Der Leber-Galle-Tee

Ein Kapitel aus „Achtung Golfer- Schlägertypen in Wald und Flur“

Nach einem goldenen Herbst hatte sich eine ausgesprochen unfreundliche Witterung breit gemacht. Sturm, Windböen und eisige Schauer zerwühlten das Land; aus den Bergen wurden erste Schneefälle gemeldet. Selbst wetterfeste Golfer zeigen an solchen Tagen Vernunft, weshalb ich in meinem Sessel saß und meine Aufmerksamkeit auf das bernsteinfarbene Getränk richtete, das mir meine Heilpraktikerin verordnet hatte.

Wenn man einen Leber-Galle-Tee in ein Glas gießt und lange genug anschaut, dann sieht man schließlich nur noch die Farbe. Sogar ein rational geprägter Mensch wie ich, dem es sonst an jeglicher Fantasie mangelt, erinnert sich dann der vielen moorig-weichen Hochland Malts, die er in seiner Golferjugend gern und oft genossen hat. Dann gleiten die Gedanken auf bernsteinfarbenen Flügeln zurück in jene Zeit, als die Leber noch jung war und zwei Runden Golf am Tag keine Anstrengung bedeuteten.

Die Stube war warm und alles war getan, was getan werden musste. Meine Überlegungen bezüglich der Schlägertypen ver­anlassten mich, einige meiner Golfbücher durchzublättern, von denen ich etliche besitze, denn nicht alle Golfer sind – wie der erste Eindruck glauben macht – ungebildete Leute. Im Gegenteil! Seit Aristoteles mit seinem Wanderstab auf dem Weg nach Athen das Gewölle einer Eule ins Meer schlug, die als Begleiterin der Göttin Athena bereits in den Fabeln des Äsop für ihre Klugheit gerühmt wurde, gilt der Golfer als letzte Bastion humanistischer Bildung in einer bis in ihre Grundfesten trivialisierten Welt. Und unsere Golfbücher erfüllen zweierlei Zweck: Sie nähren die Illusion vom verlässlichen Schwung und helfen uns Träumern, die Realität des eigenen Spiels zu transzendieren.

Fachkundige Anleitungen zum Golfschwung, Bildbände mit traumhaften Golfplätzen aus aller Welt, Biografien großer Golfer sowie Golfromane und Erzählungen lassen uns den eigenen Kampf mit dem Krampf vergessen. Das feine Lüftchen, das beim Blättern der Buchseiten entsteht, hält die Glut in unseren Golferherzen am Glimmen. Wenn Eis und Schnee die heimatlichen Plätze unbespielbar machen, dann sind Golfbücher ein Labsal für die Seele und das Manna, das Golfer nährt. Auch in der trostlosesten Winterzeit haben wir Golfer deshalb allen Grund zur Freude.

Als ich aus meinem bernsteinfarbenen Nickerchen erwachte, nahm ich den Klassiker schlechthin, Ben Hogans Golfschwung, zur Hand und schaute mir die faszinierenden Abbildungen von Anthony Ravielli an. Seit Generationen gründen Schwungsucher Stand, Griff, Schwung und Ausrichtung auf Hogans Empfehlungen, die mit den genialen Zeichnungen Raviellis auf zeitlose Weise bildhaft geworden sind. Manche Pros mögen diskutieren, ob Hogan noch zeitgemäß ist. Mir ist das egal, denn wem ein Leber-Galle-Tee gleich einem Single Malt zu Kopfe steigt, dem ist ohnehin nicht mehr zu helfen.

Der Regen prasselte an die Scheiben, doch in den nächsten Tagen sollte es kälter werden. Bald würde der Winter kommen. Wie ein alter Indianer, der am Feuer sitzt und von Büffeln träumt, würde ich die Monde zählen und darauf warten, dass die Jagd nach der weißen Kugel erneut beginnt.

Logbucheintrag: Habe zwei Schlägersätze mit alten Blades, zwei Schlägersätze von Clubfittern und etliche Hölzer, sowohl Metall- als auch Persimmon-Hölzer im Internet angeboten. Auch heilige Kühe aus meiner Sammlung sowie Putter, die klebrig sind von meinen Tränen nach 12 Jahren Yips. Denke mir: Was weg ist, ist weg.

(c) by Eugen Pletsch 2013