sie Mick. Bob Dylan war nicht sein Ding, aber Simon und Garfunkel mochte er ganz gerne. So fand auch ich eine Gastfamilie.
Nach einigen Wochen in Preston ging unsere Reise nach London. In einem kleinen Hotel erholten wir uns von der gnadenlosen Hetzerei unseres Klassenlehrers durch die Londoner Kulturgeschichte. Er versuchte uns dabei vor allen Gefahren der modernen Welt zu schützen, aber im Hydepark hatten wir 30 Minuten zur freien Verfügung und da erwischte mich der Virus.
Bereits am Morgen in der Kings Road, der Portobello Road und auf dem Flohmarkt hatten wir einen Kulturschock. Ultrakurze Mini-Röcke, bunte Menschen, es roch nach mehr und nun der Hydepark: Menschen aller Nationen und Altersstufen lagen im sommerlichen Gras, Prediger warnten vor dem jüngsten Tag und chinesische Kulturrevolutionäre verteilten MAO-Buttons: Ich fragte ein buntbemaltes Mädchen, was hier los sei. Sie flüsterte etwas von Love, Leary, San Francisco und den Beatles und schien ziemlich abgedreht.
Zu Hause verzichtete ich zum ersten Mal auf den turnusmäßigen Haarschnitt. Am 25. Juni 1967 spielten die Beatles ALLYOU NEED IS LOVE in einem Livekonzert, das in 31 Länder übertragen von mehr als 400 Millionen Zuschauern gesehen wurde. Das war der Tag, dem wir zu Hippies wurden. Ich begann zu trampen, egal wohin, ich wollte nur UNTERWEGS sein. Mit 15 trampte ich zum ersten Mal durch Deutschland. Ich hatte eine schriftliche Erlaubnis meines Vaters dabei und schaffte es von Sylt bis zum Bodensee und dann nach München. In Schwabing hockte ich bei den Gammlern und dann traf ich einen echten amerikanischen Beatnik! Er schenkte mir ein langes Gedicht, kannte angeblich Allen Ginsberg und erklärte mir, dass ich, wie alle echten Beatniks, keine Tasche bräuchte. Ich solle meinen Schlafsack zusammenrollen, meinen Kleinkram drin verstauen, eine Schnur drum und auf die Schulter damit. Leichtes Gepäck. Das war, bevor mich Kerouac mit „Gammler, Zen und hohe Berge“ auf Rucksäcke anturnte.
Wann immer es ging stand ich alleine oder mit Freunden an der Straße und hielt den Daumen raus. Beim Warten fing ich an zu singen oder blies meine Harp. Eigene ausgedachte Blues-Stücke, die ich an den Autobahn-Auffahrten grölte. Das einzige Lied, das ich aufschrieb und später auf der Straße spielte war Lonesome Hobo. Heiter beschwingt, mit Gitarre und Mundharmonika, sang ich meine Realschul-englischen Strophen und träumte davon ein happy lover zu sein.
Lonesome Hobo
Ref: I am a lonesome hobo, travelling through the land I am a lonesome hobo, travelling through the land. Hey Mister pick me up, l’m here for hours three Hey Mister pick me up, it’s so cold to me I swear I kill nobody, I never had no knife I ‚ll sleep in a corner, not touching your wife Ref: I am a lonesome hobo, travelling through the land I am a lonesome hobo, travelling through the land. Just pick me up, take me for hundred miles my feet will become warm, and my face smiles Ref: I am a lonesome hobo… I see the spring passing bye and the summer come and when the leaves are falling, I‘ m searching for a home Then I‘ m your happy lover, loving you all night then I’m your happy lover, loving you al1 night. Speak: But when the spring is coming, I’m going back to the autobahn taking out my thumb singing: I am a lonesome hobo, travelling through the land, I am a lonesome hobo, travelling through the land…
Peter Markl
In Gießen war es leicht, Gleichgesinnte zu treffen, sei es an der Südanlage oder im ‚Bergwerkswald‘, wo häufig Sessions stattfanden. Oder in der Teestube. Es war ca. 1970, als ich Peter Markl kennenlernte. An einem Samstagnachmittag ging ich wie üblich zur Shit-Wiese, einem kleinen Parkstreifen an Gießens Südanlage, wo wir dann im Gras dösten oder auf Instrumenten klimperten. Die braven Bürger von Gießen waren längst zu Hause, um Einkäufe in ihre zu Höhlen karren, während wir bereit waren neue Welten zu entdecken. Es waren etwa 30 Leute, die Kräutelein rauchten und Löschpapierchen mit lustigen Aufdrucken kauten, um dann das Zentrum der Galaxis anzusteuern. Etwa dahin, wo Gott und Jimi Hendrix wohnen.
Ich hatte meine Gitarre dabei. Peter, ein Bursche aus Lollar, hatte lange blonde Haare, ein blaues Auge und ebenfalls eine Gitarre. Bald saßen wir zusammen und klampften das Hare Krishna Mantra, Om Namah Shivaja und andere göttliche Gesänge, während andere Bedröhnte auf marokkanischen Handtrommeln den Rhythmus schlugen. Er lernte gerade Baree-Griffe und ich war stolz, ihm etwas zeigen zu können. Nach diesem Samstag trafen wir uns häufiger in meiner Mansarde am Nahrungsberg und klampften vor uns hin. Schließlich begannen wir ein eigenes Lied zu basteln. Unser Song Checkpoint Charly mag ein bisschen an lt‘s a beautiful Day erinnern, aber was solls? Jedenfalls waren wir mit Checkpoint Charlie, zweistimmig gesungen, unschlagbar. Worauf sich Checkpoint Charly bezog, weiß ich nicht mehr genau. Vermutlich auf die Parkbank in der Südanlage, auf der an jedem Payday die GIs aus der nahegelegenen Garnison saßen … waiting for the man.
Checkpoint Charly Text: Oigen Tunes: Peter Markl
Ev’ry friday I fly to Checkpoint Charly ev ‚ry friday in the afternoon At Checkpoint Charly we have a wonderful day and with Mary Maiden we have a bowl. Summertime at Checkpoint Charly makes life easy for you. Summertime at Checkpoint Charly what is not that is and that is true. Take all your puppets and billboards and strings and leave the ashtray, go to the sphinx don’t mind what you think that he thinks so take all your puppets and billboards and strings.
Hey Mister Moonshine my babylon what can you do that I can’t do? Hey Mister Moonshine my babylon what you say is true – but not for me he he he…
Elster Silberflug
1970 war ich ein Gründungmitglied im Kollektiv der ‘Gießener Teestube‘, einer Drogenberatungsstelle (!), die in ihrer ersten Zeit durch die künstlerische Gestaltung von Bernward Spiegelburg das schönste Teestuben-Setting östlich von Amsterdam bot. Jenseits der offiziellen Öffnungszeiten war das ein wunderbarer Ort, um die eigenen ‚Pforten der Wahrnehmung‘ zu öffnen. Häufige Gäste, besonders in der kalten Zeit, waren die Gründerväter der Gruppe Elster Silberflug: Ulli Freise, Diethard Heß und Hartmut Hoffmann. Mit Bernward Spiegelburg, Thomas Ziebarth und Peter Markl waren das die Ur-Elstern. Sie hausten zeitweise in einem winzigen Raum im Hofgut Friedelhausen bei Lollar und ernähren sich von braunem Reis und Maiskolben, um jene wundersam mystische und damals zugleich hochmoderne Musik zu kreieren, die diese Gruppe später bundesweit bekannt werden ließ.[2]
Ulli Freise hatte sich im Duo mit Fredrik Vahle während der Studenten-bewegung einen Namen gemacht und die Schallplatte „Wir, Bürgermeister und Senat“ veröffentlicht. New York hatte Simon & Garfunkel, Frankfurt hatte ‚Christopher und Michael‘ und Gießen hatte Ulli und Fredrik! Während Fredrik sich später sehr erfolgreich dem (politischen) Kinderlied zuwandte, befasste sich Ulli Freise mit altdeutschem Liedgut, mystischen und Vaganten-Liedern, aber auch mit Moritaten von Heinrich Heine, François Villon und seinem eigenen Material als Singer / Songwriter.
In der Teestube gab es einen Musikraum, in dem besonders im Winter viele Sessions stattfanden und junge Musiker ihre Talente entwickelten. Allen voran der bereits 1991 verstorbene Peter Markl aus Lollar, dem fast vergessenen Genie, wie ihn unsere Heimatzeitung 2018 in einem Artikel nannte und von dem 2005 posthum eine CD veröffentlicht wurde.
Das Unheil
1971 wurde ich für den Film DAS UNHEIL von Peter Fleischmann für eine Rolle als Schüler in dem Film gecastet und unterschrieb einen Kleindarsteller-Vertrag bei United Artists. Martin Walser, Volker Schlöndorf und andere Prominente kamen in die Provinz, wo Fleischmann allabendlich in einer griechischen Kaschemme Hof hielt. Mit der jugendlichen Hauptdarstellerin Frederique Jeantet aus Paris in der Rolle der ‚Roswitha‘ hatte ich eine zarte Romanze. Nach den Dreharbeiten, die sich ewig hinzogen, wurde ich noch mehrfach zur Synchronisation nach Wiesbaden und München angefragt, um die Dialoge des Hauptdarstellers Vitus Zeplichal aus Österreich in meinem hessischen Dialekt zu sprechen. Als ich den Film 1972 (?) in Paris in einem Undergroundkino sah, war ich entsetzt. Das UNHEIL wurde ein Flop, was nicht an mir lag, sondern an dem konzeptionslosen Irrsinn, den der Choleriker Fleischmann (mit dem Drehbuch von Martin Walser) veranstaltet hatte. Dass der Film vor kurzem wieder als vergessenes Meisterwerk in die Medien auftauchte, zeigt, dass Schwachsinn keine Grenzen kennt.[3] (Mal abgesehen davon, dass mich Google trotz Widerspruch nach wie vor als Schauspieler führt). Für mich war es natürlich spannend am Drehort in Wetzlar abzuhängen, zumal die Band XHOL mitspielte. Die wohnten während der Dreharbeiten als Kommune in einem alten Turm, indem auch ich manchmal übernachten durfte. Mit dem Saxophonisten Tim Belbe freundete ich mich an und jammte Jahre später mit ihm im Keller des RELEASE, Highdelberg. Skip, den Drummer, mit einer Matte bis zum Gürtel, traf ich eines Tages mit geschnittenem Haar und im Businessanzug bei der damaligen ‚Devine Light Mission‘ des Guru Maharaji wieder.
Vom Geld, das ich mir bei Peter Fleischmann als Synchronsprecher verdient hatte, kaufte ich mir eine Elektrogitarre, eine Hoyer ‚Les Paul‘, wie sie mein Freund Bernd Wippich zu seiner Zeit bei den ‚Petards‘ spielte. Ich merkte aber schnell, dass mir jegliches Talent zum Solospiel auf der E-Gitarre fehlt und so klimpere ich bis heute lieber auf Akustikgitarren.
Reimar Lenz
„Lenz verweigerte sich dem Konsumdenken und lebte nach dem Motto: „Kultur ist, was man selber macht“; er sah sich selber nicht als Aussteiger, sondern als Einsteiger für eine neue Lebensart und Denkweise.“ Wiki
Dem Schriftsteller Reimar Lenz († 2014) begegnete ich erstmals 1972 in Kassel, bei einem ‚Fest der weißen Gewänder. Es wurde eine denkwürdige Session, die Frau Dr. Ingrid Riedel dazu inspirierte weitere Begegnungen zu organisieren.
Daraus entstand die große, jährliche Erweckungsparty der Alternativszene, das legendäre Pfingsttreffen, veranstaltet von der evangelischen Akademie in Hofgeismar. Hier fand die Szene der frühen siebziger Jahre unter der weisen Administration von Frau Dr. Ingrid Riedel ihre Stimme. Es gab immer ein offizielles Programm, bei dem die Großkopferten der Szene ihren Aufritt hatten, sei es Dieter Duhm, Hadayatullah Hübsch (damals mit Perserkäppchen und pakistanischen Bodyguards) – während im Foyer die vielen anderen abhingen, die sich den Besuchern mit Büchern (Che Urselmann, ZERO), Projekten und Ideen präsentierten. Dort lernte ich Gerriet Hellwig[4] kennen, der mit der Alternativen Kooperation ein neues Konzept der Vernetzung von Mensch und Kompetenz entwarf, sowie den eingeborenen Worpsweder Künstler Matthias ‚Regenmacher‘ Kaufmann, Julian Pawlik, der vom Topmanager zum Biotherapeuten transformierte oder Carl Ludwig Reichert, den Privatgelehrten und Erfinder des bayrischen Mundartrock. Viele aus dieser Zeit blieben für lange Jahre (oder sogar bis heute) liebe Freunde.
In den Pausen des offiziellen Programms flogen die Frisbees im Park, in dem die Familien-Clans wie Löwenrudel beieinander lagen und neueste Ernährungsdogmen ausfochten. Nachts begannen endlose Trommel- und Trancesessions. Draußen, bei der Garderobe im Flur, wo die Akustik am besten war, saß ich nachts mit meiner Gitarre, spielte Lieder und Balladen und zum Abschluss des Abends das Linsensuppen-Sutra, ein Zen-Lied, das – meist – zur augenblicklichen Erleuchtung führte.
Das ‚Linsensuppen-Sutra‘ habe ich seitdem nur selten vorgetragen und nur zu besonderen Anlässen wie dem Zusammentreffen mit C. L. Reichert, Gisela Dischner, Rolf Schwendter und Rolf Hanusch, das als Transmittercassette LIED 84[5] unter dem Titel „Eine gnadenlose Nacht in Josefstal“ dokumentiert ist.
Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich diese experimentelle Pfingst-Bewegung zu einer Spielwiese der gerade entstehenden Alternativkultur. Jahre später verfasste Reimar Lenz unter dem Titel Wo Oigen debütiert hat einen längeren Artikel für mein Büchlein „Zwischen Sternenstaub und Hühnerdreck“, in dem er diese faszinierende Zeit beschreibt. Auszüge: „(…) Gefühle wie einst im Mai, wenn ich daran denke, wie ich in eine Kasseler Privatwohnung kam und dort jüngere Leute traf, die mich nicht nach meinem ideologischen Standpunkt ausfragten, auch nicht gleich mit mir diskutieren wollten, sondern sich stattdessen, nach einer dezenten Anlaufzeit scheinbarer Gleichgültigkeit danach erkundigten, wie es mir gehe. Das war ich nicht gewohnt. Das war damals, auf dem Höhepunkt der kulturpolitischen Macht der neuen Linken, der ich mich zugehörig fühlte (mit Abstrichen) absolut ungewöhnlich. Und die Kasseler Mini-Szene, die sich mir bot, war es auch(…) Da saßen Mädchen und Knaben, wohl lauter Twens, auf dem Fußboden, malten vor sich hin, spielten Blockflöte, nur so, oder hockten nur still, was sie „Meditation“ nannten. Wie es mir ging? Dort nicht schlecht. Ich war in die deutsche Hippie-Szene geraten, jene zärtlichen kleinen Kreise, die sich von amerikanischen Hippies seit 1967 hatten inspirieren lassen. In dieser Wohnung trafen wir uns dann Pfingsten 1972 zu einem spontanen Fest mit 25 Figuren. Wir lasen eine Buddharede, und das dauerte mehr als eine Stunde. Die großartige Rede vom „Prachtnetz“ war es, in der Shakyamuni (nachmaliger Titel: Buddha) mit dem Kulturbetrieb der Zeit abgerechnet hat. Wir lasen Meister Eckhart, malten wieder, machten Musik und hockten (Meditation), in Schneiders Lotossitz, tanzten und waren unseres Lebens froh.
Hier lernte ich auch lngrid Riedel kennen, die damals schon Gesprächsleiterin an der Evgl. Akademie Hofgeismar war, und ein Fädchen wurde geknüpft von ihr zu uns, das sich während eines furchtbaren Jahrzehnts zum Netz erweitern sollte. Es gab nun Tagungen in Hofgeismar über psychedelische Drogen, zusammen mit Release-Mitarbeitern, über Meditation, spirituelle Traditionen der Weltreligionen, die Grundrechte der Natur, eine Kultur des Eros und was so schöne Themen mehr sind. Gesprächs-, Selbsterfahrungs- und Kreativitätsgruppen bildeten sich, was für damalige Zeiten einen totalen Wandel des „Tagungs‘-Stils bedeutete.
Die „Hofgeismarer Pfingstfeste“ waren geboren und erfreuten sich wachsender Beliebtheit in der grünenden Alternativ-Szene. (…) Eine Blütezeit der deutschen Kultur brach an, wie jeder bestätigen kann, der dabei gewesen. (…)
(…) Der vielfältige Geist wehte, wo er wollte, diesmal ausgerechnet im akademie-eigenen Hofgeismarer Schlösschen, beruhigte den Atem von Meditierenden, beflügelte Dichter, brauste auf in der dynamischen Meditation eines Bhagwan, der damals noch eher Anreger als Sektenführer war, musizierte, schuf Stegreif- und Laienspiele (wo sind die Skripts geblieben?), und des LiebesGeistes voll waren fortschrittliche Christen, die den Pfingstgottesdienst gestalteten (Rolf Hanusch, Gerhard Marcel Martin und andere).
Auf dem Höhepunkt dieser weltreligiös getönten Welle pilgerten Mitte der Siebziger Jahre 400 Leute aus Land- und Stadtkommunen (ebenso wie hartgesottene Einzelgänger) nach Hofgeismar und übernachteten teils illegal im Park und auf den Fluren. (Hätte man noch Namenslisten, es wäre ein Gotha der edelsten Freaks.)
Das konnte nicht gut gehen. Als einige Enthusiasten auch noch nackt badeten im christlichen Teich, als wollten sie eine Renaissance des Adamitentums ausrufen, gab es Ärger im Stadtparlament, ein Pfingstfest musste ausfallen und die Bewegung ging auf Tauchstation.
(…) Die Freaks verloren die Lust am Pfingstfest, das gezähmt wurde in Hofgeismar, die traditionelle multi-rhythmische Nacht der Trommeln wirkte nun primitiv statt beschwingt, eine Priesterkaste, die entstanden, aus Referenten und Gruppenleiter/Innen) begann, sich zu wiederholen. Der Geist ward müde wie das Fleisch. Eines freilich blieb sich gleich: alle Jahre wieder erinnerte Oigen an paradiesische Zeiten, wenn er nach Mitternacht zu rhapsodieren begann, seine Songs vortrug (ewig unvergessen: Das Linsensuppen-Sutra), die Suada improvisatorisch weiter führte, mit einem sensiblen Tempo, als wäre der Sänger high und vom Geiste persönlich geküsst beziehungsweise von der Muse (“ Lucy in the sky with diamonds . . .“ ) Jener Oigen war mir übrigens schon aufgefallen auf einem Kasseler Alternativ-Treffen, als er in einer wort-musikalisch improvisierenden Runde in wachsender Ekstase immer nur „Freude“ rief.
Ansonsten hatte sich an ihrem Ende die schöpferische Lauge der frühen Siebziger verfestigt. Talente kristallisierten sich heraus, gerannen zu Markenartikeln. Buntscheckige Freaks bekannten Farbe, wurde monochrom, wurden Grüne oder trugen Orange. Zart hauchende Mädchen mutierten zu vitalen Frauen und traten einem plötzlich wieder entgegen als hauptberufliche Atemtherapeutinnen. Die Professionalisierung forderte ihr Recht. Und mancher der alten Freak-Freunde, damals noch ein verträumter, schüchterner Adept, ist heute Guru geworden, hat eine eigene Therapie entwickelt, lässt Prospekte drucken mit einem -ismus darauf und gibt Wochenendkurse zu 250,- DM. Aus Freistilchristen wurden Pastöre und Theologieprofessoren.
(…) ln „Hofgeismar“ war vieles eben keimhaft vorhanden. Aber mit der Spezialisierung der Lebenswege zerbrach die große Jugend-Koalition. Dass der ganze Sturm und Drang, diese Mini-Jugend-Bewegung sich an den Mauern einer evgl. Akademie früher oder später brechen würde, habe ich als alter Skeptiker immer vorausgesehen. (…) Die „Brüder und Schwestern vom freien Geiste“ können nicht Wohnung nehmen in einer protestantischen Institution, und sei diese auch noch so offen, wie Hofgeismar damals war. So ist denn die ganze Hofgeismarer Schule von lngrid Riedel, welche mit ihren Tagungen über „Buddhismus, Sufismus, Traum, Bildmeditation noch über den Pfingstkreis hinausreichte, auch verweht. Und die pfingstliche Erbschaft, soweit schriftlich fassbar, ruht in Aktenkoffern der lieben Ingrid (…)[6]
Ein anderes Lied, das ich in Hofgeismar häufig gesungen habe, wurde in einer Alternativ-Zeitung abgedruckt und auch in der TAZ, wie ich später erfuhr.
Zehn kleine Landfreaks (Oigen, 1973+)
Zehn kleine Landfreaks kauften eine Scheun‘,
der eine hat im frein geschlafen, da waren es nur noch neun.
Neun kleine Landfreaks teilten alle Macht
einer wollte Guru sein, da waren es nur noch acht.
Acht kleine Landfreaks zogen ihre Rüben
einem tat der Rücken weh, da waren es nur noch sieben.
Sieben kleine Landfreaks verrauchten alle Schecks
und als das Dope dann alle war, da waren es nur noch sechs.
Sechs kleine Landfreaks, wuschen ihre Strümpf,
einer wollt ne Waschmaschin‘, da waren es nur noch fünf.
Fünf kleine Landfreaks kauften einmal Bier
einer brachte die Flaschen zurück, da warens nur noch vier.
Vier kleine Landfreaks machten ne Dealerei
die Bullen haben das geschnallt, da warens nur noch drei.
Drei kleine Landfreaks, kochten einmal Brei
einer wollte Wurst dazu, da waren es nur noch zwei.
Zwei kleine Landfreaks, wollten sich mal lieben
das zog sich über Jahre hin, das waren es wieder sieben!
Krauts Zupforchester
Ulli Freise, Hartmut Hoffmann und Thomas Ziebarth machten sich gemeinsam auf den Weg nach Indien. Sie waren etwa ein Jahr unterwegs und auf dem Rückweg nach Gießen blieben sie in Heidelberg hängen. Sie lernten Barby Grosse und Lutz Berger kennen, die sich der Gruppe anschlossen und der Rest wurde Folkmusik-Geschichte[7]. ‚Deutschfolk‘ nannte man das damals. Die Musik der Elstern inspirierte auch andere Musiker, ein Liederbuch wurde veröffentlicht. Dann nahmen die Elstern bei Hansa in Berlin (‚at the wall‘, wo David Bowie sein Album Heroes produziert hatte) ihre erste Schallplatte auf. Es folgten weitere Veröffentlichungen.
Bassist Diethard Heß, der ‚Ulli und Fredrik‘ bereits bei ihren Konzerten auf der Burg Waldeck begleitet hatte, pendelte zwischen Gießen und den Elstern-Gigs hin und her. So kam es, dass wir uns im Sommer bei einer Session im ‚Bergwerkswald‘ musikalisch näher kamen. Nach einer langen psychedelischen Nacht fragte mich Diethard, ob ich Lust hätte, mit ihm und Thomas Ziebarth unter dem Namen Krauts Zupforchester ein paar Gigs zu spielen. Die Elstern würden Konzerte in England wahrnehmen, woran er wegen anderer Termine nicht teilnehmen könnte. Ich wunderte mich zwar, dass er mich in Erwägung zog, aber ich willigte ein.
Kurz darauf zogen wir auf eine einsame Lichtung im Schwarzwald, wo wir etwa eine Woche unter freiem Himmel an einem Lagerfeuer kampierten. Wir spielten Tag und Nacht, inspiriert von den gütigen Gaben eines Sadhus, der uns als psychedelischer Zeremonienmeister begleitete. Ich habe keine Erinnerung mehr daran, ob und wann wir je etwas gegessen hätten. Aber in dieser Woche lernte ich etliche Lieder aus fünf Jahrhunderten: Vagantenlieder, Moritaten, deutsche Mystik, selbstkomponierte Tänze und andere Folksongs, von denen mein Langzeitgedächtnis manche bis heute rezitieren kann.
Via Bundesbahn-Schlafwagen gingen wir dann auf Tour. Bei unserem ersten Auftritt im Nörgelbuff in Göttingen wurden wir um die Gage gelinkt, dann spielten wir in Clausthal-Zellerfeld vor ca. achthundert Bergbau-Studenten im Audimax. Irgendwann landeten wir für zwei Konzerte in Stuttgart. Weitere Etappen sind mir entfallen oder ausgefallen, aber bei unserem letzten Auftritt, einem Stadtfest, standen wir auf der Bühne vor dem Bonner Rathaus und spielten Drei Chinesen mit dem Kontrabass, was perfekt zu uns passte: Thomas Ziebarth spielte die Bouzouki, Diethard Hess sein Guitarrón, einen mexikanischen 6-Saiten-Bass, und ich spielte meine Gitarre.
Als die Elstern aus England zurückkamen, waren wir plötzlich zu viele auf der Bühne.
Ich, für meinen Teil, meinte genug gelernt zu haben und tingelte alsbald alleine durch die Einkaufsstraßen, gelegentlich begleitet von meinem musikalischen Backbone Peter Markl. Oder von Norbert aus unserer Michelauer Nachbar-WG, der mich mit seinem Bus herumfuhr und meine Darbietungen mit seinem riesigen schwarzen Hund bewachte, was mir manchen Ärger mit Besoffenen ersparte.
Eines Tages, auf dem Rückweg von einer Tour, kam mir in Norberts Bus eine Melodie in den Sinn, die mich tagelang nicht verließ. „Krocodiles“ ist eine melancholischen Kiffer-Ballade, die ich mit Peter Markl zusammen sang und die auf der Schallplatte „Musik aus dem Odenwald“ (Der Grüne Zweig Nr. 50) veröffentlich wurde.
Krocodiles (Oigen 1975)
There’s a song in my ear salty like tears of a krocodile there’s no smile and – there is no face in the mirror. When I come home I am so alone there’s no one the dish ist not done and there is no word on the paper.
I’m sitting down, smoking alone green green grass it’s a heavens mess but l’ve lost the key of fortune.
Oigen, der Sänger vom Frankenschlag
Mit meiner jungen Familie war ich mittlerweile auf einem Hügel südlich des Vogelsbergs gelandet. Auf meinen Wanderungen hatte ich dort ein achteckiges turmartiges Gebäude entdeckt, das der Anthroposoph Kurt Theodor Willmann in den dreißiger Jahren eigenhändig aus Vogelsberger Basalt erbaut hatte. Die Fensterbögen aus Tuffstein waren anthroposophisch-künstlerisch ausgestaltet. Der ‚Frankenschlag‘ wurde für die nächsten Jahre unsere Heimat. Auf diesem Hügel, etwa zwei Kilometer vom nächsten Ort entfernt, lebten wir als Aussteiger ohne fließendes Wasser und ohne Strom. Ich hoffte D. H. Thoreaus Idee von Walden oder Leben in den Wäldern in der Familie nacherleben zu können. Wir hatten ein Stück Land, das wir zum Teil urbar machten. Das Heu der Wiese überließen wir der Nachbarkommune, die uns dafür Käse und Brot gab. Mit dem Maler Karl Möller gründete ich die Vogelsberger Kunstgenossenschaft. Meine Tochter kam auf dem ‚Frankenschlag‘ mit der aufgehenden Julisonne zur Welt. Die Hebamme schaffte es gerade noch im letzten Moment zu uns auf den Berg. Kaum war sie weg, vergrub ich die Nachgeburt im Komposthaufen, auf dem im nächsten Jahr besonders gutes Marihuana wuchs.
Vom Frankenschlag aus brach ich als ‚Oigen, Sänger vom Frankenschlag‘ zu meinen Raubzügen auf. Meist spielte ich Lieder aus dem Repertoire der Elster Silberflug, aber auch englischsprachige Folk-Songs. Mit der Zeit spürte ich jedoch eine gewisse Unzufriedenheit mit meinem Programm und versuchte, eigene Lieder zu schreiben, Bob Dylan-Songs in deutscher Sprache zu interpretieren und begann, Tolkiens Gedichte von aus dem ‚Herrn der Ringe‘ zu vertonen. 1978, fand ein Konzert statt, zu dem viele Musiker der Odenwald-Region[8] unplugged auftraten, Peter Markl und ich waren auch dabei.
In den Liner Notes zu „Emma Myldenberger“ 1978/2005 schreiben Walter Nowicki und Michel Meyer über „Musik aus dem Odenwald“ (Der Grüne Zweig 50):„(…) Sie enthält Ausschnitte des Festivals vom 24. und 25.9.1977 in der Gewerbeschule Weinheim, aufgenommen von Günter Pauler, dem Inhaber des Stockfisch-Labels, und abgemischt von Mitveranstalter Hermann von Löwensprung. Gefeiert wurde damals der siebte Jahrestag der Gründung von Werner Piepers Buchverlag Grüne Kraft. Die LP erschien in zwei verschiedenen Hüllen: Die eine wurde von Thomas Ziebarth gemalt, bekannt von Elster Silberflug (www.elster-silberflug. de) und Turwan her, die andere von Cornelius Fraenkel. (…) Auflagen: je 500 Stück. Im Jahre 2003 gab es „Musik aus dem Odenwald“ dann auch auf CD (Sireena 2018), und zwar mit eingefärbter Hülle (die Fassung von Thomas Ziebarth) und fettem Heftchen im Digipak. Der Silberling enthält sieben Zusatzstücke, allerdings keines von Emma Myldenberger. Weitere Gruppen dort unter anderen: Odenwald-Express (mit Ax Genrich, Biber Gullatz, Seppl Niemeyer, Reines Pauker u.a.), Marktplätzchen (mit Biber Gullatz, Reines Pauker, Ax Genrich, Jogi Karpenkiel und Seppl Niemeyer) und Zeitenwende (mit Ax Genrich u.a.).„
Mani und Gunhild Deis-Friese, die zufällig beim Konzert vorbeischauten, wurden auch auf die Bühne gebeten und sind mit ihrer Version von „Es geht über den Main eine Brücke aus Stein“ unvergesslich geblieben.
Straßenmusik…
„Tingeln“, wie wir Straßenmusik nannten, war mir deshalb am Liebsten, weil es für mich relativ stressfrei war. Es musste niemand stehen bleiben und jedem stand frei, meinen Vortrag zu belohnen. Natürlich half ich mit Sprüchen wie Sowie das Geld im Koffer klingt, der Sänger gleich viel besser singt kräftig nach.
Manchmal mit, manchmal ohne Peter Markl spielte ich mittlerweile ein Programm aus Liedern der Elstern, internationalen Folksongs, Dylan, Donovan und immer mehr eigene Lieder. Vor alten Damen konnte ich herrlich Dat du min Leevsten bist schmachten. Ich hatte kein schönes, aber ein lautes Organ und verdiente nicht schlecht, wenn ich an einem bitterkalten Wintertag auf dem Nikolausmarkt in Stuttgart sang oder an brüllendheißen Sommertagen in der B-Ebene der Frankfurter Hauptwache jodelte. Einmal vermerkte die Nachtausgabe der Abendpost in der Lokalrubrik: ‚Er ist wieder da!‘ Mein Lied, das meine Pausen ankündigte, hieß: „Für die Leute“
Da meinen Zuhörern die altdeutsche Sprache mancher Lieder kaum verständlich war, begann ich, die Lieder zu erklären. Dadurch blieben immer mehr Leute stehen. Der künstlerisch frustrierende Haken war: Sowie ich das angesagte Lied zu singen begann, löste sich die Traube auf und es blieben nur ein paar Schulmädchen vor meinen Gitarrenkoffer sitzen. Also wurden meine Ansagen, die ich im Talking-Blues-Stil vortrug, immer länger und verdiente so das Geld, das wir dringend brauchten, denn wir lebten damals zu viert von kaum vierhundert Mark im Monat.[9]
Das Forum, eine Location der Stadtsparkasse Frankfurt, lud mich zweimal ein, bei der Eröffnung einer Ausstellung zu spielen. Ich erinnere mich auch an eine Veranstaltung in der B-Ebene der Hauptwache, „Jazz am Mittwoch“ oder so ähnlich. Ich stand da mit meiner Gitarre und war gerade am Erzählen[10]. Die Leute lachten und warfen Geld in den Koffer, bis irgendein Blödmann auftauchte, um meine Show zu stören. Der Typ baute sich mit einem fetten Stereoradio vor mir auf, drehte es immer lauter und begann dazu zu grölen. Er war besoffen, hatte seinen Spaß und ich vermisste Norbert mit seinem großen schwarzen Hund. Um uns herum stand eine große Traube von etwa 100 Leuten. Alle schauten gespannt zu, aber keiner traute sich etwas unternehmen. Ich war ratlos. Ich wusste zwar, dass ich hier auf der B-Ebene als Unikum Narrenfreiheit genoss, aber nur geduldet von mächtigeren Kräften aus der Kaiserstraße.
Der Typ war echt besoffen. In meinem mittelalterlichen Lied ging es um Liebe, Gram, Schmerz und Tod und so sang ich immer lauter. Das traurige Lied triefte wie altes Fett einer Sachsenhäuser Pommesbude, worauf der Typ das Radio schließlich leiser drehte und zuhörte. Plötzlich hörte ich Schläge und Trampeln. Der Spinner begann, sein gutes, vermutlich frisch geklautes Stereoradio zu zerdeppern. Er trampelte darauf rum, denn ich hatte ihn (vermutlich mit dem Lied: Es taget in Österiche) voll unter Gürtellinie erwischt. Nun schämte sich der Suffkopf, trat nochmals auf sein Radio und warf es in einen Papierkorb. Dann kam er nach vorne in den großen Kreis, der sich um mich gebildet hatte und legte sich auf den Boden, direkt vor meinen Gitarrenkoffer. Da lag er nun, lieb und brav, und lauschte meinen Gesängen. Ich sang weiter und die Leute klatschen erleichtert. Ein Geldregen flog über den Burschen am Boden in meinen Koffer hinein.
Währenddessen fingen einige Techniker vom Hessischen Rundfunk damit an, eine Bühne aufzubauen. Sie hatten schon die ganze Zeit hinter mir gewerkelt und begannen große Scheinwerfer aufzustellen. Richtig dicke Dinger. Für die Herren Techniker war ich nur ein Hanswurst und so schoben sie mich von hinten zur Seite und störten meinen Vortrag. Ich selbst bin von Natur aus friedlich, aber mein neuer Fan am Boden vor meinem Koffer war es nicht. Ich sang gerade Avecce la Mamotte als er sah, wie die Roadies mit mir umsprangen. Für seinen Zustand unglaublich flink stürzte er sich auf den nächsten Techniker und schlug zu. Er traf und legte sich dann wieder wie ein braves Hündchen vor meinen Koffer. Ich sang gerade „…und wenn ich einst gestorben bin /Avecce la mamotte – als die Techniker auf meinen Fan losgingen. Der setzte der sich professionell zur Wehr, unterstützt von bisher unbekannten Randgestalten. Es entstand ein großes Geschubse, während ich weiter sang und mit einem Fuß versuchte, meinen Gitarrenkoffer zur Seite zu schieben. Manche Zuhörer schrien hysterisch, andere lachten Tränen. Ein großer Scheinwerfer stürzte um und zerknallte laut. Während Schläge ausgeteilt wurden und meine Zuhörer auseinanderstoben, versuchte ich meinen Gitarrenkoffer mit dem Geld in Sicherheit zu bringen. Dann war alles vorbei und ich verzog mich. Adrenalingeschüttelt packte ich meinen Kram und trampte heim, wo ich total erschöpft wie üblich für drei Tage zum Pflegefall wurde.
Mein Song Nur ein Penner frei nach Only a Hobo von Bob Dylan entstand nach anderen Erlebnissen an der Frankfurter Hauptwache.
Nur ein Penner (Oigen, 1975) Als ich einmal an der Hauptwache steh‘, taten mir die Füße weh, ich setzte mich an die U-Bahn Ecken da sah ich einen Penner verrecken. Ref: Es ist nur ein Penner wen stört das schon Sang sein Leben keinen rechten Ton niemand beweint ihn das ist nun der Lohn es ist nur ein Penner wen stört das schon. Am Abend in den Park getrollt die Zeitung untern Kopf gerollt mit den Kumpels hat er die Flasche geteilt und nur beim Essen hat er sich beeilt Ref: Es ist nur ein Penner … Es braucht nicht viel zu sehen wie ein Leben verrinnt wie manch einer täglich neu beginnt und abends liegt er wieder im Dreck und die Flasche ist leer und das Geld ist weg. Ref: Es ist nur ein Penner … So nehm‘ ich den Alten bei der Hand, erzähl‘ ihm was von ’nem gold’nen Land wo der Schnaps und der Rotwein billig ist und ihm keiner auf seine Sachen pisst. Es ist nur ein Penner wen stört das schon sang sein Leben keinen rechten Ton niemand beweint ihn das ist nun der Lohn, es ist nur ein Penner wen stört das schon.
Die Grüne Raupe
Die psychedelische Revolution war der Nährboden der Landkommunen-Bewegung. Diese war eng verzahnt mit der Antiatomkraft-Bewegung und bildete das Rückgrat dessen, was sich ursprünglich unter dem Grünen Banner versammelt hatte. Der ‚Achberger Kreis‘, Robert Jungk, Josef Beuys (den ich in Kassel und Gießen erlebte) Philosophen, Künstler und weitsichtige Köpfe fanden zusammen, um über eine ökologische Gegenbewegung zur etablierten Politik zu diskutieren. Tausende junger Menschen hatten auf ihren inneren Reisen erfahren, dass das Leben auf diesem Planeten ein vernetztes, sensibles Gebilde ist. Die Botschaft hieß: das planetare Mutterschiff GAIA retten! Jeder machte sich auf seine Weise auf den Weg – doch leider wurden manche Wege zum Irrweg, wie sich später herausstellen sollte.
Der Wahlkampf der GRÜNEN wurde von dem Konzertveranstalter Fritz Rau unterstützt, der viele Musiker via ‚Grüne Raupe‘ auf den Weg zu dem Salat schickte, den uns die GRÜNEN heute servieren. Aber am 6. März 1983, nachdem klar war, dass es die GRÜNEN als Partei in den Bundestag geschafft hatten, standen wir noch begeistert auf der Bühne: Zeitenwende (die neue Formation von Ulli Freise), Bernies Autobahn Band, Konstantin Wecker und andere, die die ‚Grüne Raupe‘ begleitet hatten, sangen The Times They Are A-Changing. Niemand ahnte zu dem Zeitpunkt, dass diese Partei zu olivgrünen Transatlantikern mutieren würde, die eines Tages sogar Waffenexporte gutheißen könnte.
Die Zeiten müssen sich ändern Oigen 1977 Frei nach Times they are a’changing von Bob Dylan (Überarbeitung 2024)
Kommt her ihr Leute woher ihr auch seid, macht die Ohren auf und seid bereit, wir stecken hier bis zum Hals im Dreck, so weiter machen hat keinen Zweck. Wir packen es jetzt oder wir packen es nie, denn die Zeiten müssen sich ändern.
Ihr Lobby-Karrieristen im Bundestag wir schließen mit euch keinen Vertrag ihr seid besoffen und ihr seid von Sinnen und ihr wollt die ganze Welt gewinnen. Macht den Weg frei, verschwindet, geht zu dem der euch bezahlt, denn die Zeiten müssen sich ändern.
Ihr Schreibtischmörder der Wissenschaft, die halbe Welt habt ihr hingerafft, mit Gift und Schwindel und falschen Prognosen, jetzt sitzt ihr da und scheißt in die Hosen, Hört auf, was ihr treibt ist schwarze Magie denn die Zeiten müssen sich ändern.
Und ihr Schreiber und Hetzer im ganzen Land schon einmal habt ihr alles verbrannt, den nächsten Krieg kündigt ihr bereits an einen Krieg, den niemand gewinnen kann. Verpisst Euch, es reicht, genug ist genug, denn die Zeiten werden sich ändern.
Öko-Ambitionen und Protestlieder
Die Landkommunen-Bewegung der 1970er Jahre war ein bundesweites Phänomen, über das Soziologen vermutlich schlaue Texte verfasst haben. An manchem Wochenende pilgerten Massen von Suchenden in den Vogelsberg, meist zum Altenfelder Hof (bei Gedern), den der Maler Karl Möller mit seiner Familie bewirtschaftete. Sie wollten etwas von Gartenbau und Ziegenzucht erfahren oder ein Haus mit Hof finden, um dort ihre Städter-Träume zu verwirklichen, bis dann der Holzwurm die Hütte und der Wind die Scheune zerlegen würde. Wir organisierten den gemeinsamen Einkauf von BIO-Food, teilten die Ernte der Gärten und andere Erzeugnisse. Die Männer redeten viel schlaues Zeug wenn der Tag lang war, bis ihnen die Frauen mit vollkommen unkreativen Alltäglichkeiten wie Wollwäsche waschen und Holz holen auf die Füße stiegen.
Das Leben auf dem Land brachte auch manchen Ärger mit sich, nicht nur wegen ideologischer Streitigkeiten in Sachen Kinderernährung. Zum Beispiel hatten wir auf dem Frankenschlag Probleme, weil wir während Schleyer-Fahndung öfter von Polizei-Wagen besucht wurden, was die Dörfler gegen uns noch misstrauischer machte. Damals wurden alle Land-WGs und jede Aussteigerfamilie bundesweit verdächtigt, den von der RAF gekidnappten Arbeitgeberpräsidenten Schleyer im Keller versteckt zu halten. Ein andermal besuchte die Polizei unser Grundstück, um unseren Kompost mit den drei riesigen Graspflanzen zu inspizieren. Sie waren vermutlich von einem Landwirt mit dem ich Ärger hatte darauf hingewiesen worden. Also zeigte ich auf dessen rotleuchtendes Feld im Tal und erklärte den Beamten, dass der Bauer dort großflächig OPIUM anbauen würde. „Den sollten sie sich mal näher anschauen“, rief ich ihnen nach.
Irgendwann reichte es mir. Da wir unser Trinkwasser häufig am Brunnen im Innenhof der Büdinger Schlosses in drei 15-Literkanister abfüllten, besuchte ich bei der Gelegenheit die Polizeistation und fragte nach dem dortigen Chef. Der hatte natürlich schon von uns gehörte. Ich erklärte ihm, dass wir friedliche Leute wären, die biologischen Landbau betreiben. Ich würde ansonsten für eine Landwirtschaftszeitung namens KOMPOST schreiben und gelegentlich als Straßensänger auftreten. Wir hätten aber keinen Herrn Schleyer im Rübenkeller und besäßen keine Waffen, außer der alten Sense, an der ich mir kürzlich den Daumen verletzt hätte, die aber selbst für einen Bauernaufstand absolut untauglich wäre. Von da an war Ruhe. Kommunikation heißt das Zauberwort!
Die Zeit im Vogelsberg und die Erfahrung mit dem, was ich auf dem Land erleben sollte, inspirierten mich dazu zwei alte Lieder umzuschreiben, die mein Programm alsbald erweiterten. Nach der Melodie von ein Klein wild Vögelein fragt sich ein bislang Raiffeisen-gläubiges Bäuerlein, ob er nicht nach allen Regeln der Kunst verarscht wird? Der Hintergrund: Innerhalb weniger Jahre wurde eine Vielzahl Bauern in den Konkurs getrieben, während Monsanto-Raffkes die Landschaft flächendeckend vergiften und ruinieren durften, unterstützt von jenen kriminellen CSU-LandwirtschaftsministerInnen, die nichts unternahmen, um das Aussterben von Bienen und Tausenden anderen Pflanzen und Tieren zu verhindern. Gewinner sind Großagrarier, die ihre Schäflein (von Brüssel fett vergoldet) im Trockenen haben, während das deutsche Landvolk in seiner großgemusterten Wohnzimmertapetenhölle sitzt und sich fragt, warum es die Jugend in die Stadt zieht. Wir waren die Jugend, die aus der Stadt kam. Mit vielen Flausen, aber Fleiß und Mut und Liebe zum Land. Doch man hat uns argwöhnisch bespitzelt und unsere Weigerung, ein schickes, neues Auto zu fahren kam in der Wertewelt der Landbevölkerung einer Gotteslästerung gleich. Und es machte uns verdächtig.
Ich denke, dass die meisten, die damals in Landkommunen und anderen Gemeinschaftsformen versuchten, einen neuen Lebensweg experimentell zu erforschten, ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Jetzt bleibt uns nur zu hoffen, dass sich die Tennessee Wiggler und andere Würmer, die wir in unseren Komposthaufen im Vogelsberg hegten, tüchtig vermehrt haben, um die industriellen Agrarsteppen eines Tages neu zu beleben.
Das Bäuerlein (Oigen /Trad. 1976), nach der Melodie von „Klein wild Vögelein“
Es saß ein kleines Bäuerlein auf seinem großen Felde es weinte leise Stund um Stund‘ verstand nit mehr die Welte. Ihr Herren von der Industrie, ich hab doch all ’s gegeben was der Boden braucht, wenn’s Korn ihn schlaucht, doch will er nit mehr leben. Dann gib ihm mehr von dem Nitrat und all den guten Sachen, er wird schon wieder leben bald und du wirst wieder lachen. Die Lerche singt schon lang nit mehr, der Wurm ist ausgestorben Ach ihr Herrn, ich will nit mehr, ihr habt mirs Land verdorben. Wo’s doch so viele hundert Jahr, uns alle gut tät nähren Jetzt isses tot, kein Wurm mehr drin, ich begrab‘ mein Land in Ehren.
Das zweite Lied aus meiner Vogelsberger Zeit bezieht sich auf die alte Tradition (der Schweden und Kaiserlichen) über das Land zu ziehen, um die Landbevölkerung auszuplündern. Heute sind es die Agrar-Industrie und die Banken, die dem Bäuerlein den Pakt mit dem Teufel zur Unterschrift vorlegen.
On the Road
Eines Tages, nach einem Familienbesuch, lief ich über den Seltersweg, die Gießener Einkaufsstraße. Vor dem Karstadt standen Mani und Gunhild und sangen mit ihren sanften Stimmen. Wie bereits erwähnt waren die beiden auch bei dem „Musik aus dem Odenwald“-Konzert dabei gewesen.
Einige der Lieder, die sie spielten, waren aus dem Silberflug-Repertoire und so stellte ich mich zu ihnen und sang mit. Da ich an dem Nachmittag ein Vorstellunggespräch haben sollte, trug ich meinen grünen Cord-Anzug, in dem ich geheiratet hatte. Im Gegensatz zu mir haben Mani und Gunhild wunderschöne Stimmen, aber ich hatte meine Sprüche drauf und machte den Zuhörern deutlich, dass der Künstler nicht vom Lied allein leben würde. Was ich nicht wusste war, dass mich auch der Geschäftsmann hörte, bei dem ich mich am Nachmittag vorstellen sollte. Wie ich die Leute dazu brachte stehen zu bleiben um ihre Taler in den Gitarrenkoffer zu werfen, schien ihn zu beeindrucken. Er sah in mir wohl den geborenen Verkäufer und gab mir den Job was kein Fehler war, denn im folgenden Jahr sollte er an mir viel Geld verdienen.
Auf diesem Weg fand ich meinen Broterwerb und wurde für die nächsten 25 Jahre ‚Handlungsreisender‘, eine Tätigkeit, die sich perfekt mit meinen überregionalen Vernetzungsambitionen verbinden ließ. Nach meiner Arbeit war ich bundesweit in Projekten, bei Freunde und Landkommunen zu Gast und erzählte in alter Bardentradition Geschichten. Manchmal, wenn es sich ergab, sang ich auch noch auf der Straße.
Die Lü-Leut
Im tiefen Odenwald standen die Tipis der Lü-Leute, einer fränkischen Korbflechter-Gemeinschaft, die für mehrere Jahre mit Zirkuswagen und Indianerzelten in Deutschland unterwegs war. Ob ich sie in ihrem Winterlager traf oder beim großen Sunwheel Gathering[11] – wann immer ich kam, hatten sie ein Tipi für mich, wenn ich nicht im Bus schlafen wollte. Die Lü-Leute bauten große Öfen und kochten auf Festivals und bei Veranstaltungen. Sie waren Deutschlands Hog Farm-Kommune. Sie lebten mit ihren Kindern ganzjährig wie Nomaden im Freien und wenn ich kam, gab es in einem mollig warmen Zelt oder Wagen süßen, schwarzen Tee, Geschichten und Kräutelein, bis das Häuptelein[12] zerbarst.
Laufi[13] von den Lü-Leuten erzählt im nachfolgenden Text, wie mich die Truppe damals erlebt hat.[14] Heute nennt man das Fake-News, denn ich besaß nie eine Fransenlederhose, geschweige denn einen BMW, aber lassen wir Laufi mal den Lauf, denn damals war es üblich, sich humorvoll zu karikieren.
„Auf unserer mittlerweile vier Jahre dauernden Fahrt mit Treckern, selbstgebastelten Planwagen und Tipis von der Ostsee in den bayerischen Wald machten wir eines Tages Pause am Freibad in Rothenburg ob der Tauber. Mit einer 30 km Etappe hatten wir für heute eh genug Strecke zurück gelegt, die Kinder quengelten und es wurde Zeit, das Tipi aufzuschlagen und ein Abendessen zu kochen. Es war kein Trinkwasser mehr da, und so marschierte Kattel mit Kanistern los. War es ihr rot-grün-blau geringelter Minirock oder einfach nur das Gewicht der mit jeweils 20 Liter Wasser gefüllten Kanister- auf jeden Fall wurde sie auf dem Rückweg von einem etwas verwegenen, jedoch freundlich-schüchtern grinsenden jungen Mann begleitet, mit Rucksack, über der Schulter hängender Gitarre und den schweren Wasserkanistern. Er trug eine nagelneue Fransenlederhose (an dessen Seite ein teures Messer baumelte), außerdem trug er ein Pfadfinderhemd mit Elvis Presley-Badge.
Im Tipi brannte bereits das Feuer und so luden wir ihn ein auf eine Tasse Tee mit Milch und viel Zucker. Das war das erste Mal, dass wir den Oigen trafen, und es sollte in, von gutem Schicksal geleiteter Regelmäßigkeit, in den folgenden Jahren immer mal wieder vorkommen, dass sich unsere Wege kreuzten. Doch ich will nicht vorgreifen. In jenen frühen 1980er Jahren reiste er als fahrender Musiker durch die Lande. Im Tipi lauschten wir abwechselnd den Klängen seiner Western-Gitarre und den lustigen Geschichten, die er stundenlang ohne Atempause zu erzählen wusste. Wir erfuhren, dass er sich schon lange theoretisch mit dem Überleben in der wilden Natur beschäftigt und dass er ein 37-teiliges Schweizer Messer besaß, einen supertollen Daunenschlafsack ohne Plastik und von einer Überlebensportion Vollkornkekse bis zum Schuhwerk alles dabei hatte, um von heute auf morgen im deutschen Wald zurecht zu kommen.
Wir waren ja irgendwie auf dem gleichen komischen Trip, nur ein bisschen schmuddeliger und mit einem Fernseher und tickendem Wecker im Tipi. Das waren jedoch, wie Oigen gleich richtig bemerkte, nur nette unwichtige Unterschiede aus der materiellen Welt. Im Großen und Ganzen fühlten wir uns gleich als Verbündete. Wir waren ja sowas wie eine fahrende Großfamilie, und nun hatten unsere Kinder plötzlich einen Onkel mehr. Nach drei Tagen verabschiedete er sich mit einem Bob Dylan Ständchen aus Rothenburg. Im nächsten Herbst errichteten wir unser Winterquartier an einem abgelegenen Platz im Odenwald, an den uns Kollege Werner Pieper führte. Jener Pieper war ein Freund von Oigen, und so trafen wir uns das nächste Mal wieder. Wir luden ihn ein, seine Survival-Werkzeuge doch einmal für 14 Tage bei uns in Matsch und Schnee in der Praxis auszuprobieren, mit einem dankbaren Lächeln nahm er an und erschien nur wenig später. Er nächtigte in seiner Hängematte aus dem 3. Welt-Laden, schnitzte den ganzen langen Tag mit den verschiedensten Messern die unsinnigsten Sachen und übte sich im Feuermachen. Die größte Freude bereitete ihm, dass es endlich keine Waschmaschine mehr gab und man die Wäsche im eiskalten Bach waschen musste. Abends am Lagerfeuer philosophierten wir stundenlang über Kommune-Leben, Stammesgesetze und so weiter. Dabei rausgekommen ist schließlich, dass wir unsere Korbwaren, die wir zum Verkauf herstellten, auf seine Initiative hin um fast den doppelten Preis verkauften, weil es plötzlich nicht mehr nur einfache praktische Wäschekörbe waren,, sondern hergestellt mit einem Flair von alternativem Abenteuer und Tipi-Romantik. Oigen lieferte uns all die richtigen Slogans und Schlagwörter dazu, und wir konnten uns endlich wieder Tabak und Kaffee leisten.
Irgendwann zog es ihn dann zurück in seine zentralbeheizte Zwei-Zimmer Wohnung in Gießen, was wir alle gut verstehen konnten. Im Sommer darauf machten wir Station auf einem Indianer-Camp im Allgäu, wo wir Geld verdienen konnten indem wir die Verpflegung der 20 Rothäute und 200 Besucher besorgten. Oigen war, na klar, auch da, ging es doch darum, dass die Indianerhäuptlinge uns deutschen Nachwuchskräften einiges an Wissen zu vermitteln hatten. Ich glaube, einen dieser langatmigen Vorträge hat sich Oigen auch reingezogen. Ansonsten war er zu unserer Erheiterung und Steigerung des Umsatzes meistens hinter unserem Stand zu finden, wo er diesmal hauptsächlich schmutzige bayerische Folklorelieder zum Besten gab. Zwischen den Liedern pries er immer wieder lautstark unser gutes Essen an und redete den Leute die Linsensuppe und das Müsli praktisch in den Mund. Beim abschließenden Schokoladenpudding-Wettessen nominierten wir ihn als Schiedsrichter, und so gewann dann auch das hübsche Mädchen aus Karlsruhe, mit der er heute noch befreundet und die uns dafür dankbar ist.
Im nächsten Jahr verbrachten wir den Winter am Bodensee. Hierher kam Oigen im schwarzen BMW vorgefahren, hinten drin eine Stange, behangen mit der neuesten italienischen und französischen Mode. Auf dem Beifahrersitz ein Aktenkoffer mit verschiedenen teuren Uhrmodellen – er arbeitete mittlerweile als Vertreter und seine Kleidung bestand nun aus einem schicken Anzug, auf den die Männer bei uns gleich neidisch wurden. Als erstes packte er seinen neuen Batterie-Rasierapparat aus, um sich in Laufis Planwagen die Stoppel vom Kinn zu rasieren, dann aßen wir gemeinsam Abendbrot, tranken Unmengen von demselben Tee mit Milch und Zucker, nach dem Oigen mittlerweile süchtig geworden ist, lauschten seinen neuesten Hits auf der Gitarre und dann musste er auch schon wieder weiter zur nächsten Boutique, denn die Termine drängten. Wir waren alle neu eingekleidet mit blütenweißen Overalls, dessen praktische Vorzüge Oigen in einem 20minütigen Redeschwall erklärte.
Ich könnte jetzt noch weitere Begegnungen mit ihm schildern, doch würde das wohl den Rahmen sprengen. Er hat bei uns jederzeit einen Stammplatz an der Tipi-Feuer Runde, kriegt immer was zu essen, wir .freuen uns darauf, mit ihm jederzeit den größten Quatsch und auch die vielen verzwickten Dinge des Universums zu besprechen, werden bei jedem Besuch reichlich mit seinen Liedern, der guten Laune und praktischem Schnickschnack wie elektrischen Zahnbürsten, die er zur Zeit verkauft, überhäuft. Jawoll, er ist ein Teil von diesem nervenaufreibendem Leben auf deutschen Landstraßen und versteckten Waldparkplätzen. Und da gehört er hin.“
Eine Erinnerung habe ich auch noch dazu: Als die LÜ-Leute im Eiterbachtal lagerten, spielte ich in Mannheims Innenstadt meine deutsche Version von ‚Proud Mary‘ – „Rollen wie die Steine“. Die dritte Strophe geht so: „Ich ging dann hinten in die Wälder / wo die Leute in Tipis leben / Die haben kaum zu essen / doch immer was zu geben / ich sag ihnen Dankeschön…und dann der Refrain: Große Räder werden sich drehen / und du wirst dich leben sehen – und rollen / rollen wie die Steine.“ Nachdem ich das Lied beendet hatte, kam ein Mann näher, der eine Weile zugehört hatte. Er fragte mich, ob hier wirklich irgendwo Leute in Tipis leben. Ich sagte. „Klar, im Eiterbachtal, für die singe ich hier!“ Das war der Tag, an dem der erste 20-Mark-Schein in meinen Koffer flatterte.
Netzwerker
Durch meine berufliche Tätigkeit war ich ständig in ganz Deutschland unterwegs. Ich stellte Kontakte zwischen Gruppen her, erzählte den aktuellen Tratsch, brachte meine Geschichten unter die Leute und nachts am Feuer sangen wir zur Gitarre. So, wie auf der einsam gelegen Waldlichtung bei Langenschiltach im Schwarzwald. Dort fanden große Sommertreffen statt, Ferienlager für die Kinder unserer Familien oder Workshops unter Anleitung traditioneller Indianer, wie dem Lakota Brave Buffalo oder Philipp Deere. [15] Oder im Schwäbischen: Dort leitete Julian Pawlik Bioenergetik-Workshops und im Fränkischen konnte, wer Mut und Nerven hatte, bei Raymond Martin[16] reinschauen. Ich erinnere mich auch an Jam-Sessions mit Rainer Ehrenpreis in Jagsthausen, zur Anfangszeit der von Dieter Duhm inititierten ‚Bauhütte‘.
Einerseits genoss das Vagabundieren, aber gleichzeitig hatte ich mein Brot zu verdienen. Die Arbeit wurde härter, das Fahren stressiger, mein Pensum immer größer. Und wie das, was mal unsere Szene war zerfiel, verflüchtigte sich auch mein Bedürfnis, ständig bei Freunden auf dem Fußboden oder Sofa zu schlafen. Ich war sehr müde, ging deshalb zum Übernachten immer häufiger in Pensionen und genoss es, für mich zu sein. Ich brauchte Ruhe.
DAOBLUES
Etwa 1980 hatten einige Freunde begonnen, Tai-Chi Kurse zu besuchen. Auch mir wurde das dringend empfohlen. Der Master of Tao, Gia Fu Feng, published bei Random Hause mit seiner I Ging- und Tao Te King-Version, einstiger Tai Chi Lehrer im Ensalen Institut und wie man munkelte Ex-Lover von Joan Baez, war einer der letzten Meister seiner Tai Chi Tradition. Jährlich besuchte er Europa und insbesondere seine Schüler in Deutschland, was ihm Mittel verschaffte um sein Bootcamp auszubauen, das in der Nähe von Colorado Springs am Rand eines Nationalparks lag. 1982 war ich in Colorado für 10 Tage sein Gast von Gia Fu Feng, der 1985 verstarb. In dem Workshop, den ich vor meiner USA-Reise in der Nähe von Koblenz besucht hatte, übten wir kaum Tai Chi, sondern stromerten durch die Wälder. „Ten miles a day“ war Gia Fu‘s Mantra. Am letzten Abend erlebte ich eine unvergessliche Gitarren- und Trommel-Session mit einem amerikanischen Schüler von Gia Fu, der aus England angereist war. Am nächsten Morgen malte Gia Fu Feng jedem seiner Schüler zum Abschied eine Kalligraphie. Der kleine Mann stand hinter einem alten Holztisch, darauf eine Vase mit ein paar Blumen mit Gräsern. Mit Pinsel und Tusche malte er chinesischen Zeichen auf ein Papier. Sein Tun war so schlicht wie vollkommen und ich war plötzlich in Tränen. Er schrieb:
“Every Lift of Hand, every step of feet, there is nothing, thats not Dao.”
Ich bekam einen totalen Flash. Alles in meinem Leben, all die Wechselbäder meiner kleinen karmischen Welt, schienen ihren Sinn haben und waren Teil meines Weges. Es haute mich schlichtweg um und ich heulte Rotz und Wasser. Dann wieder musste ich lachen, als wäre ich übergeschnappt. Die anderen schauten mich kurz an, aber fast jeder aus der Gruppe war irgendwann während des Workshops mal ausgeflippt, also war das OK. Ich beruhigte mich und mein Satori verflüchtigte sich schneller, als es gekommen war. Aber zuvor schrieb ich noch das nachfolgende Lied:
Daoblues Oigen 1981 für Gia Fu Feng
My mindfuck got a diarrhoe I’m sucking asshole in I’m tired just like you and me and nothing for to win everything is Bullshit, you know what I mean whats the difference between BHAGWAN and JIM BEAM it’s the teatime-party, makin‘ me smarty this is the stuff making me tough: Ref: But every lift of hand and every step of feet there’s nothing that’s not DAO, thats the point I bleed Tears from my eyes, belly shakin‘ free what was the price to meet – just me. Gotta pain in my belly, gotta tremblin in my feet the blood is running ralley, an epileptic beat a mountain full of anger, suffering abnorm brain ful1 of mindfuck, feeling like a storm I lost all hope, I lost all faith, always in trouble with the Hoochie Coochie maid Ref: But every Iift of hand . . . Where fox an deere meet, we have our dinner and who is eating less, he is the winner we creep through the mud and stumble through the water you don ‚t remember if you son or daughter we walk ten miles in an three hours and twenty loosing everything and getting plenty Ref: Cause every Iift of hand . . . Now I do slow down and have a little tea and do my work in consciousness of be or not to be Feng once said: Have shit or not theres nothing in between I try to have my shit in time, that’s my way to clean I drive a/ong to Frankfurt then we’re going home l ‚m happy and l ‚m thankful not anymore alone Ref: Cause every Iift of hand . .
Peter Wong
Anfang der 1980er Jahre war ich oft in Schriesheim bei Peter Markl zu Gast. Seine Frau Jan Hutchinson, eine Engländerin, kochte uns regelmäßig englische Nationalspeisen. Dazu betranken wir uns und spielten Songs von Credence Clearwater Revival, die mir sonst stets ein Gräuel waren. Wir versuchten uns auch an Soulbrother Clifford von den Equals, Running Bear von Johnny Preston und anderen alten Hits. Peter, der längst zum Punk mutiert war, spielte hin und wieder Dylan-Songs wie A Hard Rain oder Gates of Eden und zwar in einer Intensität, wie ich sie niemals mehr von einem anderen Dylan-Interpreten gehört habe. Das machte er aber nur so nebenbei, um mich zu ärgern. Musikalisch war er längst woanders, punkte eigene Songs oder spielte geniale Gitarren-Soli a la Hendrix oder Steve Ray Vaughan, was ihm keine besondere Mühe zu bereiten schien. Den Song ‚Peter Wong‘, den ich im Suff zusammen mit Jan textete, haben wir (mit einem traumhaft gespielten Solo von Peter) mal aufgenommen. Der Text war unsere Art, ihm unsere Liebe zu zeigen, denn bereits zu der Zeit litt er an einer unbekannten Immunschwäche, die nach und nach seinen ganzen Körper ergriff und an der er dann leider viel zu früh verstarb. R.I.P.
Peter Wong Jan Hutchinson / Oigen 1982
His name is Peter Wong all know he got a gong he couldn ‚t get it right every bloody night but on the guitar he is strong. But on the guitar he is strong. He is fucking in de kitchen He is fuckin‘ with the cat but the only thing he’s fucking is his stupid head but on the guitar he plays mad, but on the guitar he plays mad. He’s so rude and rough an assholism puff he drinks a lot of rum that’s why he cannot come but on the guitar he is tough, but on the guitar he is tough He spits into the sink shampoes his little thing but when he touch de amp looking like a vamp his guitar starts to sing, his guitar starts to sing.
Petra Kelly
Barbie und Ulli von Elster Silberflug hatten eine neue Gruppe mit dem Namen Zeitenwende gestartet. Je nach Größe des Gigs waren auch Jan Friede (Kraan) am Schlagzeug, die Geigerin Dorle Ferber (vormals Cochise) und andere mit dabei. Manche Gigs machten Barbie und Ulli auch zu zweit, so wie der in Singen, zu dem ich sie in meinem Ford Transit hinfuhr. Im Ratsherrensaal sollten sie anlässlich einer Veranstaltung der GRÜNEN zu spielen. Petra Kelly war als Rednerin angekündigt. Von ihrer Rede waren alle tief beeindruckt. Selbst Ulli, der sonst zu Sarkasmus neigt, begann von dieser friedensbewegten Taube als einer Jeanne D’arc zu schwärmen. So wie uns ging es damals Tausenden von Menschen. Zeitenwende spielte und danach konnten wir mit Petra sprechen, der die Songs sehr gut gefallen hatten. Am nächsten Tag, auf der Rückreise, sprachen wir über diesen Grünen Engel. An einer Tankstelle, bei einer Pinkelpause kaufte Ulli den neuen STERN. Auf dem Cover war Petra Kelly mit Engelsflügeln dargestellt. Da hat uns ziemlich geflippt.
Petra wurde Fan von Zeitenwende und lud die Band zur Tour der Grünen Raupe ein. Deshalb waren sie mit Bernies Autobahn Band und vielen anderen Musikern am 6. März in Bonn, wo die Sinti-Gruppe um Rigoletto Winterstein im Keller der Veranstaltungshalle eine heiße Jam-Session abfeuerte, anstatt sich um die Wahlveranstaltung im Erdgeschoss zu kümmern. Gute Instinkte, könnte man im Nachhinein sagen.
Ich saß damals treu-doof im Saal und hoffte, dass sich die Zeiten wirklich ändern würden. Zeitenwende spielte gerade und alle waren in trüber Stimmung, weil man glaubte, es nicht geschafft zu haben. Aber dann bat der Sprecher um Aufmerksamkeit und plötzlich war klar: Die GRÜNEN sind im Bundestag – und Zeitenwende legte erneut los, während sich die Weltpresse auf Petra Kelly und Otto Schily stürzten.
Vor der Bühne standen Heinz-Rudolf Kunze, Ulla Meinecke und Konstantin Wecker. Nach Zeitenwende spielte Konstantin Wecker. Es war das erste Mal, dass ich ihn live hörte und war von seiner Performance begeistert. Danach folgte Bernies Autobahnband mit Times are a-changing von Bob Dylan. Wir standen gemeinsam auf der Bühne, hatten Tränen in den Augen und sangen mit. Der große Moment meiner Generation und wie sehr haben wir es verkackt!
Der ursprüngliche Spirit der Grünen und die Visionäre der Bewegung wichen bald den Realos und Brutalos a la Joschka Fischer. Kadergeschulte linke Wendehälse sahen ihre Chance und schlüpften aus der Lederjacke ins (später maßgeschneiderte) Öko-Mäntelchen, während Petra Kelly immer blasser wurde. Einmal besuchte ich sie auf Einladung des grünen Bundestagsabgeordneten Herbert Rusche im „Langen Eugen“ in Bonn. Es war eigentlich eine Schnapsidee, Petra so spät heimzusuchen, denn sie war noch bei der Arbeit und wollte nicht gestört werden. Aber als ich begann meinen Talking Blues zu rappen, den ich ihr geschrieben hatte, rief sie in den Nachbarraum: „Gerd, Gerd, komm mal rüber, das musst du dir anhören!“ Langsam und offensichtlich sehr müde kam der ehemalige Panzergeneral Gerd Bastian herüber und ich fing noch mal von vorne an…
Friedenstäubchen Oigen 1982, für Petra Kelly
Ich hab‘ ein Friedenstäubchen getroffen das war vom Hoffen ganz besoffen vom Hoffen auf die bessren Tage wenn wir uns mit Kopf und Kragen wieder in die Sonne wagen. Ich sage Täubchen du bist blau Großmutter war ’ne Natofrau wenn sich Tauben mit Falken paaren sollten sie stets Abstand wahren drum schreib dir hinter deine Ohren der Krieg hat nie nen Krieg verloren. Täubchen trägt die Sprüche heiter ich mach trotzdem friedlich weiter na schön, sag ich du wirst schon sehn wenn wir am demnächst zur Demo gehn da werden Falken deine Federn reißen und du wirst dich in die Hosen scheißen. In Singen auf dem Ratsherrnstuhl traf ich Petra die ganz cool mit sachlich leichtem schnellen Ton die Trilaterale Kommission ins rechte Licht des Abends rückt ich dachte: Frau ich wird‘ verrückt Spitzen-Mutationsagent der Bilderberg und Warburg kennt! Ja, Leute auf, ich geh nach Bonn sagt sie in einem schmackes Ton und lächelt müde, Petra Pretty und verschwindet im Intercity. Ich gehe leise, sagt die Meise 82 auf die Reise und singe Euch mein Lied vom Frieden was habe ich denn mehr zu bieten. Frau, du hast mich angeturnt ich habe was von dir gelernt runter vom Hocker und raus auf die Gasse da wartet schon ne ganze Masse Leute die es müde sind dass die Herrschaft wieder mal spinnt. Ich habe Hoffnung, dass wir’s schaffen und immer mehr setzten sich zur Wehr.
Tja, und dann haben sich Petra und Gerd erschossen, als hätten sie geahnt, was aus den GRÜNEN werden sollte…
Spraydosenblues
Bereits 1976 hatte der Sphinx Verlag in Basel ein kleines Büchlein namens Rotwang von dem Autor Tim Hildebrand veröffentlicht, das mich damals sehr beeindruckte – warum, weiß heute nicht mehr genau. Aber zu der Zeit glaubte ich ja auch (nachdem ich David Bowies Film Der Mann der vom Himmel fiel gesehen hatte), ein Außerirdischer zu sein. Ähnlich, wie die heutige Bundesregierung in Corona-Fragen, haben wir damals die seltsamsten Dinge geglaubt. Jedenfalls trug ich an der Jacke einen Button mit der Aufschrift: „Mutate now, avoid the rush“ – ein Hinweis auf die kommenden Veränderungen der Menschheit. Der Sprayer von Zürich war in den Medien, die US-Straßenkünstler wurden Stars und Tim Hildebrands Gedicht Spraycan Blues inspirierte mich zu einer deutschsprachigen Interpretation, die, wie auch bei meinen Dylan-Interpretationen üblich, wenig mit dem ursprünglichen Text zu tun hat.
Meinen „Spraydosenblues“ habe ich oft auf der Straße gespielt, was bei meinen Zuhörern bisweilen für Irritationen sorgte. Bei Sessions mit anderen Mutanten kam das Lied jedoch so gut an. Carl Ludwig Reichert, zum Beispiel, war zu der Zeit mit der Zündfunk Nachtausgabe auf Bayern 2 sehr populär. Er lud mich ein, meine Lieder live zu singen, darunter auch den Spraydosenblues. Motto der Sendung war übrigens: Erstes Interview mit einem Außerirdischen…
SPRAYDOSENBLUES Oigen 1983, frei nach Tim Hildebrand
Spraydosenblues, oh, ich hab den Spraydosenblues Gib mit ne Dose und ich sprüh‘ Dir den Fuß Ich habe den Spraydosenblues. Ich bin so müde meine Dose ist leer die Läden haben zu wo krieg ich Farbe her da ist ne Brücke auf die bin ich scharf ich werde erblühn wenn ich die sprühen darf Ref: Spraydosenblues… Haste ne Dose dann schreib einen Song die Worte fliegen am besten auf Beton wenn die Schriften flimmern und die Dose wird leer dann bin ich ganz süchtig dann brauche ich mehr Ref: Spraydosenblues… Bridge: Ich laufe durch die Straßen, schaue durch die Massen sprühe schönen Mädchen auf den Fuß laufe durch die Straßen, schaue durch die Massen suche Graffiti mit Vision… Vater und Mutter die hatten einen Kutter auf Deck malten sie Graffitiphilosophie mein Vater ist ein Marsmann, meine Mutter ein Taifun und wollen sie mutieren dann werden sie es tun Ref: Ohh Spraydosenblues… Graffiti an den Wänden Graffiti an den Säulen Schriften auf den Stränden und auf den Autobeulen Graffitivisionen in Stadt und Land die Sprüche der Mutanten an jeder Wand Spraydosenblues Oh ich hab den Spraydosenblues gib mir einer mal nen Kuß ich den Blues in der Nuß. Bridge: Ich schleiche an der Mauer und leg mich auf die Lauer und wenn keiner kommt sprühe ich meinen Spruch die Farbe hat Dauer und wird nicht sauer die Farbe hat einen Fremdlingsgeruch. Oh Spraydosenblues – duaa… oh ich hab’ den SDB – duaaa… Jeder Bus jeder Fuß – kriegt ‘nen Spraydosengruß Babedua duaaaah
Ein anderes Lied aus meinem SF- Zyklus, das ich ebenfalls auf Bayern 2 live in Mikro jodelte, ist meine sehr persönliche Fassung von Dylans „You ain’t goin’ nowhere“ (Jetzt geht es ab…).
Jetzt geht es ab Oigen / Dylan 1980
Der Donner grollt und der Regen tretscht ich bin müde und fühl mich bedetscht es hat keinen Sinn noch aufzustehn wohin sollte ich auch gehn Ouueee noch eine Nacht dann kommt meine Braut so wars abgemacht Ahhh dann geht es los – ab in den Himmel hinein. Ich habe kein Gesicht und bin ein Fliegengewicht meine Taschen sind leer doch das stört mich nicht sehr mein Herz schlägt Reggae wenn es draußen kracht und ich leuchte wie ein Stern wenn meine Liebste lacht Ouuee jetzt geht es ab Du und ich in den Himmel hinein Ah, ich komm in Trapp wir sind nicht allein.
Die Herren der Welt, all die großen Männer sind in Wahrheit auch nur Penner die bei Gewitter und Regentagen müde in der Ecke liegen. Ouuee jetzt geht es ab Du und ich in den Himmel hinein Ah, ich komm in Trapp wir sind nicht allein. Da sind die vielen, die mit mir singen jeder hat ein Lied und läßt es- erklingen bring mir ne Flöte und ne Trommel herbei wir spielen zusammen und singen uns frei. Ouuee jetzt geht es ab Du und ich in den Himmel hinein Ah, ich komm in Trapp wir sind nicht allein. Im Himmel wachsen Dinger wie große Tomaten die muß man kochen die kann man nicht braten das sind die Blas en von reiner Luft die haben einen starken Duft Ref: Ouuueee jetzt geht es ab… Im Himmel gibt es Sterne und die leuchten uns gerne doch eine Geschichte darf man nicht übersehn auch wir müssen wirklich in Liebe erstrahlen denn sonst können die uns nicht sehn. Ref: Ouuuueee jetzt geht es ab … So regnet es also die ganze Nacht doch meine Liebste kommt so wars abgemacht sie fliegt acht Lichtjahre in sechzehn Wochen und morgen werden wir Duftluft kochen. Meine Braut hat ein Ufo das sieht aus wie ein Hund innen ist es weich und außen ist es bunt drinnen kann ich gerade stehn und am Bildschirm kann ich die Planeten sehn Ref: Ouuee, jetzt geht es ab… Ich bin schon oft mit ihr geflogen im ganzen Kosmos rumgezogen doch ein Regen auf der Erde und ein Donner der grollt tausch ich nicht für eine Galaxis Gold Ref: Ouueee, jetzt geht es ab…
Timothy Leary
Dann kam Tim Leary aus dem Knast. Seine erste Auslandsreise führte ihn nach Deutschland. Es war das erste Mal seit fast zehn Jahren, dass er, den Richard Nixon als einen der gefährlichsten Männer Amerikas bezeichnet hatte, die USA verlassen durfte. Hierzulande besaß er noch eine gewisse Popularität, die den ehrenwerten Fritz Rummler vom SPIEGEL veranlasste, zur Berichterstattung anzureisen.
Wir trafen Tim in seinen weißen Turnschuhen in einem Sport Hotel im Sauerland und er brachte kosmopolitischen Stil in die Body-Mind-Spirit-Scene der Tagung, die von etablierten Psychologen dominiert wurde. Bei den Veranstaltungen schaute Tim kurz rein und ging dann aber schnell, wobei er in Richtung des Referenten meist John Lilly zitierte: „Shoot up oder shut up!”
Im Untergeschoss des Hotels gab es einen Entertainment-Raum und Tim versuchte, uns auf die ersten Videospiele anzuturnen, die es damals gab. Der unermüdliche PR-Mann Leary hatte seine neuen Slogans S M I2LE sowie HANDS ON im Gepäck, womit er die Entwicklung der Computerindustrie zu einer Cyberwelt[17]visionär beschrieb – was uns Steinzeit-Kiffer jedoch wenig interessierte: Wir wollten lieber Tischfußball spielen. Als sein Kurzzeit-Roadie fuhr ich Leary in meinem roten Bus herum, zum Beispiel zu einem Fernsehauftritt in Köln, und er lud mich ein, ihn zu besuchen.
Im Herbst 1982 flog ich nach New York. Dort war ich Gast von Wingbow, einer Ex-Hogfarm Chinesin, die Deutschland auf dem Rad Richtung Moskau durchstreift hatte, um der Welt den Frieden zu bringen und nebenbei die Harry Belafante Tour bekochte. Wingbow lebte zusammen mit dem Maler Brand Kingman in dem ehemaligen Flat der Ramones, das in einem der Musikhäuser in Nähe der 43. Straße lag. Die Zeitumstellung machte mir sehr zu schaffen und ich lag bis zu sechzehn Stunden am Tag im Bett. Aber durch die Wände hörte ich Musik aus benachbarten Übungsräumen darunter Patty Smith, Harry Belafonte und die Clash. Sowie ich mich regeneriert hatte, setzte ich mich ins Flugzeug, um Wingbows makrobiotisch-chinesischer Diäthölle zu entfliehen, deren Höhepunkt in den stinkenden Eiern bestand, die Kotzwinkel in seinem Roman Fanman beschrieben hatte.
Ich landete in Denver und machte mich auf den Weg zu Gia Fu Feng, der eine Gruppe junger Deutscher trainierte. Gia Fu bat mich, einige Hühner zu schlachten, wofür seine Jünger offensichtlich schon zu feinstofflich waren.
Für zehn Tage wohnte ich in einer kleinen Blockhütte und trampte dann weiter zur Hopi-Reservation. Großmutter Carolyn Monongye, die mich nach der Frankfurter Buchmesse bei einem Treffen abends in der Brotfabrik eingeladen hatte, kannte ich bereits vom Russel-Tribunal in Rotterdam. Da stand ich nun –vermutlich der tausendste Besucher in diesem Jahr. Mit den jungen Freunden, die sich um Großmutter Carolyn kümmerten, fuhr ich die endlos lange Strecke zu den Maisfeldern, ein Weg den die HOPI einst täglich rannten. Nachmittag kamen einige der Elders zum Kaffee trinken und um Schwätzchen halten. Die jungen Leute in Hotevilla hielten wenig von den alten traditionalistischen Indianern, die verhinderten, dass es im Dorf Elektrizität gab. Als ich Carolyn einmal auf die Post begleitete, schlug ihr – die kurz zuvor auf der Buchmesse als Ehrengast neben dem Dalai Lama die HOPI-Nation in einer Rede über die Zukunft der Menschheit repräsentierte – Unmut entgegen.
Nach ein paar Tagen trampte ich weiter, via Las Vegas Richtung Los Angeles. Dort wartete ich im Alta Cienega Hotel darauf, dass Tim Leary vom Thanksgiving-Essen bei seinen Schwiegereltern zurückkommen würde. Ich verbrachte diese Tage meist in Barnies Beanery, einer Kneipe, vor der Charles Bukowski ausdrücklich gewarnt hatte.
Als Tims Gast schlief ich im Zimmer seiner Frau Barbara Chase. Die beiden erschienen mir wie Hollywoodstars. Barbaras Sohn Zacky, erzählte mir von Woody Allen, David Bowie, Brian Ferry und anderen Besuchern. Auf der Anrichte stand eine Schallplatte von John Lennon mit Yoko Onos handschriftlicher Bitte um ein Feedback. Nachvollziehbar, dass schwer beeindruckt war.
Ich blieb ein paar Tage und fuhr dann nach San Francisco Tom Ruddock, einem Kumpel aus Heidelberger Tagen. Ich hätte Shunryu Suzuki besuchen sollen und mein Leben hätte sich vielleicht vollkommen verändert, aber ich wusste damals noch nichts von dem Meister, der ZEN in den Westen gebracht hatte. Selbst Baker Roshi[18] habe ich erst Jahre später kennengelernt. Stattdessen hing ich bald wieder bei Tim Leary in Hollywood herum und übersetzte ihm den SPIEGEL-Artikel von Fritz Rummler. Eines Abends gingen aus und besuchten das neu eröffnete Hard Rock Cafe in Beverly Hills. Wir trafen ein nettes Paar, junge Filmemacher. Tim Leary hatte im Sommer zuvor mit seinem ehemaligen Erzfeind, dem Oberbullen Gordon Liddy, eine missverständliche Tour durch amerikanische Universitäten absolviert und die junge Dame hatte alles gefilmt. Der Film wurde in Cannes vorgestellt, war aber meines Wissens ein Flop. Es war ein schöner Abend, aber als wir zurück kamen in die Wonderland Ave., hatten die zwei großen Hunde, die Barbara hielt, auf den weißen Teppich geschissen. „Oh Timmiiii“, rief Barbara und Tim, der Commodore einer Generation Sternenreisender, holte Schippchen und Schäufelchen und begann zu putzen. Da wurde mir nochmal klar, dass auch Stars mit Wasser kochen und ihre Hunde Haufen scheißen. Solche Erfahrungen erden und holten die Sterne vom Himmel.
The Commander Oigen 1983
The commander talked to the people I don’t know if he was right he talked about the substance of the evolutionary fight and he must know, he’s so tight he said: shoot up or shut up if you wanna feel allright.
The days up in Star Hotel Lots of body mind and soul the commander is at the bar while we try to hit the goal and we know how, its so tight we shoot in or shut up ‚cause we wanna feel allright.
I am a medium of advertisement he said with a smile my advertisement means amusement and you get is once in a while and I know how, the vision’s tight so shoot up or shup up if you wanna feel allright.
A ninetysix year old grandpa was fucking this young chick his lady took him to the window and threw him overhead: if he can fuck – he can fly so shoot up or shut up if you wanna feel al/right.
SMIL2E means Space migration and intelligence increase and also life extension but wh atever SMILE means You have to SMILE – it’s so tight so shoot up or shut up if you wanna feel allright.
So the good old neural system and the molecular event of the human body should be under your command so hands on – it’s so tight shoot up or shut up if you wanna feel allright.
Deutschsprachige Interpretationen
Nachdem meine SF-Epoche abgeklungen war, begann ich Songs in deutscher Sprache zu interpretieren. Das mag nicht in jedem Fall gelungen sein, aber auf Partys kamen die gut an. Hier ein Beispiel:
Mädchen im Norden Oigen 1985 Frei nach Bob Dylan: Girl from North Country
Hey wenn Du oben im Norden trampst, in den Bergen wo der Wind rauh bläst, dann denk an mich und eine die da lebt – ich hab sie einst sehr geliebt. Wenn Du im Schneesturm auf ein Licht zuhältst, über gefrorene Flüsse und vereiste Seen, dann schau mal nach, ob sie noch dort lebt und ob sie es warm hat, im heulenden Wind. Und erzähl‘, wie trägt sie jetzt ihr Haar? Einst war es lang und dicht und braun und stark! Ja, schau mal nach ob sie es noch lang hat, das habe ich so sehr gemocht. Ich würde gern wissen, ob sie mich noch kennt? Wie oft habe ich an sie gedacht, wenn der Tag die Wand hochrennt und in so mancher tristen Nacht. So – wenn Du oben im Norden trampst, in den Bergen wo der Wind rauh bläst, dann denk an mich und eine die da lebt – ich hab sie einst sehr geliebt.
Und dann ließ sich der Satiriker in mir nicht länger im Zaum halten. Hier ein paar Beispiele:
Unten am Wasser Oigen 1985, Frei nach: The Drifters „Unter the Boardwalk“
Wenn die Sonne sinkt und der Schweiß den Rücken rinnt und die Steine sind heiß und wir warten auf den Wind unten am Wasser, drüben am See mit meinem Mädchen auf der Decke ich wär blöd wenn ich jetzt geh. Ref: Unten am Wasser, wo die Sonne sinkt unten am Wasser, wo mein Lied erklingt. unten am Wasser, wo die Mücken sind unten am Wasser, warten wir auf den Wind unten am Wasser – Wasser. Von der Kirmes her hört man den Krach vom Karussel, und es stinkt nach Pommes und Bratwurscht und Urquell, unten am Wasser, drüben am See mit meinem Mädchen auf der Decke ei was isses so schee. Ref: Unten am Wasser…
Oder: Daheim isses schön… frei nach „Home on the Range“
Ach schenk mir ein Haus, an dem kein Kuckuck klebt Wo ein munteres Bächlein rauscht, wo am Sonntag kein Nachbar den Rasen mäht, und kein Laubbläser die Stille zerreißt. Ja, daheim, daheim isses schön, wenn der Bock die Ricke bespringt, wenn der Bussard kreist und die Lerche singt und ein Bierchen mir freundlich zuwinkt. Wie oft in der Nacht, habe ich laut gelacht, wenn am Himmel die Ufos ziehen, wenn die Sterne leuchten und die Nachtigall singt, und der Nachbar sein Essen mitbringt. Ja, daheim, daheim isses schön, wenn der Bock die Ricke bespringt, wo das grüne Gras berauscht und der Dorfbulle spinnt ja da freu‘ ich mich wie ein Kind. Hinten im Wald, wo die Büchse knallt, liegt ein Sixpack im Bach versteckt, eine Decke im Gras, darauf ein Mädel ganz nass, ja daheim, da haben wir Spaß. Ja, daheim, daheim isses schön, wenn der Bock die Ricke bespringt, wo der Bussard kreist und die Lerche singt und das Mädel mir fröhlich zuwinkt.
Oder. Ich hab genug(Frei nach: I’m Going to Leave Old Texas Now)
Ich hab genug mach‘s gut und chiao, ich geh‘ zu Fuß, denn ich bin blau. Zahl du für mich, ich hab nichts mehr, der Kopp ist voll, die Taschen leer.
Die Nacht ist kalt, der Weg ist weit, wer geht voran, ich bin so breit. Ich sage: tschüss, mach‘s gut und chiao, du bist ne wunderbare Frau. Ich hab die Kneipe vollgekotzt, und du hast mich voll angemotzt, wo ist mein Pferd, mein Hut, mein Colt, ich hab das alles nicht gewollt. ….ich hab das alles nicht gewollt. …oh nein, wollt ich nicht. …machts gut.
30 Jahre Auszeit
Von 1985 bis ca. 2015 nahm ich eine musikalische Auszeit. Stattdessen schrieb ich satirische Golfbücher, was in meinem Bekanntenkreis für noch mehr Irritationen sorgte als meine Idee, von Außerirdischen gekidnappt worden zu sein. Ich besaß stets eine Gitarre, aber ich spielte kaum noch, höchstens mal auf einer Gartenparty, aber auch das wurde immer seltener.
2017 passierte Folgendes: Ich sah den Film Inside Llewyn Davis von den COEN-Brothers. Durch das PR-Konzert Another Day, Another Time, das anlässlich der Veröffentlichung des Films Inside Llewyn Davis unter der musikalischen Leitung von T-Bone Burnett aufgezeichnet wurde, erfuhr ich von dem weltweiten Revival der Folk-Musik mit alten und neuen Künstlern und neuen und alten Songs. Mir bis dato vollkommen unbekannte Namen wie Markus Mumford, die Milk Carton Kids, Chris Thile und die Punch Brothers, Rhiannon Giddens, Gillian Welch und Dave Rawlings verzauberten mich. Über deren Musik entdeckte ich wiederum andere geniale Singer/Songwriter wie Towns van Zandt, Guy Clark, John Prine und Blaze Foley, die mich derart faszinierten, dass ich wieder zur Gitarre griff und versuche, deren Lieder zu spielen.
Nachdem mir die VG Wort ein paar Tantiemen überwies, kaufte ich mir eine richtig gute Gitarre, eine Larrivée L09, die mir mit ihrem außerordentlichen Klang wirklich Freude bereitete. Aber dann merkte ich, dass ich den flachen modernen Gitarrenhals nicht mehr ohne Schmerzen greifen konnte. Diagnose: Beidseitige Daumensattelgelenksarthrose. Ich begann mich näher mit Gitarren und ihren Halsformen zu befassen. Eine 40 Jahre alte ARIA Parlor-Gitarre verursachte keine Schmerzen. Ich entdeckte, dass mir die alten (dicken) D- und V-Hals-Formen besser lagen und begann, Kleinzeigen und Gitarrenbörsen nach alten Gitarren zu durchforsten. Nach und nach kaufte ichetliche alte Gitarren die ich (mit fachmännischer Unterstützung des Musikhauses Schönau in Gießen) pflegte und zurecht machte, um sie dann wieder in die Freiheit des Kleinanzeigenmarktes zu entlassen.
Bei Open Stage-Veranstaltungen spielte ich eine vollmundige Hohner Leyanda mit Lackschaden aus den 1980er Jahren (Kaufpreis: EUR 65.-), die es mit mancher Martin aufnehmen konnte und dann die und die und die, siehe… Ich hoffe, noch mal irgendwo auf der Straße zu spielen, entweder ein paar meiner alten selbstgebastelten Liedern oder die Songs von Towns van Zandt, Guy Clark, Blaze Foley und anderen Alternativ Country-Poeten, die ich in den letzten Jahren kennenlernte.
Ob es mir wirklich Spaß machen wird, auf die alte Art und ohne Technik in lauten Innenstädten Folk-Songs zu spielen, während moderne Straßensänger mit optimalem Soundequipment performen, werde ich sehen. Aber vielleicht sehen wir uns dann …back on the road!
Fussnoten
[1]Das ursprüngliche Layout hatte ich aus allem zusammengebastelt, was gerade an Fotos und Bildern herumlag. Im vorliegenden Format konnte ich nur ein paar Seiten im Original abbilden, die keine Bild-Copyrights verletzen.
[2] Wolfgang Klose erzählte mir (2021) wie er und zwei Freunden sich als Erste in dem uralten Hofgut eingemietet hätten, ca. 30 Freaks sollten folgen, bis sich diese Szene irgendwann auflöste. Die Elstern zogen gen Süden, andere gingen nach Berlin.
[4] Gerriet Hellwig wurde ein sehr innovativer Modemacher in Düsseldorf und später Farbforscher und mit Wau Holland einer der Ideengeber beim Chaos Computer Club. Gerriet machte wirklich verrückte Klamotten und ich fuhr durchs Land und verkaufte sie. Eine Zeitlang lief es sehr gut. In meinem Bus hatte ich meine Gitarre und egal, wo ich in Deutschland hinkam: es gab immer eine Gruppe oder Familie, die einen warmen Platz und eine Mahlzeit für den Barden hatte. Gute alte, irische Tradition: lange Nächte mit Geschichten, die wir uns erzählten, denn die meisten von uns hatten damals ihren Fernseher aus dem Fenster geworfen oder hatten gar keinen, wegen der Kinder.
[5] Transmittercassetten, Lied 1984, Werner Pieper 6941 Löhrbach
[8] Aus der Region Weinheim-Heidelberg stammt ein riesiger Pool kreativer Musikern, deren Vielfalt hoffentlich irgendwann in einem entsprechenden Werk gewürdigt wird.
[9] Eines Tages erkannte ein Geschäftsmann, der mich in einer Einkaufsstraße hörte, dass ich der geborene Verkäufer war. Er bot mir einen Job an und so wurde ich dann Vertreter und nachdem ich das Lügen perfekt beherrschte, ging ich später ins Marketing.[9]
[10] Hin und wieder wies ich die Leute darauf hin, dass es Zeit sei einkaufen zu gehen und bat sie dann, mir mein damaliges Lieblingsbier mitzubringen. Das klappte häufig.
[11] Europäisches Medizinrad-Treffen 16. September bis 1 Oktober 1983. Siehe Gugenberger/Schweidlenka, Mutter Erde, Magie und Politik. Zwischen Faschismus und neuer Gesellschaft. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1987
[12] Bezieht sich auf das Lied vom Kräutelein von Ulli Freise, Zeitenwende.
[13] Laufi ist der vermutlich einzige DJ in Deutschlands, der nur in den Clubs nur Musik von Kassetten abspielt, die er aus seiner Sammlung von ca. 4000 Tapes auswählt.
[14] Auszug aus OIGEN: Zwischen Sternenstaub und Hühnerdreck
[15] Phillip Deere, einst der ‚Medizinmann‘ des American Indian Movement (AIM) bei deren Auseinandersetzung am Wounded Knee, war nach Deutschland gereist, weil man ihm ein neues Gebiss versprochen hatte – ein Versprechen, das der weiße Mann auch diesmal brach.
[16] Raymond Martin: Verleger und Herausgeber der U-Comix und der Zeitschriften Päng, später Liebe.
[17] Dass diese Cyberwelt durch einst von Leary angeturnte Protagonisten (u. A. Steve Jobs) immer mehr zur ‚schönen neuen Welt‘ nach Aldous Huxley verkommt, hätte sich selbst der Visionär Leary nicht träumen lassen.
[18] Richard Baker Roshi: Amerikanischer ZEN-Meister und Dharma-Nachfolger von Shunryu Suzuki.
Golfer sind Mystiker und somit anfällig für die wundersamen Offenbarungen, die sie hinter jedem brennenden Dornbusch vermuten, in den sie ihren Ball geschlagen haben.
In kindlicher Naivität wird jeder Firlefanz ausprobiert, der angeblich dem Schwung dient oder verspricht, das Psychodrama, das sich bei den meisten Golfern zwischen den Ohren abspielt, zu lindern.
Golfgurus mühen sich mit Büchern und Videokassetten, den Untergang des Abendlandes heraus zu zögern und immer wieder dringt die messianische Botschaft von dem einen, neuen ultimativen Driver, der unser Leben verändern wird, in die Umkleidekabinen und erfüllt die Herzen verzweifelter Slicer und dröger Hacker mit neuer Hoffnung.
Geradezu mittelalterlich ist der Aberglaube unter uns Golfern bezüglich Zaubertränken, magischen Ritualen und geheimnisvollen Amuletten und Armbändern. Eine geradezu schmerzhafte Dummheit in der heutigen Zeit der Aufklärung, könnte man meinen. Aber jetzt kommt meine kleine Geschichte vom Rayma-Armband:
Ich begegnete Paul Lawrie bei der 1999 SAP / Deutsche Bank Open und er half mir bei einer kleinen Tombola-Aktion für meinen Heimatclub in den schottischen Highlands, der sich fast alle schottischen Spieler, sogar Monti, und etliche andere Tour Spieler anschlossen.
Als Paul Lawrie 1999 die Open gewann, dachte ich natürlich, es wäre gutes Karma, aber bald begriff ich, daß es etwas mit dem Armband mit zwei goldenen Kügelchen zu tun haben musste, das er am rechten Arm trägt.
Eine weitere interessante Begegnung war Matt. Matt ist Vertreter für Golfartikel. Als ich ihn kennen lernte, war er ein müder, grauer Mann, der auf der verzweifelten Suche nach seinem Golfschwung mürrisch über die Fairways stolperte und dabei eine Menge Eisen seiner Herstellerfirma in Teiche und Wälder warf. Ein Mann, dessen Divots weiter als seine Bälle flogen, kurz: ein Mann, wie du und ich. Letzten Sommer traf ich Matt wieder: Ein braungebrannter, lebenslustiger Kerl, der mittlerweile in der Clubmannschaft spielte. Auf dem Grün lochte er alles, er schlug seine Bälle lange und gerade, aber noch bemerkenswerter war die etwa 23 Jahre jüngere Dame, die er mir als seine Lebensgefährtin vorstellte. Charmant und lebensfroh stand sie mit Matt auf dem Grün und ich und andere alte Zausel vergingen vor Neid, wenn sie ihren knusprigen, braunen Arm um Matt legte, um ihn vergnügt zu küssen. Am Arm trugen beide dieses Armband mit den Kugeln und ich fing an, mir darüber meine Gedanken zu machen.
Dann war da noch ein Bursche, den ich im Club beim Sommerfest beobachtete. Ein lauter fröhlicher Zecher, der sich noch in komatösen Zuständen das erste Brutto einheimst und seine Drives selten unter 300 Meter lässt. Die junge Dame an seiner Seite war mit Sicherheit nicht seine Tochter. Kein Vater würde seiner Tochter gestatten, derart üppige Formen so provokant zur Schau zu stellen. Er trug dieses Rayma-Armband und irgendwie wollte ich jetzt auch eins haben.
Dieses Rayma-Armband hat etwas mit Magnet-Therapie zu tun. Auf der Internetseite von Rayma erfahre ich, dass niemand genau weiß, wie Magnettherapie funktioniert, darüber aber viel geforscht wird. Es scheint jedenfalls eine magnetische Anziehungskraft auf junge Dinger zu haben. Rayma-Tantra? Es gibt mittlerweile etliche Beispiele dafür, dass Rayma-Träger ihr – nennen wir es – latentes Potential von Biomagnetismus dynamisch entwickeln.
Douglas Bell vom englischen Institut für Magnettherapie erklärt den Boom, den die Magnettherapie derzeit in den USA erlebt: „Jede Zelle des menschlichen Körpers ist ein elektrisches Feld mit magnetischem Potential“. Wie es scheint, erlebt gerade der Golfer, der in die Jahre kommt, sein eigenes Potential in vollkommen neuer Weise, sinniere ich, während ich eine blonde Beauty anstarre, die gerade im Pro Shop mit einem Burschen, der ihr Opa sein könnte, ein hübsches, goldenes Rayma-Band aussucht.
Es war die Firma Rayma, die das Original biomagnetische Armband entwickelte, das Paul Lawrie, Lee Westwood und Matt tragen. Majorsieger Tom Kite hat es übrigens auch und braucht seit dem diese dicke Brille nicht mehr, mit der er immer wie seine Mutti aussah.
Die Hersteller des Rayma-Armbands empfehlen, das Armband entweder auf dem rechten Handgelenk mit den Polen nach oben, oder am linken Handgelenk mit den Polen nach unten zu tragen. Wenn nach einiger Zeit keine positive Wirkung verspürt wird, sollte das Handgelenk gewechselt werden. Zwischen dem Rayma-Armband und seinem Träger besteht eine Interaktion. Daher ist es nicht empfehlenswert, dasselbe Armband abwechselnd mit jemand anderen zu tragen oder ein bereits getragenes zu verschenken. Die elektrische Ladung, die die Wirkung des Armbands ausmacht, verringert sich mit der Zeit, was mich etwas an den Magnetismus mancher Beziehungen erinnert. Von diesen Armbändern, die in Palma de Mallorca in Raymas eigener Fabrik hergestellt werden, wurden bereits weltweit über 12 Millionen Stück verkauft. Die Rayma-Armbänder findet man in Deutschland in ausgewählten Golfläden, Sportgeschäften und Sexshops.
Leute, ich bin Ende vierzig, Single und will nicht wahrhaben, dass es das schon war. Also, um es kurz zu machen: natürlich habe ich jetzt auch so ein Armband.
Zuerst stellte ich fest, dass es auf Microsoft-Produkte allergisch reagiert, aber wer tut das nicht. Dafür bekomme ich, seit ich das Armband habe, keine Kettenbriefe mehr, meine Bücher laufen saugut und ich habe fünf Kilo abgenommen. Ich kann nicht besser Putten, ärgere mich aber nicht mehr so. Den Ball schlage ich nicht länger als früher, aber ich finde ihn schneller im Wald.
Na, und was Sie jetzt am meisten interessiert: Ja, Sie ist 25 Jahre alt, klug, stilvoll und absolut süß. Sie spielt Golf und sie liebt es, mit mir Golf im Fernsehen anzuschauen. „Jede Zelle in unserem Körper ist ein elektrisches Feld mit magnetischem Potential“, könnte man sagen. Am Arm trägt sie ein kleines goldenes Rayma-Armband.