Kleine Waldgeisterkunde

Waldgeister machen sich gerne einen Schabernack daraus, einen Ball, der offensichtlich kerzengerade auf der Bahn zum Liegen kam, ins Rough zu schubsen.

Die gute Nachricht ist, dass das Kleine Volk, wie die Waldgeister in Irland genannt werden, bestechlich ist. Erfahrene Spieler pflegen Wald- und Erdgeister deshalb schon am ersten Abschlag mit Hanuta anzufüttern. Während sich Ihre Mitspieler bei überhasteten Dehnungsübungen das Kreuz verrenken oder einen äußerst wichtigen winzigen Muskel zwischen ihren Schulterblättern zerren, werfen Sie unauffällig kleine Hanuta-Bröckchen hinter dem Abschlag ins tiefere Gras. Keine Smarties, auf gar keinen Fall genmanipulierte Nestle-Produkte! Davon müssen alle Wesen der Zwischenreiche kotzen! In der kleinen Pause am 10. Abschlag ist es Ehrensache, unseren kleinen Freunden ein gutes Stück von unserer Stulle in den Wald zu werfen. Beliebt sind Fleischwurstbrote.

Am 1. Abschlag ist es üblich, Mitspielern die Ballmarke zu nennen, um spätere Verwechslungen zu vermeiden. Wer mit Waldgeistern in Kontakt treten möchte macht das ebenso, wobei er den Ball hoch über den Kopf hält, laut die Marke in Windrichtung ruft und sich dabei im Kreis dreht. Die Erdgeister werden von ihren Hanutas aufschauen und wissen, was von ihnen erwartet wird.

Falls Sie doch einen Ball verlieren, haben Sie etwas falsch gemacht. Vermutlich Süßigkeiten oder Müsliriegel gefüttert, die Aspartam* enthalten. Das ist ihnen zu giftig und zu süß. Dann bekommen sie Durst und laufen weg. In dem Fall sollten Sie einen neuen Ball in die Luft halten, sich dabei drehen und sehr laut rufen: »Keine Fleischwurst an der Zehn! Keine Fleischwurst an der Zehn!« – Das wird unsere kleinen Freunde auf Trab bringen.

Wassergeister, sogenannte Nixen und Nöcken, die sich noch bisweilen an natürlichen Gewässern aufhalten, sind von unberechenbarem Charakter. Ein Ball, der mitten in den See getoppt wird, wird unweigerlich der Bosheit dieser grimmigen Burschen zum Opfer fallen.

Cartoon: Peter Ruge

Aber nicht immer. Manche haben Humor, was auf Golfplätzen besonders selten ist. Der Bremer Golfclub zur Vahr, Garlstedter Heide, ist einer dieser seltsamen Orte, wo Wundersames geschieht. Ich hatte bereits zweimal die Ehre, diesen Platz zu spielen. Beim ersten Mal war ich vollkommen allein auf dem Platz, was menschliche Lebensformen betrifft, wenn wir mal den Caddymeister außen vor lassen. Leider gibt es immer noch Golfer, die den großen Fehler machen, einen Caddymeister nicht als menschliche Lebensform zu respektieren und die dafür lange in der Hölle schmoren werden. Doch das ist eine andere Geschichte. Schon bei der Einfahrt zum Platz spürte ich, dass hier noch Familien des Kleinen Volkes leben. Leider hatte ich kein Hanuta dabei. Deshalb kaufte ich mir vorsichtshalber bei dem freundlichen Caddymeister einige Bälle, die er in Eierkartons nach Marken sortiert hatte und war auf das Schlimmste gefasst.

Es wurde eine unvergessliche Runde, bei der mein Ball, des Öfteren verzogen und verschlagen, auf wundersame Weise trotzdem stets auf dem Fairway oder Grün lag. Der unglaublichste Schlag war an einem Par 3, bei dem ich mich vollkommen in der Entfernung verschätzte. Ich hörte und sah den Ball mitten in dem Teich landen, der das Grün bewachte. Ich spielte einen zweiten Ball, den ich auf die linke Seite des Grüns schlug. Als ich das Grün erreichte, lag mein erster Ball sauber und trocken auf dem schmalen Streifen zwischen Teich und Grün. Was sagen Sie nun?

Auszug aus: Der Weg der weißen Kugel,
(c) by Eugen Pletsch, 2005