Agnes Flack

»Drei Spieler auf dem Grün winkten und riefen, während der vierte am Boden lag. Brigitte hatte den armen Kerl offensichtlich voll erwischt«

Seit Clubpräsident Fahrenbach in den Büchern des Autors P. G. Wodehouse schmökerte, war er der englischen Golf-Literatur verfallen. Plötzlich trug er Tweed, rauchte Pfeife, trank Tee und experimentierte mit Hickory-Schlägern, was wir vom „Golftherapeutischen Pflegedienst“ als „anglophile Golfneurose“ bezeichnen, die sich bisweilen recht skurril äußert, aber als ungefährlich gilt. 

Mit feinem Humor schildert Wodehouse meist verworrene Liebesbeziehungen mit Happy-End, wobei Fahrenbachs verkümmerte Romantiker-Seele an der Figur der Agnes Flack (die in den Grundzügen wie Popeye der Seemann gebaut war und ihren Ball 240 Yards weit dreschen konnte), besonderen Gefallen fand. Wodehouse‘ subtiler britischer Humor war ganz nach seinem Geschmack – im Gegensatz zu den feisten Teutonen-Witzen, mit denen Versicherungs-Fritzen am 1. Abschlag unter ihresgleichen brüllendes Gelächter erzeugen.

Selbst sein eigenes häusliches Drama schien wie von Wodehouse inszeniert: Seit Frau Stellmann-Fahrenbach einen Lover hatte (was Fahrenbach nicht wusste), zwitscherte sie wie eine Lerche an einem Juni-Morgen. Fahrenbach durfte nach Herzenslust Wodehouse lesen oder Golf oder Präsident spielen – Hauptsache, er war beschäftigt. 

Eines Tages auf der Morgenrunde – seine Gedanken weilten gerade bei Agnes Flack – realisierte er hinter einem Dogleg, dass er mit Dr. Bercelmeyer auf einen Vierer aufgelaufen war. Bercelmeyer fluchte. Er war normalerweise selbst nicht der Schnellste, aber heute pressierte es ihm. Seit einer Stunde hockten seine Patienten im Wartezimmer und konnten von seiner Praxis-Domina Maria Clarius nur mit dem Zauberwörtchen „Notfall“ in Schach gehalten werden.

„Langsames Spiel ist Teil der Golftradition“, erläuterte Fahrenbach seinem verblüfften Hausarzt. „Elendig langsame Golfrunden waren bereits im alten England gefürchtet. P. G. Wodehouse erwähnte ein Quartett golfspielender Krüppel, die den Namen ‚Abbruchkolonne‘ trugen. Andere Figuren nannte Wodehouse ,Väterchen Zeit‘ und ,Der Mann mit der Hacke‘.“

Bercelmeyer verdrehte die Augen. Fahrenbachs neue Sichtweise, nach der Dummrumsteherei ein Stück lebendiger Golftradition sei, nervte ihn. „Im Golfclub Bauernburg ist diese Tradition noch sehr lebendig“, fuhr Fahrenbach fort, „wir haben sogar mehrere Abbruchkolonnen.“ 

Gerade wollte er das berüchtigte Bauernburger Valium-Quartett erwähnen, als jemand hinter ihnen FOORE brüllte. Er riss Bercelmeyer, der die Reaktionszeit eines Panda-Bären hat, mit sich zu Boden, während ein scharfes Sirren über sie hinwegsauste.

„Eine Drohne?“, fragte Bercelmeyer entgeistert. „Nein, das war Brigitte Langer! Sie hat versucht, das Grün carry anzugreifen. 249 Meter vom Damenabschlag über das Dogleg sind für sie kein Problem.“ Plötzlich kam ihm ein Gedanke: Könnte Brigitte, die Kapitänin der Bauernburger Damenmannschaft (und gebaut wie ein Dorfschmied, um Wodehouse zu zitieren), eine Inkarnation der Agnes Flack sein? 

Fahrenbach zitterte bei dem Gedanken, auf welch‘ vielfältige Weise sich der jahrhundertealte Golfgeist in seinem Club manifestierte. Als Brigitte an ihm vorbeitrampelte, zückte er seine Kappe aus Donegal-Tweed und verbeugte sich: „Bitte spielen Sie durch, gnädige Frau. Ihr Spiel ist dem unseren weit überlegen.“ Brigitte grunzte etwas, das Fahrenbach nicht verstand, denn plötzlich hörte man Schreie. Drei Spieler auf dem Grün winkten und riefen, während der vierte am Boden lag.

Brigitte hatte den armen Kerl offensichtlich voll erwischt. Fahrenbach seufzte. Bewundernd blickte er der amtierenden Clubmeisterin hinterher, die mit Dr. Bercelmeyer im Schlepptau Richtung Grün stampfte. Der hatte jetzt tatsächlich einen Notfall. Fahrenbach zuckelte ihnen nach und überlegte, was ihm Wodehouse geraten hätte, um die Gunst der Agnes Flack von Bauernburg zu gewinnen.

Ob er dafür trainieren sollte, einmal in seinem Leben einen „Longest Drive“ zu schlagen…?

(c) by Eugen Pletsch.
(Aus meiner Kolume „Golftagebuch“ in GOLFTIME 8/ 2016)