Im Foyer des Golfclubs Bauernburg herrschte reges Getümmel. Helga, unsere Clubsekretärin, sowie ihre Tochter Luise gingen mit Tabletts herum und reichten Sekt, mit und ohne O-Saft...
Die Club-Granden standen zusammen. Auch die Mannschaftsspieler hielten Abstand vom gemeinen Volk der Mid- und High-Handicapper – was aber eine verständliche Reaktion ist, um sich zu Beginn der Saison vor Yips-Viren und hochinfektiösem Geschwätz über Sockets zu schützen. Nach einem Viertelstündchen der Geselligkeit bat unser Vizepräsident Prof. Klausthaler die Anwesenden, ihm in den Clubraum zu folgen. Ich wartete noch einen Moment auf unseren Clubpräsidenten Herrn Fahrenbach, der mich sofort auf die Seite zog:
„Schreiben Sie etwas über die heutige Veranstaltung für unsere Clubzeitschrift?“
„Meinen Sie, ich sollte? Wir hatten für das nächste Heft den 2. Teil von „Who is who im Golfclub“ angekündigt.“ Fahrenbach zögerte.
„Um was soll es da gehen?“
„Um die Abgründe unserer Golf-Gemeinschaft: Ränkeschmiedende Narzissten mit Vorstandsambitionen, die das Vereinsleben in manchen Clubs zur Hölle machen.“ Fahrenbach winkte ab.
„Das hätte juristische Konsequenzen. Namen könnten Sie ohnehin nicht nennen. Was sonst?“
„Ein Greenkeeper-Thema, das uns alle betrifft. Nach dem Extrem-Sommer 2018 haben sich die Rasenflächen weitgehend regeneriert, aber manche Böden sind noch sehr trocken … und …äh…“. Ein mahnender Blick von Prof. Klausthaler trieb uns zur Eile.
„Schreiben Sie lieber etwas über die neuen Golfregeln. Dann sind alle informiert, die heute nicht teilnehmen können“, beendete Fahrenbach das Gespräch. Ich nickte. Warum nicht? Ich bin zwar nicht der Schriftführer des Clubs, aber ich schreibe hin und wieder über unsere Veranstaltungen.
Ich folgte Fahrenbach in den gut gefüllten Saal und quetschte mich auf den letzten freien Stuhl zu Heiner Markowsky. Der Versicherungsvertreter ist bekannt für seine Fähigkeit, Neubestand auf dem Platz zu kobern. Manchmal mit Golftipps, manchmal aber auch mit einem getoppten Ball in die Hacken, der es ihm ermöglicht, eine Rechtsschutz- oder Krankenzusatzversicherung ins Gespräch zu bringen. Seine Anwesenheit war eher seiner beruflichen Kontaktfreude als seinem Interesse an Golfregeln zuzuschreiben, denn bisher war Markowsky niemandem durch besondere Regel-und Etikette-Kenntnisse aufgefallen. Eher im Gegenteil.
Kaum saß ich, klingelte Fahrenbachs Sitzungsglöckchen. Da die Ruhe nicht augenblicklich eintrat, ließ es sich unser Spielführer nicht nehmen, die Anwesenden mit einem donnernden FORE bis ins Mark zu erschrecken, worauf die älteren Mitglieder ihre Hörgeräte leiser stellten und bald sanft schlummerten. Der Historiker Prof. Klausthaler ließ es sich nicht nehmen, selbst über das Thema „Neue Golfregeln“ zu referieren. Schließlich war ihm die Geschichte des Golfsports seit König James II vertraut, der das Spiel 1457 verbot und stattdessen das Üben des Bogenschießens anordnete. (Das Spiel mit Pfeil und Bogen wäre auch heute noch manchem Golfer zu empfehlen, der den festen Stand an einem Punkt der flüssigen Bewegung vorzieht. Aber dazu hat sich der DGV – selbst im Zusammenhang mit „Ready Golf“ – nie öffentlich geäußert.)
Um dem Zeitgeist zu huldigen, eröffnete Prof. Klausthaler mit „Sehr geehrte Mitgliederinnen und Mitglieder“ und kam dann sofort auf den Punkt: „Regeln und Gesetze werden selten einfacher und im Golfsport war das nie anders. Zu den Regeln hatte man sich außerdem noch Hunderte von Ausnahmen und Anmerkungen ausgedacht, die sogenannten „Decisions“. Doch weil selbst die 10 christlichen Gebote unserer Leitkultur vielen Menschen zu komplex sind, und weil wir alle in einer globalisierten Welt unter unsäglichem Zeitdruck stehen und von Reizüberflutung gebeutelt werden, haben die obersten Regelhüter, die R&A und die USGA, eine Reorganisation der Golfregeln beschlossen. Die Golfregeln werden ab 2019 auf 24 reduziert!“
„Doch noch so viele?“ flüsterte Heiner Markowsky.
„Besser als 36“, flüsterte ich zurück.
Heiner nickte, um sogleich wieder den Ausführungen Klausthalers zu folgen. „Wir werden die Regeln an einer Wandtafel aushängen. Außerdem sind die Änderungen im Internet und fast jeder Golfzeitschrift zu finden. Aus zeitlichen Gründen können wir heute nur ein paar Themen herauspicken. Das wichtigste Thema überhaupt ist ‚Ready Golf‘!“
Etliche der jüngeren Spieler kicherten, manche lachten laut auf. Professor Klausthaler schien irritiert. Dass seine üblichen Mitspieler, Präsident Fahrenbach und Dr. Bercelmeyer, als langsamste Spieler im Club galten, war allgemein bekannt.
„Ja, Ready Golf“, beharrte Klausthaler. „Die Suchzeit wird von fünf auf drei Minuten verkürzt. Und jeder Schlag sollte nicht mehr als 40 Sekunden dauern. Außerdem wird das Schlagen außerhalb der Reihenfolge gefördert.“
Diese Neuerung gefiel ihm persönlich besonders gut. Die ewige Warterei, bis Fahrenbach seinen Schwung und Bercelmeyer seinen Ball gefunden hatte, nervte ihn seit dreißig Jahren. Immer wieder wurde sein voreiliges Schlagen als Etikette-Verstoß mit einem Bier geahndet. Die monotone Stimme, mit der Klausthaler sein Verständnis der neuen Golfregeln darlegte, erzeugte nicht nur bei den Senioren Schläfrigkeit, zumal unser Vize jegliche Zwischenfragen mit einem „Dazu kommen wir gleich…“ abschmetterte.
Er streifte die Identifizierung des Balls, das Versehentliche Bewegen, die Veränderung der Ball-Lage und betonte, dass Caddies nicht hinter dem Spieler stehen dürfen.
„Was ist ein Caddie?“, fragte Markowsky leise. „Meint er einen Trolley?“ „Nein, früher gab es Taschenträger, die nannte man Caddies“ tuschelte ich zurück.
Klausthaler säuselte weiter durch sein Programm… Spiellinie berühren … auf dem Grün markieren …. aufnehmen und reinigen … wenn der Ball im Bunker liegt … lose hinderliche Naturstoffe straflos bewegt ….Schäden ausbessern …Versehentliches Bewegen … Flaggenstock zu treffen … Droppen aus Kniehöhe…“.
Hier zuckte Markowsky. “Hä? Wenn ich meinen Ball im Rough nicht finde, dann droppe ich immer so. Wie denn sonst?“
„Bisher ließ man den Ball mit ausgestrecktem Arm fallen?“
„Seit wann denn das? Seit 1933?“ Er hatte seine Stimme etwas gehoben, was Prof. Klausthaler irritierte.
„Wie meinen?“
„Äh, ich verstehe nicht, was neu sein soll an dem, was Sie da vortragen? Golf ist doch kein Glückspiel! Wenn ich meinen Ball im Rough nicht finde, dann lass‘ ich einen fallen. Wenn der Ball blöd im Bunker liegt, schmeiß‘ ich ihn raus und lose hinderliche Naturstoffe habe ich schon immer straflos weggeschmissen, wobei ich nicht genau weiß, was lose hinderliche Naturstoffe überhaupt sind. Da sollte mir mal einer einen Strafschlag verpassen. Das Echo würde der nicht verkraften.“
Wer jetzt noch wach war, lachte, die andern wachten auf. Markowsky legte nach: „Ich finde ja gut, dass alles leichter werden soll mit die neuen Golfregeln, aber wir spielen schon immer so. Diesen ganzen Kleinkram, den Sie da aufzählen, den kennt doch keiner außer ein paar Erbsenzählern und Wichtigtuern.“
Das gemeine Volk der Mid-und High-Handicapper murmelte beifällig und begann zu diskutieren, was Prof. Klausthaler aus dem Konzept brachte. Er stotterte noch eine Weile rum, bis sich Präsident Fahrenbach genötigt sah, das Versammlungsglöckchen zu rühren: „Vielen Dank an Prof. Klausthaler für seine Erläuterungen. Ich muss zugeben, dass ich die Änderungen auch noch nicht im Detail erfasst habe. Das Meiste scheint mir vernünftig. Dennoch frage ich mich, ob es die neuen Regeln nicht nur denen leichter machen sollen, die sich nie die Mühe gemacht haben, unsere bisherigen Golfregeln zu verstehen. Andererseits: Wenn die neuen Regeln dem Usus und der allgemeinen Unkenntnis angepasst wurden und wir künftig so droppen, wie es bisher nur die Schummler gemacht haben, dann geht das zwar in den Rücken, aber es demonstriert unsere Bereitschaft, das Golfspiel zu erneuern. In diesem Sinn wünsche ich uns allen eine erfolgreiche Golfsaison – und jetzt, liebe Mitgliederinnen und Mitglieder, das Buffet ist eröffnet!“
Markowsky stand auf und schüttelte den Kopf.
„Das erinnert mich an die neue deutsche Rechtschreibung. Die Alten, die noch richtig schreiben gelernt haben, werden sich das Neue nicht merken können und die Jüngeren können weder die alte noch die neue Rechtschreibung.“
„Ach, das wird schon“, beschwichtigte ich, aber letztendlich nur, weil ich Hunger hatte und zum Buffet wollte.
Erschienen im NRW Golfjournal. © by Eugen Pletsch 2019