Wie es bei mir begann

Eine kurze autobiografische Zusammenfassung meiner „Golf-Laufbahn“

Es war an einem Sonntag in Luxemburg vor mehr als 30 Jahren. Kurz nach 12 Uhr muss es gewesen sein, denn wir tranken bereits einen Malt. Jim, mein schottischer beinah-Schwiegervater, stellte sein Glas auf den Gartentisch, nahm einen Golfschläger, setzte einen Ball auf einen kleinen Stift und schlug einen Golfball in Richtung der Wiese hinter dem Haus. Da war niemand außer ein paar Kühen. Die Kühe schauten nicht mal auf, als Jim den Ball schlug. Offensichtlich wussten sie bereits, dass Jim sie nie treffen würde. Der Ball flog nur ein paar Meter, dann verschwand er im dichten Gras. Jim ärgerte sich und schlug noch einen Ball. Der flog dann etwas weiter und Jim lächelte listig.
Irgendetwas faszinierte mich an dem, was er da machte. Deshalb wollte ich es auch mal probieren. Er gab mir seinen Schläger, zeigte mir wie man ihn hielt und ich versuchte nach dem Ball zu schlagen. Ich traf ihn nicht. Vermutlich um mir Mut zu machen, sagte Jim, er wäre Linkshänder. Die Schläger wären also für mich falsch rum. Das war mir egal. Es war wirklich egal, denn als ich später Schläger für Rechtshänder bekam, traf ich zunächst auch keinen Ball.
Das ist nun mal so. Zumindest bei besonders talentierten Spielern wie mir. Ein weniger talentierter Spieler trifft den Ball meist gleich zu Anfang. Dann denkt er – oder sie – das Spiel wäre ganz einfach, verliert den Respekt und entwickelt sich kaum mehr weiter. Alle guten Spieler haben großen Respekt vor dem Golfspiel, aber auch sie kommen nie wirklich weiter. So geht das bis in die Weltklasse. Irgendwo hapert es immer. Da triffst du endlich deine Eisen, prompt fliegen die Drives ins Aus. Und kriegst du die Drives auf die Bahn, dann verlässt dich dein Putter. Man sagt, das Golfspiel sei unbesiegbar. Niemand hat das Spiel jemals gemeistert. Höchstens Bernhard Langer! Der spielt nach wie vor wie von einem anderen Stern, was mich vermuten lässt, dass er tatsächlich von einem anderen Stern ist.

Dass ich mittlerweile seit mehr als 30 Jahren Golf spiele, wundert mich selbst am meisten, denn eigentlich bin ich ein keltischer Barde. Ich erzähle gerne Geschichten, zumindest so lange, bis man mich an den Baum bindet. Bevor ich Jim traf, war ich Straßensänger. Dass ich weder singen noch besonders gut Gitarre spielen konnte, war kein Problem. Ich hatte trotzdem Geld im Gitarrenkoffer, weil ich den Leuten Geschichten erzählte. Ich begann irgendeinen Song, zum Beispiel einen Talking Blues von Bob Dylan, aber dann quasselte ich über dies und das, über Gott und die Welt. Die Leute schauten, blieben stehen und warfen Geld in meinen Koffer.

Jahre später, als ich das Golfspiel kennenlernte und schnell süchtig danach wurde, reiste ich beruflich durch Deutschland. Jeden Abend war ich an einem anderen Golfplatz und lernte so die deutsche Golf-Szene kennen. Zu dieser Zeit waren Golfer meist sportlich ambitionierte Menschen aus gesellschaftlichen Schichten, die in meinem sozio-kulturellen Hintergrund als Establishment bezeichnet wurden. Fremde Gäste im Club wurden noch mit Handschlag und einem „Gestatten, Dr. Soundso…“ begrüßt – um in meinem Fall sofort zu erkennen, dass ich weder den Stallgeruch noch das Einkommen hatte, um mir mehr als ein paar Stunden Übungszeit auf der Driving Range zu erkaufen. Und selbst für diese Gunst musste ich mit der Clubsekretärin noch heftige Sträuße ausfechten. Die einstigen Gentlemen des deutschen Golfsports, die mich zu mancher Satire anregten, prägten mein mittlerweile etwas abgestandenes Bild vom deutschen Golfer – wobei ich den weitgehend niveauvollen Umgang dieser Zeit bisweilen vermisse. Aber ich trauere dem nicht nach, denn ich war damals ein vogelfreier Barfußgolfer*, ein Außenseiter, der um Spielmöglichkeiten betteln musste. Die Erkenntnis, dass ich selbst der Prototyp des neuen Golfers war, wurde mir erst Jahre später bewusst.

GOLF! Ich wollte nur spielen! Intellektuell unbelastet wie eine Tontaube und vollkommen golfverrückt taumelte ich – tatsächlich häufig barfuß – über die Fairways, so man mich ließ. Schließlich begann ich, über meine Zeit als clubfreier Golfer zu schreiben.
Mein erstes Buch „Der Weg der weißen Kugel“, eine Mischung aus Fakten und Fiktionen, wurde signifikant für meine Art des Schreibens. ‚Surreale Golf-Satire‘ – wie es der Verlag bezeichnete – galt als ein neuer Stil im Golf-Genre, obwohl Golfer (wie Jäger und Angler) seit Jahrhunderten Lügengeschichten erzählen. Zum Glück wurde „Der Weg der weißen Kugel“ sehr erfolgreich und entwickelte sich im Laufe der Jahre (ähnlich wie Bernhard Langer) zum Klassiker.

Mit B. Langer

Ende der 1990er Jahre ging es dann auch bei mir mit dem Internet los. Auf meiner Website Cybergolf.de veröffentlichte ich regelmäßig eine Kolumne, die zuerst ‚Golf Gaga‘, dann ‚Golfnotizen‘ und später nur noch als ‚Notizen von Eugen Pletsch‘ in der Golf-Szene bekannt wurde.
Es folgten Kolumnen in Golf-Zeitschriften. Ich machte das, was man heutzutage bloggen nennt und war vermutlich Deutschlands erster Golf-Blogger. (…)
Soweit ich das aus Zuschriften weiß, sind meine Leser meist Menschen, die von diesem Spiel wirklich fasziniert sind, aber einen anderen als nur technischen Zugang zum Golf suchen. Für diejenigen schreibe ich am liebsten, denn wer sich wirklich mit Golf beschäftigt, entwickelt allein schon als Überlebensstrategie jene Art von Humor, die man braucht, um an meinen Texten Gefallen zu finden.
In diesem Sinne hoffe ich, dass Ihnen meine Auswahl gefällt und dabei hilft, auf dem Golfplatz zu überleben.

Eugen Pletsch

PS: *Der Begriff Barfußgolfer bezieht sich auf den Satz „Wir brauchen viel mehr Barfußgolfer!“ mit dem Jan Brügelmann, 1982 bis 1994 Präsident des Deutschen Golf Verbandes (DGV) den Golf-Kommentator Carlo Knauss zitierte. Barfußgolfer im Sinne von volksnah, öffentlich zugänglich, nicht länger elitär. Mittlerweile gibt es viele, auch preiswerte Optionen, dieses sonderbare Spiel zu erlernen.

Quelle: Auszug aus „Notizen eines Barfußgolfers“ (Texte 2008-2018)
erschienen bei epubli 2019 (c) by Eugen Pletsch

Anmerkungen zum Yips

Golfer aller Länder fürchten das unkontrollierbare Zucken in den Händen, das besonders die kurzen, »sicheren« Putts zum Drama werden lässt. Handicapgolfer aller Spielklassen und einige der besten Golfer ihrer Zeit verzweifeln am Yips.

Yips haben Sie, wenn Sie Ihren Ball wieder vom Grün runterputten, weil Sie die Hände im Treffmoment nicht kontrollieren können, oder wenn Sie Ihre Chips tot an die Fahne legen müssen, da der Gedanke an einen Rückputt über 15 Zentimeter Höllenqualen verursacht.
Ebenso, wenn sich Ihre Arme anfühlen, als wären sie mit einem Betäubungsmittel gespritzt, Ihre Hände beim Putten zittern und/oder von kleinen Stromstößen drangsaliert werden.
Yips bringt Verzweiflung und Depression. Wenig hilfreich sind in diesem Moment Hinweise gewisser Klugscheißer, die erklären, dass sich »alles nur im Kopf abspielt«, »alles nur eine Frage des Selbstvertrauens ist«, man da »am besten nicht drüber nachdenkt« oder »einfach locker bleiben soll« – was gleichzeitig der schmerzhafteste und doch treffendste Rat ist, den man bekommen kann.

Cartoon: Peter Rug

Von diesen Zeitgenossen wird das Golfspiel gerne in einem philosophischen Rundumschlag als mikrokosmische Abbildung der eigenen Lebenserfahrung dargestellt und Yipser sind jene Schwachstellen der Evolution, psychophile Memmen, neuronaler Abschaum, Warmduscher und Weicheier, die es auch sonst zu nichts bringen.
Stimmt das? Männer wie Tommy Armour, Bobby Locke, Henry Cotton, Arnold Palmer, Tony Jacklin, Ben Hogan, Ben Crenshaw, Tom Watson und Bernhard Langer – wie viele Turniere haben die zusammen gewonnen? Alles Yipser!
Die internationale Reputation, dieBernhard Langer genießt, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass er den Yips als erster international erfolgreicher Golfer mehrfach besiegen konnte.
Was passiert beim Yips?
Der Spannungszustand, den der letzte Putt zum Monatsbecher oder zum Masters-Sieg – da ist der Level egal – mit sich bringt, lässt die bislang brav miteinander kommunizierenden Synapsen in traumatische Blackouts verfallen. Verängstigt bis verzweifelt jagen sie Adrenalinbotschaften durchs vegetative Nervensystem und ein atavistischer Überlebensimpuls befiehlt den zittrigen Händen, die gerade versuchen, einen geraden 15-Zentimeter-Putt ohne Break sanft durchzuziehen: »Hau das Ding weg, irgendwie!«, was ausreicht, um den Ball, der sanft zum Loch gleiten sollte, fünf Meter übers Grün zu schicken.

Die schwitzende Verzweiflung, mit der sich solche Spieler einem Turnier nähern, würden Sie auch Ihrem ärgsten Feind nicht wünschen. Während Amateure auf das Zählspiel verzichten können, hat der Profi ein echtes Problem mit seinem Brotberuf. Berufsunfähigkeitsversicherungen werden – wie üblich – jede Zahlung verweigern, weil so ein Nervenkasper wissenschaftlich nicht erforscht ist.
Manfred Hauser, Autor von »Befreit golfen«, meint: »Negative Emotionen, in deren Mittelpunkt wohl die Versagensängste stehen, führen über das limbische System (Amygdala) immer zu Körperreaktionen. Hiervon machen dem Golfer am meisten Muskelverspannungen und Muskelkrämpfe (Yips) zu schaffen. Die Muskelverspannungen bewirken eine Störung der im Muskelgedächtnis gespeicherten automatischen Abläufe des Golfschwungs, woraus Fehlschläge
verschiedenster Art resultieren. Neue Forschungsergebnisse beweisen
ganz eindeutig, dass negative Emotionen oft unabhängig vom Denken und bedingt durch Furchtkonditionierungen häufig sogar unbewusst entstehen. So kommt es immer wieder für den Golfer zu unverständlichen Fehlschlägen.«

Ich habe aber auch noch ein paar eigene Erklärungen, warum die kurzen Putts nicht reingehen. Beim »Urmuttersyndrom« entsteht das für einen Mann schwer verdauliche Gefühl, im Spiel zu versagen, was Parallelen mit dem Phänomen der psychisch bedingten Impotenz erkennen lässt. Der Unwille, kleine, weiße Rundkörper aus kurzer Entfernung in große, schwarze Löcher zu schubsen, legt nahe, dass wir uns bei C. G. Jung schlau machen. Rät kollektives Unterbewusstsein sensiblen Männern bisweilen davon ab, sich in Form von genetischem Material oder teuren Golfbällen im ewig Erdweiblichen zu
verlieren?
Yips ist meines Wissens nicht genügend erforscht. Es ist also nicht bekannt, ob ein Yips-Kandidat ein sexuelles Problem vor sich herschiebt und ob ein von latenter Impotenz belasteter männlicher Zweibeiner seine Putts häufiger vorbeischiebt als andere. Die Ängste sind auf alle Fälle denen ähnlich, die eine junge, sinnliche, selbstbewusste Frau bei einem Mann auslösen kann, der müde und betrunken nur das Eine will: einschlafen!
Ich habe übrigens noch von keiner Frau gehört, die an Yips leidet. Dafür haben viele Frauen anscheinend beim Abschlag ein großes Problem damit, im Treffmoment loszulassen. Ich werde mich aber nicht selbstmörderisch auf das Glatteis begeben und in diesem Zusammenhang die Diskussion über den weiblichen Orgasmus aufwärmen.

Als weiteres Erklärungsmodell wäre die psychomotorische Crash-Theorie von Timothy Gallwey zu nennen. Hier meine persönliche Zusammenfassung:
Vor einem Schlag trägt Ihr Kopf einen Kampf rechte gegen linke Hirnhälfte aus. Dieser innere Dialog artet derart aus, dass sich Bewusstsein A und Bewusstsein B anbrüllen. A heult los, weil ein kurzer Putt so beängstigend ist. B sagt, dass ihm das blöde Turnier sowieso egal ist. A will zu seiner Mutter zurück und B sagt: Geh doch! A und B übernehmen jeweils eine Hand (die eigentlich gerade putten wollte).
Die rechte Hand versucht, den Putter ins rechte Auge zu stechen (linke Hirnhälfte), während die linke Hand (rechte Hirnhälfte) versucht, sich den Putter vors rechte Schienbein zu knallen. Das kann in einem vorgabewirksamen Turnier böse enden!
Dann hätte ich noch meine »einheitliche planetare Wackeltheorie« auf Lager. Ein kurzer Erdstoß, ein Tsunami oder ein Beben an der Börse wären auch eine Erklärung.

Wie geht man mit Yips um?
Die traditionellen Methoden, um das Yipsen zu beenden, sind:
› der Kopfschuss
› Alkohol, bis nichts mehr wehtut
› Aufgabe des Golfspiels
› ein Glaube, der neue Kraft gibt

Fachleute empfehlen, das Putten von einem guten Pro analysieren zu lassen, damit Fehler und ihre Kompensationen ausgeschlossen werden. Dann wäre neues Selbstvertrauen zu entwickeln. Stabile, wiederholbare, positive Erfahrungen werden im Bewusstsein verankert.
Der Golfer erfährt Erleichterung, Entspannung, neue Hoffnung und tritt aus dem Kreislauf der nervlichen Überanspannung aus. Putter-Modelle mit extralangem Schaft bringen manchen Spielern laut Statistik erhebliche Vorteile bei kurzen Putts. Auch Mantras, Pre-Shot-Rituale, Hypnose, zielorientiertes Spiel, eine Veränderung des Griffs oder des Putters haben manchem geholfen, andere erfahren durch diese Methoden wiederum zusätzlichen Stress. Mir haben nach fast 15 Jahren Yips eine neue, gleichbleibende Putt-Routine sowie jene innere Ruhe und heitere Gelassenheit geholfen, die sich mit steigenden Buchverkäufen automatisch einstellt.

Auszug aus „Der Weg der weißen Kugel
EUR 19,99
Bei BOD portofrei kaufen.

Die Werkstattgeburt

Eine Weihnachtsgeschichte

Josek hatte sich geweigert, für eine der Bürgerkriegsparteien zu kämpfen und musste aus seiner Heimat fliehen. Freunde halfen ihm bei der Flucht. Nach langen, harten Wegen erreichte er Deutschland. Marthe blieb zurück. Josek betete, dass Marthe würde nachkommen können. Ohne Papiere war es schwer, Arbeit zu finden, aber als gelernter Zimmermann konnte er in einer illegalen Leiharbeiterkolonne auf dem Hochgerüst malochen. Er hauste mit sechzehn Kollegen in einem Container, der höchstens acht Leuten Platz bot. Josek sollte vier Euro die Stunde bekommen. Den Rest bekam der Vermittler. Aber am ersten Zahltag wurde ihm noch mal die Hälfte seines Lohns für die Unterkunft abgezogen. Nach einer Razzia musste er verschwinden. Endlose Stunden lief er aus der Stadt. Er wollte nur weg von diesem schmutzigen, lauten Ort. Irgendwann in der Nacht versteckte er sich in einem Schuppen und schlief ein.

Als er am nächsten Morgen vor die Tür trat, war alles so schön und grün, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. Das sei ein Golfplatz, sagte ihm ein Mann, dem er begegnete. Dieser Mann, Besnik, war aus dem Kosovo geflohen. Sie konnten sich verständigen.

Besnik redete mit dem Clubmanager. Josek durfte im Schuppen schlafen und helfen. Er sammelte Bälle, flickte Zäune, grub Löcher. Er war fleißig. Der Manager war zufrieden. Nur durch diese Besniks und Joseks konnte er den Betrieb aufrechterhalten. Auch Josek war zufrieden. Er lernte deutsch. Aber er durfte keinen Kontakt mit den Mitgliedern und Gästen haben.

»Nur grüßen«, sagte der Manager. »Nix reden – du arbeiten!«

Josek verstand. So hatte er seinen Platz gefunden. Manchmal beobachtete er die Golfer aus seinem Versteck unter dem Schuppendach, von dem aus er über den Platz schauen konnte. Was waren das nur für Leute? Was taten sie? Und weshalb schauten sie oft so unglücklich aus?

Im Herbst musste der Clubmanager die meisten seiner Arbeiter wegschicken. Manche konnten sich arbeitslos melden, alle anderen mussten sehen, wo sie blieben. Josek durfte bleiben. Er sollte den Dachboden über dem Geräteschuppen ausbauen. Im Geräteschuppen war eine Werkstatt. Josek hatte alles, was er brauchte. Er hatte ein Dach über dem Kopf und bekam gutes Essen, aber er sehnte sich nach Marthe.

Eines Abends gelang es ihm, Marthe bei Freunden in der Heimat zu erreichen. Marthe weinte. Ob sie noch kommen solle? Er bejahte, wenngleich er nicht wusste, ob sie es schaffen würde. Geld konnte er ihr keins schicken.

»Ich werde auf dich warten«, sagte er.

»Josek«, sagte sie, »ich muss hier weg, ich bin schwanger.«

Er schluckte. »Wer?«

»Josek«, sagte Marthe, »das macht mir einen Kopf. Es gab keinen Mann bei mir, seit du weg bist.«

»Keinen Mann?«

»Josek, ich schwör’s!«

»Komm«, sagte er zu ihr. »Es wird sich alles finden.«

Dann wurde die Leitung unterbrochen.

Wochen später kam die Nachricht, Marthe würde Mitte Dezember auf dem Parkplatz eines Supermarktes in der Stadt eintreffen. Als es so weit war, sagte Josek zu Besnik:

»Ich muss weg, Kollege. Frau kommt. Ich komme zurück.«

Besnik nickte. Mit dem dicken Zimmermannsbleistift malte er eine Skizze auf einen Zettel.

»Hier ist die Stadt, Jo«, sagte er. »Und hier fährt der Bus, hier ist der Golfplatz.«

Ein Lieferant, der Baumaterial brachte, nahm Josek mit in die Stadt.

Drei Tage lang wartete Josek am vereinbarten Treffpunkt auf dem Parkplatz hinter dem Supermarkt. Er schlief auf dem Lüftungsschacht am Hintereingang, auf dem es erträglich warm war. Am Nachmittag des vierten Tages stand Josek an einem Imbiss. Der Mann am Tresen las in einer Zeitung. »Jesus wurde nicht in einem Stall geboren, sondern in einer Werkstatt«, sagte er laut und schien erstaunt. Josek nickte, aber er wusste nicht, was das bedeutete.

Wieder wurde es Abend, der Parkplatz leerte sich. Josek wollte gerade seinen Schlafplatz aufsuchen, als ein Transporter an der dunklen Seite des Parkplatzes hielt. Es blieb eine Weile still, dann öffneten sich die Fahrertüren und zwei Männer stiegen aus. Sie entriegelten die Hintertür. Langsam krochen gebückte Gestalten aus der Dunkelheit des Wagens und streckten sich. Dann sah er Marthe. Sie stieg langsam aus dem Wagen. Josek umarmte sie. Marthe verabschiedete sich von den anderen. Sie war dick und konnte nur langsam gehen. Sie brauchten eine Weile bis zur Bushaltestelle. Josek hatte den Zettel von Besnik in der Hand. Damit würden sie zum Club zurückfinden.

Der Clubmanager war in den Winterurlaub gereist. Die letzte Veranstaltung des Jahres würde von einer Event-Agentur und der Clubsekretärin betreut werden. Das traditionelle Weihnachtsturnier über 9 Loch mit Charity-Gala war die Idee dreier kooperierender Software-Firmen. Die vielen Singles und geschiedenen Mitarbeiter hatten dadurch die Möglichkeit, den Abend in fröhlicher Gesellschaft zu verbringen. Das hob die Produktivität, senkte die Selbstmordrate und optimierte die Vernetzung der drei Firmen untereinander.

Am 24. Dezember erwachten Josek und Marthe auf dem Dachboden über der Werkstatt. Er schaute aus dem Fenster. Es war überraschend viel Betrieb. Im Hof traf er auf Besnik.

»Was iss heute los? Viele Leute!«

»Se haben Ewänd.«

»Was iss Ewänd?«

»Schärrety Ewänd! Weiss nicht genau. Rennen durch de kalte Wind und kloppen de Bälle, um zu helfen arme Leute.«

»Wie uns?«

»Ah, nix wie uns. Uns geht’s gutt. Haben Arbeit und Bett!«

»Sind gute Mänsche, de Golfer«, sagte Josek bedächtig.

»Ja, sind gute Mänsche, etwas verrickt, aber gute Mänsche«, stimmte Besnik zu. »Und se haben drei Keenig dabei!«

»Haben Keenig? Yessas!«

»Yo, hab ich so verstanden. Sachte mir Etbin, de Kellner. Drei Branchen-Keenige von de Softwähr!«

»Yessas!« Josek machte sich auf, um Marthe von den seltsamen Königen zu berichten.

Weil es auf dem Dachboden zu kalt war, bettete Josek seine Marthe auf das alte Sofa, das in der Werkstatt neben dem Bullerofen stand. Er hielt ihre Hand und schaute sie liebevoll an.

»Du bist nicht böse?«

»Warum?«

»Wegen dem Kind.«

»Ich bin froh, dass du bei mir bist. Es wird unser Kind sein.«

Besnik kam mit seiner Frau. Sie begrüßten Marthe und brachten Essen.

»Wann ist es so weit?«

»Bald«, sagte Marthe.

»Was wird Manager sagen?«

»Wer ist Manager?«

»Is Scheffe«, sagte Josek. »Wird schimpfen.«

»Scheffe iss nich da«, sagte Besnik, »nur de gute Mänsche vom Schärrety Ewänd.«

Am Abend setzten die Wehen ein. Zwischen Traktor, Mähbalken, Aerifizierer und Vertikutiergerät gebar Marthe ihren Sohn. Besniks Frau half. Alles ging gut. Josek weinte.

Und so geschah es, dass Besnik es dem Etbin erzählte und Etbin erzählte es dem Sommelier Franco und der erzählte es dem Koch und der schickte ein großes Tablett mit guten Speisen. Der Koch erzählte es dem Barkeeper und der erzählte es der Eventmanagerin und sie erzählte es einem der drei Software-Könige, der gerade mit der Siegerehrung beginnen wollte, und so sprach er: »Ver­ehrte Gäste, liebe Freunde, soeben ward uns in der Werkstatt ein Kind geboren!«

Die drei Software-Könige machten sich auf, die Werkstatt zu suchen, und Etbin, der Kellner, wies ihnen den Weg.

»Hinten am Geräteschuppen leuchtet hell wie ein Stern die große Flutlichtlampe. Sie können es nicht verfehlen.«

Die drei Software-Könige fanden Marthe mit ihrem neugeborenen Kind und überreichten ihr Geschenke: Eine Flasche Dom Pérignon von 1998 (Edition Karl Lagerfeld), Angel-Parfüm von Thierry Mugler, einen Pashmina-Schal von Anita Pavani und ein hübsches Sümmchen, das die Golfer gesammelt hatten. Es wurde ein schöner Weihnachtsabend. Sogar die Golfer lächelten und waren glücklich.

Tage später gab es Gerüchte. Plötzlich stand die Ausländerbehörde vor der Tür. Sie erwischten Besnik und seine Frau, die keine Aufenthaltserlaubnis hatten. Marthe, Josek und das Kind hielten sich den ganzen Tag auf dem Dachboden versteckt.

»Wir müssen fliehen«, sagte Marthe am Abend, als Josek gerade in den Werbebeilagen einer Zeitung die Windelpreise verglich.

»Fliehen?« Josek schaute in die Zeitung. »Hier! Wie wäre es mit Ägypten? Zehn Tage, alles inklusive, mit Silvester-Gala und Kamelreiten zum Superferien-Sparpreis!«

Marthe nickte und gab dem Jungen die Brust: »Klingt gut, auf nach Ägypten.«