Die Präsidentenwahl

»Auf dieser Runde, so ist es verbürgt, schlug Fahrenbach sein erstes Ass, und von diesem Moment an wusste er die Golfgöttin an seiner Seite«

Im Golfclub Bauernburg sagen wir „Fahrig wie Fahrenbach“ , wenn jemand vergisst, die Fahne ins Loch zurück-zustecken, seinen Trolley in den Bunker mitnimmt oder eine Alarmanlage auslöst, weil er an der falschen Wagentür rumfummelt.

Als mich unser Präsident Fahrenbach in der Garderobe ansprach, wirkte er mal wieder ausgesprochen fahrig. Was verständlich war, denn seine Frau hielt ihn seit einem Jahr ausgesperrt und die Wiederwahl zum Club-Präsidenten stand plötzlich auch in den Sternen, da ein Rechtsverdreher namens Hübele seinen Hut in den Ring geworfen hatte.

Hübele, genannt „Das Übele“, macht in Abmahnungen. Beim Golfen gibt der Brachial-Schwabe den schrägen Spaßvogel, ansonsten ist er ein intriganter Giftzwerg und Unruhestifter, womit man in jedem Club bei gewissen Leuten punkten kann. Fahrenbach dagegen steht für die Traditionen unseres Spiels. 

„Glaubst du, dass dieser Hübele eine Chance hat?“, fragte er mich, während er versuchte, den linken Fuß in den rechten Golfschuh zu zwängen. Die Frage war vorsichtig gestellt; unausgesprochene Gedanken kreisten im Äther. Dass er sich mir gegenüber unsicher zeigte, grenzte an Offenbarungseid. Als Mitarbeiter des Golftherapeutischen Pflegediensts (GTP) hatte ich meine Antwort sorgsam abzuwägen. 

„Einen Anwalt?“, fragte ich rhetorisch. „Anwälte können nicht entscheiden, haben keine Meinung und sagen mal dies, mal das. Und sie können nicht wirklich zupacken!“ 

Fahrenbach, erleichtert, sortierte die Füße zu den passenden Schuhen. 

„Ein Clubpräsident sollte Unternehmer sein, ein Entscheider, der sich auch mal mit jemandem anlegen kann. Und du hast SIE auf deiner Seite!“ 

Mit SIE meinte ich unsere platinblonde Industriellenerbin, die den Pleite-Golfclub Bauernburg vor ein paar Jahren aus einer Laune heraus zum Schnäppchenpreis gekapert hatte, um von Marbella aus ihre hauchdünnen, aber zähen Spinnenfäden zu ziehen. 

Fahrenbach schwieg. Vielleicht überlegte er, wen ich mit „Unternehmer“ gemeint haben könnte. Bis ihn seine Gattin aus Bett und Büro verwiesen hatte, war Fahrenbach als mäßig ambitionierter Frühstücksdirektor der Firma Stellmann hauptsächlich mit der Produktion von Spesen befasst gewesen. Andererseits: Seit sie ihn geschasst hatte, konnte man ihm als Clubpräsidenten einen gewissen Unternehmungsgeist nicht absprechen. 

„Schau, was mit Juristen passiert, wenn sie Clubpräsidenten werden!“, legte ich nach. „Die werden schnell an die Landesverbände weitergereicht und von dort in den DGV entsorgt, damit sich der Schaden für den Club in Grenzen hält.“ 

Fahrenbach schien beruhigt. Ich beschloss, das Thema zu wechseln. „Wie läuft es zu Hause? Hat deine Frau Versöhnung signalisiert?“ 

„Ja, aber nur, weil sie sich in dem großen Haus einsam fühlt. Sie hört nachts Geräusche. Kürzlich hat sie den Nachbarhund angeschossen, als der unter der Hecke nach Kaninchen gebuddelt hat. Sie will, dass ich ins Pförtnerhaus ziehe.“ 

„Na, das klingt doch gut“, summte ich. „Aber ich will kein Pförtner werden, sondern Club-Präsident bleiben“, bekannte er verblüffend ehrlich. Er tat mir leid. Aus sicherer Quelle wusste ich, dass es nicht die Einsamkeit allein war, weshalb seine Gattin Bereitschaft zu Friedensgesprächen signalisierte. Ein Berater hatte ihr vorgerechnet, dass Fahrenbachs sämtliche Marotten zu finanzieren, sie immer noch billiger käme als eine Scheidung. 

„Ich mache mich mal auf die Runde, das klärt den Geist“, sagte er und band seine Golfschuhe zu. 

Auf dieser Runde, so ist es verbürgt, schlug Fahrenbach sein erstes Ass, und von diesem Moment an wusste er die Golfgöttin an seiner Seite. Seine Rede zur Präsidentenwahl war inspiriert vom ‚Spirit of Golf‘, während Hübele nur dumme Witzchen riss. Fahrenbach wurde mit triumphaler Mehrheit wiedergewählt, und in der Garderobe wurde gemunkelt, Frau Stellmann-Fahrenbach, mit ihrem Faible für Siegertypen, habe in trunkener Feierlaune eine gewisse Bereitschaft zum ehelichen Vollzug signalisiert. Aber darüber spricht kein Gentleman wie Fahrenbach, der jederzeit bereit ist, für die Traditionen unseres Spiels seinen Mann zu stehen.

Agnes Flack

»Drei Spieler auf dem Grün winkten und riefen, während der vierte am Boden lag. Brigitte hatte den armen Kerl offensichtlich voll erwischt«

Seit Clubpräsident Fahrenbach in den Büchern des Autors P. G. Wodehouse schmökerte, war er der englischen Golf-Literatur verfallen. Plötzlich trug er Tweed, rauchte Pfeife, trank Tee und experimentierte mit Hickory-Schlägern, was wir vom „Golftherapeutischen Pflegedienst“ als „anglophile Golfneurose“ bezeichnen, die sich bisweilen recht skurril äußert, aber als ungefährlich gilt. 

Mit feinem Humor schildert Wodehouse meist verworrene Liebesbeziehungen mit Happy-End, wobei Fahrenbachs verkümmerte Romantiker-Seele an der Figur der Agnes Flack (die in den Grundzügen wie Popeye der Seemann gebaut war und ihren Ball 240 Yards weit dreschen konnte), besonderen Gefallen fand. Wodehouse‘ subtiler britischer Humor war ganz nach seinem Geschmack – im Gegensatz zu den feisten Teutonen-Witzen, mit denen Versicherungs-Fritzen am 1. Abschlag unter ihresgleichen brüllendes Gelächter erzeugen.

Selbst sein eigenes häusliches Drama schien wie von Wodehouse inszeniert: Seit Frau Stellmann-Fahrenbach einen Lover hatte (was Fahrenbach nicht wusste), zwitscherte sie wie eine Lerche an einem Juni-Morgen. Fahrenbach durfte nach Herzenslust Wodehouse lesen oder Golf oder Präsident spielen – Hauptsache, er war beschäftigt. 

Eines Tages auf der Morgenrunde – seine Gedanken weilten gerade bei Agnes Flack – realisierte er hinter einem Dogleg, dass er mit Dr. Bercelmeyer auf einen Vierer aufgelaufen war. Bercelmeyer fluchte. Er war normalerweise selbst nicht der Schnellste, aber heute pressierte es ihm. Seit einer Stunde hockten seine Patienten im Wartezimmer und konnten von seiner Praxis-Domina Maria Clarius nur mit dem Zauberwörtchen „Notfall“ in Schach gehalten werden.

„Langsames Spiel ist Teil der Golftradition“, erläuterte Fahrenbach seinem verblüfften Hausarzt. „Elendig langsame Golfrunden waren bereits im alten England gefürchtet. P. G. Wodehouse erwähnte ein Quartett golfspielender Krüppel, die den Namen ‚Abbruchkolonne‘ trugen. Andere Figuren nannte Wodehouse ,Väterchen Zeit‘ und ,Der Mann mit der Hacke‘.“

Bercelmeyer verdrehte die Augen. Fahrenbachs neue Sichtweise, nach der Dummrumsteherei ein Stück lebendiger Golftradition sei, nervte ihn. „Im Golfclub Bauernburg ist diese Tradition noch sehr lebendig“, fuhr Fahrenbach fort, „wir haben sogar mehrere Abbruchkolonnen.“ 

Gerade wollte er das berüchtigte Bauernburger Valium-Quartett erwähnen, als jemand hinter ihnen FOORE brüllte. Er riss Bercelmeyer, der die Reaktionszeit eines Panda-Bären hat, mit sich zu Boden, während ein scharfes Sirren über sie hinwegsauste.

„Eine Drohne?“, fragte Bercelmeyer entgeistert. „Nein, das war Brigitte Langer! Sie hat versucht, das Grün carry anzugreifen. 249 Meter vom Damenabschlag über das Dogleg sind für sie kein Problem.“ Plötzlich kam ihm ein Gedanke: Könnte Brigitte, die Kapitänin der Bauernburger Damenmannschaft (und gebaut wie ein Dorfschmied, um Wodehouse zu zitieren), eine Inkarnation der Agnes Flack sein? 

Fahrenbach zitterte bei dem Gedanken, auf welch‘ vielfältige Weise sich der jahrhundertealte Golfgeist in seinem Club manifestierte. Als Brigitte an ihm vorbeitrampelte, zückte er seine Kappe aus Donegal-Tweed und verbeugte sich: „Bitte spielen Sie durch, gnädige Frau. Ihr Spiel ist dem unseren weit überlegen.“ Brigitte grunzte etwas, das Fahrenbach nicht verstand, denn plötzlich hörte man Schreie. Drei Spieler auf dem Grün winkten und riefen, während der vierte am Boden lag.

Brigitte hatte den armen Kerl offensichtlich voll erwischt. Fahrenbach seufzte. Bewundernd blickte er der amtierenden Clubmeisterin hinterher, die mit Dr. Bercelmeyer im Schlepptau Richtung Grün stampfte. Der hatte jetzt tatsächlich einen Notfall. Fahrenbach zuckelte ihnen nach und überlegte, was ihm Wodehouse geraten hätte, um die Gunst der Agnes Flack von Bauernburg zu gewinnen.

Ob er dafür trainieren sollte, einmal in seinem Leben einen „Longest Drive“ zu schlagen…?

(c) by Eugen Pletsch.
(Aus meiner Kolume „Golftagebuch“ in GOLFTIME 8/ 2016)

Die Ruderentenfrage

»Sonst gab es keine besonderen Vorkommnisse, mal abgesehen davon, dass unser Gastronom das Champions-Dinner mit einem Champignon-Essen verwechselt hatte«

In diesem Sommer veranstalteten wir in unserem Club Schwimmkurse und Tauchlehrgänge, um den Herausforderungen des Spielalltags gerecht zu werden. Sonst gab es keine besonderen Vorkommnisse, mal abgesehen davon, dass unser Gastronom das Champions-Dinner mit einem Champignon-Essen verwechselt hatte. Das fiel jedoch nicht auf, weil der Brexit die Diskussion beherrschte.

Der Verfall des britischen Pfunds hatte Präsident Fahrenbach erneut auf die Idee gebracht, einen englischen Golflehrer zu importieren. Auf eine diesbezügliche Anfrage bei der regionalen Handelskammer wurde ihm davon jedoch abgeraten, solange die Ruderentenfrage nicht geklärt sei.

„Was meint die IHK mit Ruderentenfrage?“, wandte sich Fahrenbach an mich. Meine Recherche führte zu einer Meldung der Daily Mail aus dem Jahr 2014, nach der britische Enteriche regelmäßig nach Spanien flogen, um mit weiblichen Weißkopf-Ruderenten zu verkehren. Die britischen Ruderenten-Männchen mit ihren schwarz-weißen Köpfen sind nämlich (ähnlich den englischen Golfprofessionals) für ihren wilden Appetit nach Sex bekannt.

Jedes Jahr fliegen sie nach Südspanien, wo sie mit den weiblichen Exemplaren der seltenen spanischen Weißkopf-Ruderenten verkehren. Diese spanischen Weibchen bevorzugen britische Männchen, ähnlich den deutschen Golferinnen, die sich von englischen Pros gerne zeigen lassen, wie man den Kopf unten hält.

Die britischen Enten mit ihren schwarzweißen Köpfen, so klagte Madrid in dieser Meldung, dürften den spanischen Enten mit den weißen Köpfen nicht die Weibchen wegnehmen, denn die spanischen Weißkopf-Ruderenten seien vom Aussterben bedroht. Die Beschwerde der spanischen Regierung bei den Briten führte zu diplomatischen Verwerfungen. Solange das nicht ausgestanden sei, schloss ich mein Referat, würde die Handelskammer vom Import englischer Golflehrer abraten.

„Ru-der-enten“, murmelte Fahrenbach und machte sich wieder auf den Weg zur Driving Range. Dort übte er jetzt täglich. Um unsere amtierende Clubmeisterin Brigitte Langer mit dem Gewinn eines „Longest Drive“ zu beeindrucken, war er auf der Suche nach maximaler Ballbeschleunigung. Er hatte sogar überlegt, einen Golflehrer aus dem Nachbarclub um Rat zu bitten. Der Gedanke wurde jedoch schnell verworfen, nachdem Fahrenbach beobachtet hatte, wie dessen Opfer auf dem Platz dilettierten.

Da niemand im Club einen ähnlich langen Drive wie Brigitte Langer zu schlagen vermochte, kam Fahrenbach schließlich auf die Idee, die Dame selbst zu fragen. Sie hatte den Ball bereits in ihrer ersten Golfstunde vor ein paar Jahren an die 200-Meter-Marke gedonnert, und nachdem sie sich die Platzreife zusammengeschossen hatte, wurde sie mit Laura Davies verglichen. Nur an der Zielgenauigkeit haperte es noch, weshalb man ihr riet, bei jedem Schlag laut FORE zu brüllen.

Wenn Brigittes FOOORE über die Auen donnerte, säuerte die Milch in den umliegenden Dörfern, gebaren Kühe tote Kälber, verdunkelte sich der Himmel und jegliche Kreatur, die ungeschützt auf dem Platz umherkroch, erzitterte vor Angst. Doch schließlich lernte sie das Zielen und wurde Kapitänin unserer Damenmannschaft.

Der verliebte Romantiker Fahrenbach, der in Brigitte die Inkarnation jener Agnes Flack wähnte, die P. G. Wodehouse in seinen Romanen beschrieb, zitterte, als er sich ihr auf der Driving Range näherte. „Ist der Spieler, den Sie kürzlich mit Ihrem Drive umgenietet haben, aus der Reha zurück?“, begann er das Gespräch etwas ungeschickt. Brigitte schwieg. „Stört es Sie, wenn ich hinter Ihnen trainiere?“ Brigitte, die gerade eine weitere Beule in das 200 Meter Schild gedroschen hatte, hielt inne, betrachtete das dürre Männlein und schüttelte verwundert den Kopf, was Fahrenbach als Zustimmung interpretierte.

Seitdem stand er täglich hinter ihr auf der Driving Range und versuchte ihren Abschlag zu imitieren, was so sinnlos wie aussichtslos war – bis er es mit einem neuen Schwung-Mantra probierte: RU-DER-ENTEN! Da flog sein Ball so enorm weit, dass er an der 150-Meter-Markierung ausrollte, worauf Brigitte sich erstaunt umdrehte und Fahrenbach vor Glück rote Backen bekam.

(c) by Eugen Pletsch.
(Aus meiner Kolume „Golftagebuch“ in GOLFTIME 9/ 2016)