Die Rindswurst

Trotz veränderter Lebensbedingungen unterscheiden wir uns genetisch nicht von unseren Vorfahren, die vor 100000 Jahren Jäger und Sammler waren.
Heute ist körperliche Bewegung in westlichen Ländern die Ausnahme. Nur die Heere der Kolonialmächte sowie die Golfer bewegen sich noch physisch, um ihren genetischen Beute-Auftrag zu erfüllen.

Die Abbildung zeigt Schorsch Lawitzky (der auf seiner Jagd-Runde mehrere Bälle aufsammeln konnte, bevor er dann das 1. Netto der Klasse C erbeutete), beim Verspeisen einer Rindswurst.
 

Cartoon: Peter Ruge

Die Rindswurst, die der Clubgastronom von einem Gammelfleisch-Händler erstanden hatte, besteht aus gemahlenen Schlachtabfällen, Schweinegekröse, Kotresten, Rinderzahnfleisch, Lippen, Schlund und Depotfett, die mit Nitritpökelsalz E50, sowie Natriumnitrit, E252, E302,E301,,E575, E620, E450a und Milchsäure (als Kutterhilfsmittel zur Verbesserung des Wasserbindevermögens) angereichert wurde.

Da es sich um die letzte Wurst auf dem Grill handelte, musste der frühere Bauarbeiter und heutige Inhaber einer Agentur für Leiharbeit Schorsch Lawitzky gegenüber den Handchirurgen Dr. Fenzel-Fädrich handgreiflich werden, indem er androhte, ihm alle Finger zu brechen, sollte er erwägen, sich dieser letzten Rindswurst zu bemächtigen, wobei sich Schorsch Lawitzky nicht so gewählt ausdrückte, sondern nur knurrte: „Fass meine Wurscht an und ich brech‘ dir deine dürren Flossen, du Schwuchtel!“

Dieser deftige unter Golfern mittlerweile etablierte Umgangston veranlasste Dr. Fenzel-Fädrich den Schwanz einzuziehen. Er entfernte sich sofort vom Grill und wandte sich einem wässrigen Salatblatt ohne jedwede Nährstoffe zu.

Schorsch Lawitzky’s Kommentar zur Wurst war „Gar nicht so schlecht!“, was den Gastronomen in seiner Überzeugung bestärkte, dass der billigste Dreck für diesen Sauhaufen gerade gut genug ist.


© by Eugen Pletsch, 2011

Champions hole everywhere!

Alwin Schopenhauer, in väterlicher Linie um ein paar Ecken verwandt mit großen Philosophen, hielt sich an seinem Putter fest und plätscherte mit den Füßen im Teich am Grün der 15. Bahn (PAR 3, 147 Meter).


Er dachte nach. Dabei konnte er sich an viele Geschehnisse in seinem Leben erinnern. Zum Beispiel an seine Firmung, seine Ängste vor einem frühen Tod nach dem (fiktiven) Biss einer Blindschleiche, seine Einschulung, bei der ihn seine dicke Tante Herta begleitete (seine Mutter war indisponiert) und seine erste erotische Erfahrung, die er mit 12 Jahren auf einem Bauernhof im Fränkischen machte, als er mit Sonja Lippschild im Heu balgte und sie dabei mit den Armen so fest umschloss, dass er ihr Herz pochen hörte.
Er erinnerte sich in allen Einzelheiten an seinen beruflichen Werdegang als Bauzeichner und seine Heirat mit Elvira Stütz-Mauser, die darauf bestand, fürderhin Frau Stütz-Mauser-Schopenhauer genannt zu werden. Nur die Gründe, die nach kurzer Zeit zur Scheidung führten, waren ihm im Moment nicht ganz präsent.

Dafür umso lebhafter die Erinnerungen an seine ersten Versuche auf dem Golfplatz unter Anleitung des schottischen Golfprofessionals Alan Jets, der ihn auf traditionelle Weise in die Geheimnisse jenes königlichen Spiels einweihte, dem er sich alsbald mit einer solchen Inbrunst hingab, dass seine Frau die Scheidung einreichte (ach ja, da haben wir es: Das war der Scheidungsgrund!).

Befreit von häuslichem Unfrieden konnte Alwin sein Handicap in jenem sagenhaften Sommer 97 (in dem aber auch wirklich alles klappte) auf seine persönliche Bestmarke von 16,4 senken, was er, der er im Club als der „knauserige Alwin“ bezeichnet wurde – ausgiebig und unvergessen – zu feiern wusste, in dem er seine Spielpartner zu der Flasche Apfelschorle einlud, die sich noch halbvoll und leider etwas angewärmt in seinem Bag befand.
Schließlich – er wusste es noch wie heute – gewann er 2004 die Seniorenclubmeisterschaft, wozu ihm sein früherer, mittlerweile verrenteter Pro Alan Jets mittels einer Humor-Postkarte gratulierte, die in Glasgow abgeschickt wurde. Die Postkarte zeigte das entblößte Hinterteil einer jungen Dame sowie die Aufschrift „Champions hole everywhere!“, was ihm im Moment der Zustellung durch eine junge Postbedienstete sehr peinlich war.
An all diese Dinge konnte er sich also sehr gut erinnern, nur an eines nicht: Warum er am Grün der 15. Bahn (PAR 3, 147 Meter) saß und mit den Füßen im Teich plätscherte. Wie er dahin gekommen war, daran konnte er sich beim besten Willen nicht mehr erinnern.

PS: Schopenhauers Hausarzt Dr. Meuselwitz, der, vom Marshall benachrichtigt, mal rasch mit dem Cart von der 11 rüberfuhr um nach dem Rechten zu sehen, fand Schopenhauers Zustand nicht besorgniserregend. „Erinnerungslücken sind in diesem Club wie ein Virus“ sagte er lachend, womit er auf die Zählgewohnheiten seines Clubkameraden Hubert Kleinschmidt anspielte.

Der Krake

Achten Sie – bei normalen Temperaturen – auf Männer mit roten Köpfen. Die haben ein Laufpensum hinter sich, das der dreifachen Platzlänge entspricht. Achten Sie auf Kratzspuren von Fichtenzweigen oder Himbeerbüschen an den Armen, Blut- und Schlammspritzer an den Beinen, Froschlaich im Haar!

Diese Burschen kommen aus der Hölle und warten darauf, Ihnen genau zu erzählen, wie es dort aussieht. Sie sitzen wie Kraken mit ihren roten Köpfen beim Pils an der leeren Bar. Ihre schleimigen Fußangeln liegen unsichtbar auf die nächsten drei Barhocker rechts und links drapiert. Wenn Sie sich leichtfertigerweise auf einem dieser giftigen Saugnäpfe niederlassen, kommen Sie nicht mehr los. Das fängt dann so an: Der Mann mit der roten Birne wendet sich Ihnen in dem Moment zu, wo Sie Ihr Bier an die Lippen setzen.

»Schon geschpielt?«, fragt er, und seine trüben Tiefseeaugen verengen sich zu Schlitzen.

Mit dem Glas am Mund können Sie nur reflexartig verneinen, wobei Ihnen die Brühe rechts und links über die Backen rinnt.

Mit einem Satz wird der männliche Krake mit einem Lappen, den er zu diesem Zweck hinter dem Tresen bereithält, auf dem Hocker neben Ihnen sein.

Während Sie der nasse Tölpel sind, wischt er schon eifrig an Ihnen rum und meint unschuldig: »Kannema vorkomme.« Und dann: »De Platz is ebbes voll drauße, abber isch muss saache, es schpielt sisch schön!«

Was Ihnen jetzt noch als plumpe Form oberflächlicher Kommunikation erscheint, wie man sie in den USA findet, werden Sie Stunden später, nachdem die Krake Sie mit seinen Geschichten durch alle Wälder, Sandgruben und Gewässer des Platzes geschleift hat, in grauenhafter Erinnerung behalten. Nachdem Sie ihm für seine Hilfsbereitschaft höflich und dumm ein Bier bestellt haben, ist er zwei Schluck später so weit zu sagen: »Tringe mir noch eins? Das geht dann abber uff mich!«

Selbstverständlich protestieren Sie pflichtschuldigst und so wird er bei allen Bierchen, die dann folgen, immer Ihren Deckel hinschieben. Das einzig Gute an der Sache ist, dass Sie ziemlich bald betrunken sind.

Cartoon: Peter Ruge

Von Ferne hören Sie ihn lallen: »… Ball gepuscht … Rischdung Deisch … isch also nachgelade, aber widder rechts raus. Desgibtsjagaanet! Abber es ging ja um nix! Isch also vor und will dann da drobbe. Abber isch seh mein Ball, wie der uff dere Endeinsel liescht. Du kennst doch die klei Insel da, an der 14, bei dem Deisch, da an der 14, na, wo da des Ökodinges iss, weißt schon! Isch also, Schuh aus und rübber. Da liescht de Ball in dem Scheißdrecksendenest. Habb mir beim Schlaach die ganz Hos mit dene Endeeier versaut. Fett getroffe, abber de Ball e’rübber. Isch liesch gut uffm Färwäi. Da hör ich des Geplärr, also isch hab wohl den Ärbel voll im Rückschwung erwischt und des kreischt, des Vieh, des kreischt …!«

Sie sehen noch seine Hände fuchteln beim Versuch, Ihnen zu zeigen, wie er den Erpel erlöst. Dann, schon nach wenigen Schlägen, erreicht er das Grün des Par 3, aber den Putt verrutscht er, weil ihm das ganze Blut von dem Viech an den Fingern klebt. Endlich hat Ihr Kreislauf Erbarmen und Sie sinken vom Hocker, in ein erlösendes Koma. Der Krake löst die Saugnäpfe, um sie nach einem neuen Opfer auszuwerfen.

Also, meiden Sie die Bar!