Wie mein Buch über „Schlägertypen in Wald und Flur“ entstand….
Prolog
Ein Buch zu schreiben ist für mich ein ähnliches Abenteuer wie eine Golfrunde auf einem gänzlich unbekannten Platz. Man kann sich einschwingen, ein Birdie Book studieren oder sich einen Spielplan zurechtlegen, aber wenn es dann losgeht und direkt am ersten Abschlag auf einem Felsen über der Küste plötzlich heftiger Wind aufkommt, dann passieren die merkwürdigsten Dinge und das manchmal über 18 lange Bahnen. Es fasziniert mich immer wieder, wohin mich mein Golfspiel führt, aber noch mehr fasziniert es mich, als Anhänger des spontanen Schreibens, zu erleben, wie ein Text entsteht und sich daraus ein Buch entwickelt – oder sollte ich sagen: verwickelt?
Mein letztes Buch[1] hatte mich weit über meine körperlichen und geistigen Grenzen hinausgeführt, und ich brauchte Jahre, um mich zu regenerieren.
Als schließlich die Lust an einem neuen Buchprojekt in mir zu köcheln begann, versuchte ich mich an einem anarchistischen Golfroman. Es sollte ein dicker, fetter Schmöker werden, schwer genug, um Augen mit Tränen zu füllen, Blumen zu pressen und um offene Balkontüren zu fixieren. Mein Werk sollte auch die dunkle Seite des Golfsports beschreiben. Viele mögen es nicht glauben, aber sogar der Golfsport hat seine Schattenseiten, die von Niveaulosigkeit, Geltungssucht und Habgier bestimmt sind. Deshalb – und weil ich manchmal dem Wahn erliege, die ewigen Werte in ihrer Weisheit und Wahrheit für mich gepachtet zu haben – versuchte ich, dem »königlichen Spiel« in einem gewaltigen Epos zu huldigen, nicht zuletzt, um damit ein Bollwerk gegen den golferischen Stumpfsinn zu errichten.
Irgendwann war mein Werk zu einer stattlichen Rohfassung gereift, was mir jedoch immer noch fehlte, war der erste Satz. Deshalb wurde ich in meiner ohnehin unruhigen Nachtruhe häufig von Alpträumen heimgesucht. Dabei ging es stets um diesen ersten Satz, der mir nicht einfallen wollte. Mein Roman (mittlerweile war es ein Golfer-Drama, das vor Tragik nur so triefte) würde Herzen schmelzen und Tränen vom Himmel fallen lassen – aber nur, wenn der erste Satz perfekt wäre. Was tun?
Ich musste das Problem in aller Ruhe durchdenken, und denken kann ich am besten auf einer Golfrunde. Weil das Thema so gewaltig war und es so viel Stoff zum Nachdenken gab, spielte ich den ganzen Sommer lang jeden Tag Golf. Dadurch kam ich leider nicht zum Schreiben, während meine Träume immer bedrohlicher wurden.
Der Volkshochschulkurs
Könnte der erste Satz lauten »Der Golfer ist ein seltsam Ding, wovon ich euch ein Liedlein sing.«? Nein, lieber nicht. Auch Kursleiter Benno Breme war von der Idee entsetzt, während er sich an meinem verängstigten Hasenblick weidete. Noch einmal stellte er mir die Frage, die mich seit Monaten quälte: »Wie lautet der erste Satz in deinem nächsten Buch?«
Ich starrte ihn an und schluckte. Woher sollte ich das wissen? Deshalb war ich doch in seinem Kurs! Mit meinem Golferlatein war ich am Ende. Die anderen Teilnehmer des Kurses »Kreatives Schreiben« im Raum IV der Volkshochschule schauten mich desinteressiert an.
»Mein erster Satz, äh …« Ich stotterte.
»Golfer … äh … sind liebenswerte Menschen. Zumindest die meisten.«
»Und so was nimmt dir dein Verlag ab?«
Benno Breme (in der Autorenszene BeeBee genannt) schmatzte verächtlich. Er hatte gelbe Zähne vom Rotwein und Schwarzer-Krauser-Rauchen und einen dicken Schnauzer, in dem meist ein Popel hing. Noch ein mitleidiger Blick in meine Richtung, dann donnerte er los: »Leute! Der erste Satz ist entscheidend! Der muss wie ein Faustschlag sitzen!«
Er musste es ja wissen: Der Bukowski-Jünger BeeBee hatte in den 90er-Jahren einige Schmuddelgedichte in Underground-Magazinen veröffentlicht. Da ihm die breite Anerkennung versagt blieb, hatte er sich sein Nest in der Schublade »Verkannte Dichtergenies« gepolstert und pflegte sein Image als einstiger Zeilenstürmer. Was er weniger genoss, war seine Volkshochschulklientel: Smartphone-Fuzzies der Generation Twitter, die lernen wollten, wie man geile Marketingtexte verfasst, um »irgendeinen Konsumscheiß via Internet zu verhökern« (Zitat: BeeBee), sowie „Hausfrauen, die davon träumten, als Harry-Potter-Milliardärinnen in die Literaturgeschichte einzugehen“.
»Wenn du deinen Leser mit dem ersten Satz am Schlafittchen hast, kann er dir nicht mehr entrinnen! Aber nur dann!«
Eine seltsame Stille krümmte den Raum. Oh bitte, lieber Gott, gib mir endlich den ersten Satz!
Das Bild von BeeBee im Raum IV der Volkshochschule verblasste. Ich erwachte schweißgebadet.
Ein heiteres Buch?
Dann kam der Anruf, den ich seit Wochen befürchtet hatte.
»Und? Wie sieht es aus?« Die Stimme meines Redakteurs klang freundlich.
»Sie meinen draußen? Das Wetter ist sonnig«, murmelte ich.
»Ich spreche von unserer weiteren Zusammenarbeit.«
»Das neue Buch ist in Arbeit. Aber Sie wollten abklären, wie es mit dem Vorschuss aussieht.«
»Die Verlagsleitung hat über Ihre Forderungen nachgedacht.«
»Und?«
»Wie beim letzten Buch: Eine Flasche stilles Wasser, einen Apfel und eine Packung Knäckebrot.«
»Das ist alles?«
»Wir halten es hier mit Schopenhauer, der einst sagte: ›Die vortrefflichsten Werke der großen Männer sind alle aus der Zeit, als sie noch umsonst oder für ein sehr geringes Honorar schreiben mussten.‹«
»Dann aber Dinkelknäckebrot!«
»Hab’s notiert.«
»Irgendwelche Bedingungen?«
»Ja. Es soll ein heiteres Buch werden!«
»Ein was?«
»Ein heiteres Buch.«
Das vermieste mir sofort die Laune. »Das Golfspiel ist nicht immer heiter!«
»Das mag sein. Aber Sie können manchmal richtig fies werden, so dass man meint, Sie wollten Ihren Lesern das Golfspiel vermiesen.«
»Wie bitte? Ich? Ich bin der einzige in der Branche, der diesen Traumtänzern reinen Wein einschenkt, der ihnen schonungslos sagt, was ihnen bevorsteht, wenn sie … ich habe doch täglich mit den Opfern dieses Spiels zu tun. Ich bin doch selbst eins!« Ich hatte die Stimme vielleicht etwas angehoben, aber brüllen klingt anders.
»Ja, ja, schon gut«, wiegelte er ab, vermutlich, weil er befürchtete, dass mein Bluthochdruck zu Umsatzeinbußen führen könnte. »Beruhigen Sie sich. Ich rufe noch mal in ein paar Wochen an. Vielleicht fällt Ihnen bis dahin etwas ein. Aber bis zur nächsten Verlagskonferenz brauche ich ein Konzept.«
»Alles klar«, knurrte ich und legte auf.
Hatte ich unwirsch geklungen? Schließlich war der Vorschuss noch nicht ausbezahlt. Aber es regt mich auf, dass alles immer »lustig« sein muss. Das Leben ist nicht immer lustig und schon gar nicht dieses Spiel. Golf ist eine zwiespältige Angelegenheit. Jeder Golfer weiß das, und natürlich auch jede Golferin. Einerseits erfüllt uns das Spiel mit einer Heiterkeit des Herzens, die ich nicht missen möchte. Aber wenn Schläge misslingen, dann ist die Heiterkeit futsch. Dann kann man sich ärgern, bis man schwarz wird, rot sieht oder blau anläuft. Dem Ärger ist die Farbe egal.
Der Goldesel
Zwei Wochen später. Düdelüt!
Ein schmerzhaftes Nagen an meiner Hirnrinde. Düdelüt!
Mein Telefon! So früh? Nein, es war nicht früh, ich hatte total verpennt.
Ich hob ab und mein Redakteur sprang mir direkt in den Schädel, wodurch sich das Gespräch unauslöschlich in meine Festplatte brannte.
»Habe ich Sie geweckt?«
»Ich sitze seit Stunden am Schreibtisch.«
»Das ist wunderbar«, sagte er, der gerne in neuen Manuskripten stochert, egal ob sie von lustigen Teichmolchen, schwarzen Löchern im Universum, fetten Fischen auf dem Grill oder kiffenden Landschildkröten handeln. Sogar Golfbücher pflegt er in rührender Unkenntnis zu sichten, seit der Verlag nach einem Schnupperkurs der Geschäftsleitung entschied, Golfbücher im Marktsegment Naturkundliche Wanderung zu platzieren.
»Woran arbeiten Sie?«
»Am ersten Satz des neuen Buches.«
»Oh?«
»Ja, der erste Satz ist entscheidend. Man muss seine Leser sofort am Schlafittchen schnappen. Wussten Sie das nicht?«
»Aber Sie haben vorwiegend Leserinnen! Unsere Leserbefragung bestätigt das. Übrigens: Wie sieht es mit Ihrem Konzept aus? Nicht dass ich drängeln möchte, aber wie Sie wissen, rückt die Verlagskonferenz immer näher und die Kollegen fragen sich …«
Die sonst so sanfte Stimme meines Redakteurs hatte einen anderen Farbton angenommen. So klingt er, wenn ich versuche, ihn um einen Vorschuss anzuhauen.
»Ein Konzept? Sie meinen, worum es in dem neuen Buch geht?
»Genau.«
»Es handelt sicher nicht von Einwegschnecken oder kroatischen Kampfbibern. Es wird ein Golfbuch!«
»Tatsächlich? Wie interessant. Nur bräuchte ich das etwas genauer, da wir im Verlagsprogramm auch andere Golfbücher vorbereiten.«
»Meine These: Der Golfsport ist versaut. Es geht nur um Kohle.«
»Also eine Art Schmähschrift, wie Ihre anderen Bücher?«
»In diese Richtung dachte ich, aber ich wollte es diesmal etwas größer anlegen. Ich dachte an einen anarchistischen Golfroman.«
»Einen anarchistischen Golfroman? Hatten Sie nicht schon mal vor Jahren in diese Richtung gedacht?«
»Stimmt. Damals war die Zeit aber noch nicht reif, man hätte mich nicht verstanden. Doch jetzt, wo die Menschheit die größte Bedrohung in ihrer Geschichte erlebt …«
»Sie meinen den Golfsport?«
»Nein, ich meine ALLES! Der Weltuntergang steht bevor. Uralte, schreckliche Geheimnisse werden offenbar. Grauenhafte Gestalten der Finsternis kriechen hervor …«
»Gut, dass Sie mich an meinen Banktermin erinnern«, flötete mein Redakteur, der sich durch nichts so schnell aus der Fassung bringen lässt, »aber nun sagen Sie doch mal: Worum geht es in Ihrem Roman?«
»Sie meinen in Kurzfassung? Hm. Ich würde sagen, es geht um den Konflikt zwischen Tradition und Moderne am Beispiel des Golfsports. Sozusagen. Meine These ist: Golf ist Anarchie. Mein Beweis: Wo immer sich Golflehrer einmischen, herrscht danach das reine Chaos. Nein, das war nur ein Spaß.«
Er holte tief Luft. »Jetzt mal im Ernst.«
»Na gut. Es wird ein ziemlicher Schinken werden. Stellen Sie sich vor: Krieg und Frieden, Die Säulen der Erde und Die Bibel in einem Buch. Soll ich etwas aus der Handlung beschreiben?«
»Ich bitte darum.«
»Einerseits geht es um all die Abscheulichkeiten einer verkommenen Welt, aber es geht auch um einen Golfer und seine große Liebe. Der letzte Dialog der beiden Liebenden, wenn er sich von ihr wegen Missachtung einer Golfregel trennt – und dabei war alles nur ein Irrtum –, oh, Jesses, ich muss schon flennen, wenn ich nur daran denke. Vom Winde verweht ist nichts dagegen. Dass so ein monumentales Werk seine Zeit braucht, werden Sie doch verstehen, oder?«
Eine Weile herrschte Stille, dann hörte ich ihn leise wimmern: »Vom Winde verweht?«
»Ja! Mit herrlichen, endlos langen Sätzen und einem Schuss Wahnsinn, fast wie Dantes Inferno.« Einen gewissen Stolz konnte ich mir nicht verkneifen.
Er röchelte. »Dieses Inferno wird niemand kaufen.«
Ich erschrak. »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ganz einfach, weil die Menschen nicht mehr lesen. Wir leben im Twitter-Zeitalter. Mehr als eine SMS kann nicht mehr verarbeitet werden. Lange Geschichten können Sie vergessen.«
»Aber alle meine Bücher bestehen doch aus langen Geschichten!«
»Darüber wollte ich heute mit Ihnen sprechen. Die Leserumfrage besagt: Kaum ein Leser liest Ihre langen Geschichten.«
»Nein? Was dann?« Ich hatte meine Tropfen noch nicht genommen und jetzt flatterte mein Nervenkostüm. Mir wurde schwach. »Meine Leserinnen auch nicht?«
»Die lesen manche Kapitel. Aber gegen seichtes, hochtrabendes Geschwafel sind auch Frauen mittlerweile allergisch. Über doppelbödige Pointen, die den Kopf anstrengen, mag heute niemand mehr nachdenken.«
Heute Morgen würde ich meinen Blutdruck besser nicht messen. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Kein 1000-Seiten-Roman! Wir brauchen kurze Episoden, leicht wie Knäckebrot, die flach unter dem Wind segeln.«
»Was meinen Sie damit? Soll ich irgendwelche niveaulosen Sottisen und peinlichen Anekdötchen zu einem Amalgam der Geschmacklosigkeit zusammenrühren, das bei jedem intelligenten Menschen Übelkeit verursacht? Schopenhauer sagt dazu …«
»Das leichte Genre ist ein Trend, den wir nicht verschlafen sollten!«, unterbrach mich mein Redakteur.
»Sie meinen, ich soll meine Leser in den Hades grobschlächtiger Satire stürzen? Aber das ist doch überhaupt nicht mein Stil! Außerdem kann ich mich nicht kurz fassen.«
»Dann müssen Sie es lernen. Viele Bücher, die ihre Leser nicht mit Inhalt überfordern, sind Bestseller geworden.«
»Solche Bücher werden Bestseller?«
Es folgte ein Moment der Stille. Der Redakteur am anderen Ende der Leitung schien zu nicken. Im tiefsten Gedärm meines Wesens, da, wo in jedem Künstler die Angst vor der Einsamkeit in Altersarmut wohnt, schrie plötzlich ein hungriger Esel auf, der GOLDESEL: »ÖÖÖnk, ÖÖÖnk, ÖÖÖnk!«
»Vielleicht sollte auch ich diesen schweren Zeiten der Niveaulosigkeit meinen Tribut zollen?«
»Die Verlagsleitung würde das sehr zu schätzen wissen.«
»Und das Thema?«
»Geschichten über Golfer, sozusagen Schlägertypen in Wald und Flur. Auf wen lässt man sich ein, wenn man mit dem Golfen beginnt? Wir möchten den Markt der Neugolfer ansprechen, indem wir ihnen die Menschen vorstellen, die sich bereits für dieses hübsche Hobby entschieden haben. Freundliche, sympathische Gestalten voller Lebensfreude und Humor, die ihre Geschichte erzählen – und wie gesagt, es darf nicht zu anspruchsvoll sein. Meinen Sie, Sie können das?«
»Hübsches Hobby? Freundliche, sympathische Gestalten voller Lebensfreude? Sagen Sie, waren Sie schon mal auf einem Golfplatz?«
»Nein, aber denken Sie über meinen Vorschlag nach.«
»Ich könnte vielleicht etwas über unsere Therapiegruppe schreiben«, überlegte ich laut.
»Gut zu wissen, dass Sie noch in Therapie sind, aber ist das lustig?«
»Ich bin nicht in Therapie, ich bin der Therapeut!«
»Oh! Wie schön. Dann ist es für Ihre Klienten bestimmt lustig.«
»Für die Betroffenen vielleicht weniger, aber für die Leser könnte manche Episode ein Anlass zum Schmunzeln sein.«
»Na, dann haben wir doch etwas gefunden«, sagte mein Redakteur und legte auf.
[1] › Endlich Einstellig! – Golf und die Kunst des Scheiterns