Anselm ‚Ringo’Benner (1952-2021)

Erinnerungen an einen besonderen Menschen und wunderbaren Musiker

Der Maestro in Aktion (Archiv Mudel)

Im Frühjahr 2022 erfuhr ich, dass der geniale Gitarrist Anselm ‚Ringo’Benner im Herbst 2021 verstorben war. Das hat mich sehr berührt (siehe auch meine Geschichte zum Schluss) und ich kontaktierte einige seiner Freunde mit der Bitte, Erinnerungen aufzuschreiben. Hier ist meine Geschichte und was seinen Freunden einfiel…
Eugen Pletsch

R.I.P. Ringo!

Der Ausnahmekünstler, den sie ‚Ringo‘ nannten…

Anselm Amadeus Benner, von seinen Freunden und Musiker-Kollegen ‚Ringo‘  genannt, wurde am 14.4.1952 geboren. Er war somit zwei Wochen älter als ich, aber wir begegneten uns erst 15 Jahre später.
Bei einem „Beat-Festival“ (das meines Wissens von der Stadt Gießen im Saalbau des alten Martinshofs veranstaltet wurde), trat Ringo erstmals unüberhörbar in mein Leben – und das der anderen Zuhörer.
Er war Gitarrist in einer Band („The Jewels Four“ oder so ähnlich), die mit ihren Glitzer-Jacketts eher in einem Strip-Club gepasst hätten. Ringo (ohne Glitzerjoppe) rockte den Laden derart, dass der Veranstalter abbrechen wollte, aber die Menge kochte und Ringo hörte nicht auf zu spielen bis der Hausmeister den Hallenstrom abschaltete. Unvergesslich!

1969 hing ich mit Hippies, Droogies und Folk-Musikern meist im „Haarlem“ ab, der damals angesagten Musik-Kneipe. Im Hinterhof gab es ein schmales Gebäude, in dessen Oberstock Musiker übten. Dort hörte ich Ringo, der „1983“ von Jimi Hendrix neuer Platte „Electric Ladyland“ spielte. Ich hatte mir diese Doppel-LP mit Hendrix‘ Surround-Effekten gerade verkauft und war vollkommen verblüfft, dass sich jemand wagte, diesen Song nachzuspielen. Aber Ringo spielte ihn in Perfektion und – soweit ich mich erinnere – sogar mit dem Stereo-Effekt, der den Song so spacy macht.

Die nächsten Jahre trafen wir uns immer mal wieder. Wir waren keine dicken Buddys, aber Ringo begegnete mir stets freundlich und respektvoll, was vielleicht daran lag, dass auch ich ihn während seiner Gelbsucht im Krankenhaus besucht hatte. Später hörte ich dann von seinem Job im Musikhaus Schönau und seiner Fähigkeit, Gitarren spielbar zu machen.
An seinem Bastel-Schreibtisch besuchte ich ihn öfter, wäre aber niemals auf die Idee gekommen, dass er auch meine Folk-Klampfen hätte tiefer legen können, was meinem Spiel gut getan hätte.

Auf der Bühne sah ich ihn letztmalig mit den OLDIES bei einer Kirmes in Großen Linden (?). Er spielte BASS!

Es war, als hätte man von Paganini in einem Orchester gefordert, die Triangel zu spielen. Aber auch den Bass spielte er auf seine unvergleichliche Art, zusammengeschnurrt, in sich gekrümmt, den Blick auf dem Boden (als würde er Kleingeld suchen). Er schien von dem Getobe des Silberrücken-Sängers vollkommen unberührt in einer anderen Welt zu leben, aber ohne irgendeinen Ton falsch zu spielen. Ich vermute, seine Sehnsucht galt dem nächsten ‚Körbchen‘, das Lisa und ich ihm dann in der Pause brachten. (Da ich mein Leben lang Kirmesfeste gemieden hatte, wusste ich nicht was ‚Körbchen‘ sind. In dieser Nacht mit Lisa und Ringo lernte ich dann viele Körbchen kennen…).

Im Sommer 2019 hörte ich, dass man Anselm im Musikhaus Schönau gesehen habe. Er sähe nicht gut aus, hieß es. Ich bemühte mich um seine Telefonnummer. Da ich mich (nach 35 Jahren Pause) wieder mit Gitarren befasste, hoffte ich, ihn zu besuchen zu können. Nein, er wolle lieber mit dem Fahrrad nach Langgöns kommen, sagte er, was dann aber irgendwie im Sand verlief. (Ich hörte erst kürzlich von Tommy Kastl, dass Ringo gerne auch lange Strecken mit dem Rad fuhr).
Ich dachte öfter an ihn, aber dann kam Corona und der Lockdown. Im Frühjahr 2022 erfuhr ich von Friedhelm im Musikhaus Schönau, dass Ringo im Oktober 2021 verstorben wäre. Das hat mich ziemlich mitgenommen. Friedhelm sagte, dass Dale King ihn zuletzt begleitet hätte. Ich kenne Dale nicht persönlich, aber rief ihn an. Ich sagte ihm, dass ich Material über Ringo sammeln möchte, den ich als einen besonderen Menschen und wunderbaren Musiker in Erinnerung hätte. Es folgten viele SMS-Kontakte und Dale und Hans Hoss führten mich zu einem Netzwerk von Freunden und Mitmusikern, die offensichtlich (fast) alle froh waren, dass jemand bereit war, diesen besonderen (wenn auch besonders schwierigen) Menschen zu würdigen.
Ich erinnerte mich auch an Geschichten, die mir Andy Herchen (The Misfits) über Ringo erzählt hatte und rief Andy an. Er verschaffte mir den 1. Text, eine Jugenderinnerung von Karl W. Pfeil, weitere sollten folgen.

Meine Ringo-Recherche führte zu den Archiven seiner Freunde, die Kulturschätze an Tondokumenten, Bildern und Geschichten bewahren. Ich hoffe, dass sich vielleicht das Stadtarchiv oder eine andere Institution darum bemüht, dass diese Schätze nicht verloren gehen.

Die Gespräche mit Jürgen Balzer, Tommy Kastl und anderen Zeitgenossen eröffneten mir einen kurzen Blick in diese regionale, miteinander über Jahrzehnte verwobene Musikszene, die ich zwar als Zuhörer hin und wieder erlebt habe, von der ich als Folk-Musiker aber nie ein Teil war.
Dass ich diese Musiker und ihre Geschichten, Bilder und Tondokumente kennenlernen durfte, verdanke ich dem Ausnahmekünstler, den sie ‚Ringo‘ nannten. Danke!
Vielen Dank auch an alle, die bereit waren, Ringo mit ihrem Beitrag oder ihren Kontakten zu würdigen….

Eugen Pletsch


Beiträge:

Andy Herchen 26.6.2022

Wie auch immer, wir freundeten uns an, zogen um die Ecken, machten Musik zusammen und hatten eine gute Zeit. Unser zweites Zuhause war das Scarabee oder die Oktave. Das hat mich so manches Lawinsche (Ringos Bezeichnung für Flasche Bier) gekostet, weil Anselm eigentlich immer blank war. Eine Zeit lang spielten wir zusammen bei der Band Convoy, wo auch Tommy (Keyboards), Hans (Drums) David (Gitarre) und Fippo (Gesang) dabei waren. Holte jemand von uns Anselm zur Probe oder zu einem Gig ab, war es reine Glückssache, ob er fertig war oder in welchem Zustand er sich befand 🙂 irgendwie ging’s dann schon. Ringo war halt in meinen Augen ein liebenswerter Chaot. Ringo war ein gigantischer Solist auf der Gitarre mit einem Super Sound, den er mit einfachstem Equipment herbeizauberte. Er hatte eine unglaubliche Gabe, Töne und Stile zu hören und nachzuempfinden. Sein zweiter Vorname lautet schließlich auch Amadeus 😉
Er hatte alles drauf, von Eric Clapton über Jeff Beck bis hin zu allen Guitar-Heroes, die sich so tummel(te)n. Es gab keinen vergleichbaren Musiker in unserem Umfeld, wir schauten alle irgendwie zu Anselm auf. Die Rhythmusgitarre war allerdings nicht so sein Ding, die überließ er gerne anderen. Unterwegs war er auch eine Zeitlang mit der überregional bekannten Band Scriffis. Und Hans erwähnte mal, dass Ringo ein Angebot bekam, mit Joe Cocker zu touren. Warum daraus nichts geworden ist, lässt sich nur vermuten. Vielleicht  hat der Antrieb gefehlt? Das Zeug dazu hätte er locker gehabtAnselm kannte sich auch hervorragend mit Gitarrentechnik aus, stellte die Instrumente hervorragend ein und wusste, wie man sie modifizieren kann. Meinen alten Fender Jazzbass hat er damals umgebaut und technisch modifiziert. Ich spiele ihn immer noch genau so!!! Diese Fähigkeit hat ihm dann wohl auch einen Job bei Musikhaus Schönau eingebracht, wo er als Gitarrenspezi arbeitete. Zu dieser Zeit hatte Anselm nach meiner Einschätzung ein paar Jahre sowas wie eine bürgerliche Existenz. Er lebte mit Hans und Anke ein paar Jahre zusammen und hatte eine Freundin (sein Minche, wie er Frauen nannte). Wann und wie sich das alles änderte, weiß ich leider nicht. Ich habe Anfang der 80er mein Referendariat in Oberursel begonnen und bin dann 84 ganz aus Gießen verschwunden. So habe ich auch den Kontakt zur “ Szene“ verloren. Zu einigen alten Kumoels habe ich aber sporadisch Kontakt gehabt. Seit 2012 haben Tommy, Karl-Heinz, Peter und ich wieder gemeinsam eine Band, wo auch Dale ab und zu mitmischt: https://mudel5.wixsite.com/steambenders
Daher weiß ich auch, dass Tommy und Peter und Manni Kube bis vor ein paar Jahren in Wetzlar eine Band hatten. Die wurde dann aber aufgelöst, war wohl zu anstrengend…Ich habe Anselm noch zwei Mal getroffen. Auf David Domines 50sten 2004 und Tommys 60sten 2011. Bei Tommy war von Anselm schon nicht mehr so viel übrig. Er machte einen etwas desolaten Eindruck. Wir haben lange gequatscht, ich konnte ihn aber kaum verstehen, lag wohl auch an diversen Substanzen…..Aber er hat Gitarre gespielt und in einigen lichten Momenten trat das Genie wieder zum Vorschein. Das hat mich gefreut und ziemlich beeindruckt. Tommy hatte bis vor einigen Jahren noch engeren Kontakt zu Anselm und die beiden haben bei Tommy ein Paar Stücke aufgenommen. Da gibt’s auch MP3 ’s von. Dale King hat dann einige Monate vor Ringos Tod Kontakt zu ihm aufgenommen  und ihn öfter besucht in Londorf, wo er zum Schluss lebte. Von Dale erfuhr ich auch von Anselms Tod. Das hat mich sehr traurig gemacht, obwohl es nicht unerwartet kam, aber ich hatte die Chance verpasst, Anselm vielleicht mit Dale gemeinsam nochmal zu besuchen und zu sehen. Schade!!!Auf Anselms Beerdigung waren viele Wegbegleiter da, das war sehr schön! Anselms Bruder Alexander bat mich, mal nach den ganzen Instrumenten etc. zu schauen und sie zu taxieren. So bin ich dann nochmal in Anselms Bude. Da hatte sich so einiges angesammelt, von Hot bis Schrott. So wurde ich nochmal konfrontiert damit, wie Anselm die letzte Jahre zubrachte. Das war schon etwas hart zu sehen aber auch irgendwie zu erwarten. Um etwas DNA von Ringo für mich zu retten, habe ich Alex Ringos Arbeitspferd der letzten 30 Jahre abgekauft, eine schwarze Fender Stratocaster, die ich in Ehren halte. Von Alexander weiß ich, dass es Ringo sehr wehgetan hat, dass die Oldies ihm gekündigt haben. Ich schätze, er war dort zum Schluss auch kein zuverlässiges Mitglied mehr. An seinen Fähigkeiten kann es mit Sicherheit nicht gelegen haben. Und wen es interessiert: einer seiner legendären Sprüche war „So genau fi..t doch kein Pfarrer!“So, jetzt hab ich mich ziemlich ausführlich an meinen alten Kumpel Anselm Ringo Benner erinnert. Es ist nicht alles nur positiv, aber ehrlich.  Ich hoffe, du kannst was damit anfangen.
Mudel 


Peter Dampf  vom 21.7.2022
Musik mach ich wieder seit 1986…mit Fippo (G. Meinhardt), Jürgen Bender/dr und Karlheinz Weber/guit als Bassist bei Bruno Brunetti & die Hasardeure. Und nach Jürgens Tod dann mit den Steambenders  mit Mudel am Schlagzeug & voc, Tommi an den Tasten & voc sowie Karlheinz/ guit & voc und ich / Bass & voc.An Ringo hab ich vier bleibende Erinnerungen:1 )  Ein Live-Gig im Picasso-Keller (Gießen Bahnhofstraße) wo das Gefühl blieb, mit einem Zwillingsbruder von Jimi Hendrix gejammt zu haben! Ich glaube es war 1969 und die Haare gingen bis über die Schultern…2 )  Ein Besuch (mit Begleitung) in der Uniklinik (Frankfurter Str.) bei Ringo und seinem ,Gilb‘ irgendwann in den 70ern, wo wir staunend feststellten, dass ,Amadeus‘ nicht an der Gelbsucht sterben wird – dafür ließ er sich viel zu wenig vom Gilb beeindrucken.3 ) großer Zeitsprung. Ringos  Oldies-Zeit ist vorüber, Äppelwoi, ‚Lawinche‘ (Sixpack) und rauchendes oder chemisches Dope ist geblieben. Er residiert mit einer Frau in der Gießener Straße in einem Sechsfamilien-Mietshaus. Die Rollläden sind rund um die Uhr herabgelassen. Ringo ‚haust‘ nicht, er hat sich wie ein verletztes Tier in seine Schlaf-& Wohnhöhle zurückgezogen, sein Schreib-bzw. Arbeitstisch ähnelt seinem beim Musik-Schönau.4) Es sind die 2000er Jahre, ich hole ihn einmal die Woche zum ‚Mussikmache’ mit der Wetzlarer ‚Krachband’ ab. Tommy hat mich dazu geholt, auf dem ehemaligen Philipsgelände in WZ ist der Übungsraum. Gemeinsam lassen wir die Hippiezeiten nochmal richtig hochleben, Cream, Hendrix, Thin Lizzy und natürlich: schöne lange Jam-Nummern. Eine Art Jungbrunnen, worre eij (wirklich jetz‘)! De Perre (der hessische Petter = Patenonkel) hat immer ‚alles gegewwe‘, exakt auf den Punkt, wie ein Uhrwerk – wir haben nicht üben müssen für Kohle-Auftritte, wir haben tatsächlich Musik gemacht, for Fun  – we were free für 3 bis 4 Stunden, yeah…
Peter Dampf 

Tommy Kastl 30.7.2022
Wenn es hilft die Erinnerung an Anselm auf diesem Weg aufrecht zu erhalten, will ich gerne dazu beitragen.Ich kannte ihn seit den frühen 1970er Jahren und war wie alle anderen erstaunt und begeistert von seinen musikalischen Fähigkeiten. Wie kein anderer in der heimischen Musikszene konnte er sich in sämtlichen Tonarten mit traumwandlerischer Sicherheit bewegen und die Töne so fein und gefühlvoll modulieren, was vielleicht etwas im Widerspruch zu seiner sonstigen Art stand. Dieses Staunen und die Begeisterung über seine musikalische Gabe hat im Lauf der Jahrzehnte nie nachgelassen. Da ich selbst leidenschaftlicher Hobbymusiker war trafen wir uns in zahllosen Jam-sessions und einigen Band Projekten wieder. CONVOY: Günther Meinhardt, voc., Anselm Benner, guit., Dave Domine, guit., voc., Tommy Kastl, keys, Billy, bass, Jürgen Balzer, drums. Irgendwann in den 1970ern, leider habe ich kein Tonmaterial mehr…KICK ASS: Dave Domine,guit.,voc., Klaus Spring, bass, Anselm Benner, guit., Tommy Kastl, keys, Jörg Dobrick, drums.Später spielte er viele Jahre lang in der Cover Band THE OLDIES mit und wir haben uns aus den Augen verloren. Parallel dazu war er auch in der KRACHBAND aktiv, die hier auf dem Neuhof, Leihgestern, ihren Proberaum hatte.Diese Auflistung ist sicher nur ein Teil seiner vielfältigen Aktivitäten.Seit etwa 2010 trafen wir uns dann wieder zu gelegentlichen Jam Sessions in Wetzlar.Aus all diesen Sessions, die ich gegen nichts in der Welt eintauschen würde, ist leider sehr wenig an Tonmaterial erhalten geblieben. Dennoch war es mir vergönnt einige Momente festzuhalten bei denen er mich zuhause bei mir besuchte und ich ihn überreden konnte eine Gitarrenspur auf eine meiner selbstgebastelten Kompositionen zu spielen. Ich denke das könnte dich interessieren.  
Tommy


Dale King 30.7.2022 Singer, Songwriter, Bluesharp, Guitar
Ich traf Ringo um 1977. Wir spielten zusammen in einer Band in Gießen. Er war schon damals ein Meister der 6-saitigen E-Gitarre mit einem schönen Sound und virtuos.  Ringo war ein Mensch, der ein exzessives Leben führte und alles, was er tat, bis zum Äußersten trieb, Musik, Sport usw..Wir lebten für eine kurze Zeit zusammen und spielten abends nonstop zusammen Musik. Für mich war Ringo ein freundlicher, friedlicher, humorvoller, schüchterner, Charly Chaplin-artiger Mensch. Im Laufe der Jahre hatten wir nur noch sehr wenig Kontakt. Kurz bevor Ringo verstarb, kreuzten sich unsere Wege wieder und wir hatten die Gelegenheit, eine schöne Zeit miteinander zu verbringen, Geschichten auszutauschen und ernsthafte Gespräche zu führen.Ich werde nie seinen Gesichtsausdruck vergessen. Er brauchte nichts zu sagen, aber man konnte sehen, was er dachte. Und genau so spielte er auch seine Musik, indem er seine Gitarre die Geschichte erzählen ließ.
Dale 

Friedhelm Marx, ehem. Arbeitskollege Musikhaus Schönau
Hallo Eugen, ich kannte Ringo ca. 30 Jahre! Er war für mich kein Freund, aber ein nicht ganz unkomplizierter Arbeitskollege. Sein Auftreten gegenüber Kunden war nicht immer sensibel. Ich kann mich daran erinnern, dass Ringo eine Gitarre – die er reparieren sollte – zertrümmerte, weil sie einfach “ Schrott“ war. Er hat allerdings auch viele Gitarristen in den Laden gezogen, weil er ein begnadeter Gitarrist war. Wir versuchten Ringo mit den für Ihn passenden Aufgaben zu betreuen.  Leider hat das nicht immer funktioniert. Er war oft nicht kooperativ und auch unzuverlässig!Irgendwann konnte unser damaliger Chef es einfach nicht mehr tolerieren.  Trotzdem hatte Ringo oft einen lockeren Spruch parat und war auch sonst ein humorvoller Typ.Gemeinsam habe ich mit Ihm nie musiziert. Ich würde sage, er konnte sein herausragendes Potential / Talent  nicht „an den Mann/Kunden bringen. Eugen, du hast immer nach dem
„Meister“ gefragt als du in den Laden kamst!  Soweit. 
Liebe Grüße, Friedhelm 

Jürgen Balzer
Ich traf Ringo das erste Mal in den frühen Siebzigern, als er mit Erich Täger und Wolfgang Isengard das Stück „1983“ von der Electric Ladyland jammte. Später war ich Zimmernachbar im Brandweg 14, und wir spielten in der Band Convoy zusammen mit Tommy Kastl, Günther Meinhardt und Hans Bill. 1979 trennten sich dann unsere Wege und er stieg bei Kick Ass ein. Allerdings hatten wir immer mal wieder Jams mit den verschiedensten Leuten. Zwischendurch spielte er auf der LP Only A Star von Pell Mell aus Marburg mit. Dann ging Ringo zu den Oldies, zunächst als Bassist, später als Lead-Gitarrist. Nachdem er sich von den Oldies getrennt hatte, kam er zu Driftin’, der Band bei der auch ich spielte.  Ringos Stärke war sein relatives Gehör, d. h. er brauchte nur einen Basis-Ton wie A, und dann konnte er alle anderen Tonarten heraushören. Das erleichterte ihm das Nachspielen von Stücken. Im Laufe der Zeit lernte er immer mehr von Gitarristen wie Eric Clapton, Jimi Hendrix, Jeff Beck, Gary Moore und vielen anderen mehr. Doch am meisten interessierte ihn Allan Holdsworth, der Gitarrist der Gitarristen. So spielte er dessen schmachtende, jammernde oder klagende Gitarrenlicks immer wieder gerne. Allerdings blieb dabei die eigene Kreativität auf der Strecke: Es gibt kaum von Ringo komponierte Stücke. Ringo hatte auch das Talent, Gitarren „heiß“ zu machen mit verbesserter Saitenlage, Bundreinheit und anderen Eingriffen, was ihm einen Job beim Musikhaus Schönau einbrachte.  Sehr lange hielt das nicht, da er eigene Vorstellungen von Anwesenheitspflicht hatte. In jungen Jahren war er berüchtigt für seine Unzuverlässigkeit – so konnte man nie sicher sein, dass er zum ausgemachten Zeitpunkt fertig zur Abfahrt war. (Stichwort: Socken waschen) Doch im gesetzten Alter entwickelte er sich zum Pünktlichsten von allen bei Driftin’ – jedes Mal wenn ich ihn abholte, stand er schon bereit mit Gitarre und Amp, ohne wenn und aber.
Jürgen Balzer 


Andreas Herchen, ‚Drommla‘ bei The Misfits):
Mit Ringo verbindet mich eine lange und teilweise sehr intensive Musiker Freundschaft. Das erste Mal dass ich Ringo live gesehen habe war im Jugendzentrum in Lich Anfang der 1980er. Ich glaube die Band hieß Kick Ass. Dabei waren Jörg Dobrik, Musikschullehrer in Lich. Nach der Schule war ich immer beim Schönau und wurde quasi täglich von Ringo beauftragt, e heiß Fleischwoschd mim Bredsche un e  Flasch Äppler  vom Metzger Meister im Seltersweg zu holen.Einmal war der Metzger zu, da habe ich woanders eingekauft und obwohl ich die Tüte weggemacht habe hat Ringo es trotzdem gemerkt.Beim Schönau waren regelmäßig die üblichen Musiker Verdächtigen beim Ringo. Das Who’s Wo der hessischen Gitarristen- und Musiker Szene kam zum Ringo um die teuren Teile fachgerecht reparieren zu lassen. Ich habe jede Menge über Reparaturen gelernt und kostenlose Lebensweisheiten bekommen.Eine seiner Top Musiker Tipps war, dass ganz egal wo man ist und was man tut: Man muss immer eine Subba Äx  dabei haben, sonst funktioniert gar nichts.Die Subba Äx war eine Axt, die hinter seinem Werkstattstuhl an der Wand hing und die Ringo benutzen musste, wenn wieder Mal ein nerviger Schnösel die Gitarren Amps voll Aufriss, um eine Gitarre zu „testen“ und mit seinem  furchtbarem Gequietsche Ringo’s Ohren und Nerven strapazierte. Wenn mehrmalige freundliche Aufforderungen seitens Ringo, es doch mal erst mit Unterricht zu versuchen, von den Kids ignoriert wurden und ins Leere liefen, kam sein magischer Satz:“ Hör jezz uff, sonst lernste die Subba Äx kenne.“Wenn selbst die allerletzte Aufforderung von den Schnöseln mit einem überheblichen Lächeln und weiteren Gitarren quälen ignoriert wurde, ging Ringo wortlos in seine Werkstatt, nahm die Axt von der Wand und mit einem breiten Lächeln hackte er das Gitarrenkabel durch. Mit lautem Geschrei verließ das nervige Balg dann den Gitarrenbereich und Ringo sagte nur: „Jetzt hat der die Subba Äx kenne gelernt.“
Natürlich kam dann der Chef hinunter an die Abteilung und wie üblich gab es wieder großes Zeter und Mordio.Es war immer wieder beeindruckend zu sehen, wie Ringo unfassbar gut reparierte oder Gitarristen ihren Traum Sound in die Gitarre einbaute. Ich bin bis heute der Meinung, dass die Leute das gar nicht zu schätzen wussten, was der Ringo in hoher Qualität fertigen konnte.Bei Ringo war immer was los und deshalb gibt es hunderte Geschichten, die ich erlebt habe.Später, als sich unsere Wege dann trennten, haben wir uns im Irish Rover wieder gesehen und bei Konzerten von Greghost mit den Oldies, aber das sind andere Geschichten.
Gruß Andy    

Fechten für eine Fichte

Nachfolgend die chronologische Folge einer ökologischen Groteske

Prolog:
„Es gibt Millionen Bäume, da kommt es doch auf einen nicht an“, sagte eine Miteigentümerin unseres Wohnhauses zu zwei NABU-Beauftragten, die sich eine Fichte ansehen wollten. Über einen Antrag zur Fällung dieser Fichte sollte in der Eigentümerversammlung abgestimmt werden und ich hatte interveniert, denn nachvollziehbare Gründe, warum diese Rotfichte gefällt werden sollte, wurden nicht mitgeteilt.
Erst knapp ein Jahr nachdem ich das erste Mal Gerüchte über diese absurde Idee vernommen hatte, am 14.8.2022, wurden in einem Schreiben der Hausverwaltung an eine Miteigentümerin (die sich auch gegen die Fällung ausgesprochen hatte) folgende Gründe genannt:
Der Baum stört einige Anwohner und er zerstört mit seinem Wurzelwerk auch das Pflaster und den Zaun.
Am gleichen Tag wurde in den Nachrichten mitgeteilt, dass im Sommer 2022 mehr Wald als jemals zuvor Opfer der Flammen und der Trockenheit wurde. Die Antwort an Menschen, die wie meine Miteigentümerin denken wäre also:
Derzeit sterben Millionen Bäume und es kommt auf den Erhalt eines jeden Baumes an!“

Erster Akt: 30.6.2022
Bei der Wohnungseigentümer-Versammlung unseres 9-Parteienhauses wird ein Antrag zum Rückschnitt oder Fällung des Nadelbaums auf der Nordseite unseres Hauses gestellt. Der Antrag wurde ohne Begründung gestellt und seitdem herrscht Unfrieden im Haus, der jedoch nicht der Antragstellerin sondern mir angelastet wird.
Warum die Fichte weg soll, ahnte ich bereits: Ein paar Äste drücken auf den Zaun und da zerstört frau ordnungshalber sofort das gesamte Biotop.
Dass sich Pflastersteine am Parkplatz durch das Wurzelwerk heben ist auch Quatsch, denn das Pflaster hebt sich fast auf dem gesamten Parkplatz, insbesondere entlang der Hausmauer. 
Ich habe nichts dagegen, im Herbst ein paar der unteren Äste zu stutzen, aber eine Fällung – in der heutigen Zeit – das ist doch Wahnsinn. Deshalb habe ich mich in einem Schreiben an die Miteigentümer und die Hausverwaltung vehement gegen die Fällung dieser kräftigen, kerngesunden Fichte ausgesprochen.

Meine Argumente:
Diese Fichte, auch Rottanne genannt, siehe https://www.baumkunde.de/Picea_abies/

  • ist ein wunderbares Biotop,
  • reduziert den Autobahnlärm auf der Schlafzimmer-Seite,
  • schützt unser Hauses gegen Nord/Ostwind,
  • reduziert Anflug-Dreck vom Nachbarfeld (Raps, Staub etc.)
  • verbessert das Hausklima,
  • bietet den Falken Aussicht,
  • vielen anderen Vögeln Nahrung und ggf. Schutz,
  • ist derzeit Nistplatz von Tauben,
  • ist ein Schattenspender,
  • ist ein von Insekten dringend benötigter Pollenspender (weshalb auch der regionale Imker, Herr Schneigelberger, meine Position unterstützt)
  • und ist – ganz persönlich – meine tägliche Freude, wenn ich an dem Nord-Fenster sitze und arbeite.
Falke auf Fichte (Foto: Imme Rieger)

2. Akt:
Corinna Kabot vom NABU besucht und fotografiert den Baum. Sie schrieb mir: „Es wäre ein Riesenschaden ein solches Öko-System zu vernichten.“ Auf ihrer Facebook-Seite wurde sie noch noch deutlicher:
„Diese wunderschöne, gesunde Fichte habe ich in der Lilienstraße in Langgöns entdeckt. Welch ein vollkommenes Ökosystem! Sicherlich gibt es viele nützliche Tiere, die darin nisten oder Nahrung finden. Zum Beispiel dienen die Pollen den Honigbienen und den Wildbienen als wertvolle, proteinreiche Nahrung, also Kraftspender.
Honigbienen und Wildbienen, wie z.B. Hummeln, Wespen und 100 andere Arten mehr sind dringend auf solche reichhaltigen Nahrungsquellen angewiesen. Wir Menschen als Konsumenten von Obst und Gemüse sind dringend auf die Bienen als Bestäuber angewiesen. Deshalb stehen die Wildbienen unter strengem Artenschutz. Für das Entfernen oder Beschädigen eines Hummelnestes muss man in Hessen mit einem Bußgeld von 50 000 Euro rechnen. Doch leider ist es in der Gemeinde Langgöns nicht mit Bußgeldandrohung verboten, einen solchen Baum zu fällen wenn er auf Privatgelände steht. Dabei wird durch die Fällung unzähligen nützlichen Tieren eine wertvolle Nahrungsquelle entzogen, die mindestens 80 Jahre lang für ihre Entstehung brauchte. Das kann nicht durch Neupflanzungen an anderer Stelle oder Blühstreifen ersetzt werden. Es ist nützlich, neue Nahrungsquellen für unsere lebensnotwendigen Insekten und Vögel anzupflanzen. Doch leichter wäre es, vorhandene Nahrungsquellen nicht zu beseitigen!“

Zur Eigentümerversammlung ging ich nicht. Ich hatte Angst vor einer Bluthochdruckkrise und dass ich vor Wut ausfällig werden könnte. Lieber fotografierte ich den Baum mit seinem blühenden Leben. Außerdem nahm ich Kontakt zur Unteren Naturschutzbehörde auf, die mir dringend empfahl, die Hausverwaltung auf die Folgen einer unüberlegten Fällung hinzuweisen.

Fichte in Langgöns Foto: Corinna Kabot

3. Akt
Nach der Eigentümerversammlung vom 7.7.2022 teilte mir die Hausverwaltung telefonisch mit, man habe die Fällung der Fichte erstmal abwenden können, obwohl alle außer mir dafür gestimmt hätten. (Was so nicht sein kann, da noch zwei weitere Miteigentümer vorab per Vollmacht gegen die Fällung gestimmt haben).
Tage darauf erhielt ich das Protokoll der Sitzung, wonach der Hausmeister die unteren Äste der Fichte stark zurückschneiden soll. Zudem wurde die Hausverwaltung beauftragt, die Kosten einer Fällung bis zur nächsten Versammlung zu eruieren. Was bedeutet, dass der Baum-Irrsinn noch nicht vorbei ist.
Ich sprach eine Mitbewohnerin an, die sich massiv für die Fällung einsetzt. Ihr Argument: Dieser Baum wäre ein FLACHWURZLER  und irgendwann könnte er umfallen. Irgendwann! Ja klar.
Eine Fällung kostet ca. EUR 3000.- Wenn mehrfach dokumentiert wurde, dass die Fichte kerngesund ist, wäre der Schaden doch problemlos versichert, wenn die Fichte eines Tages tatsächlich vom Sturm umgerissen werden sollte. Also, was soll das?
Alle meine Argumente für den Erhalt der Fichte, die ich den Miteigentümern vortrug, per Mail zuschicken ließ und später per Aushang im Haus bekannt machte, interessierten nicht. Ich weiß nicht, ob die Damen zu viel in der Landlust geblättert haben und nun gärteln wollen. Jedenfalls planen sie ein belebtes Biotop umzuhauen, um an ungeeigneter Stelle einen Blütenstreifen anzulegen. FÜR DIE BIENEN! Wie wäre es erstmal mit ein paar Blumen auf dem eigenen Balkon? Oder sich mit unserem Imker über Bienenweiden zu besprechen?

Ein paar Tage resignierte ich, bis mir folgender Gedanke kam:
Wenn die Fällung umgesetzt wird, müsste ich mich gemäß Beschluss der Eigentümerversammlung an einem – aus meiner Sicht – schweren Umweltfrevel beteiligen, die Kosten mittragen und sollten Verbotstatbestände nach § 44 BNatSchG entdeckt werden, auch noch die Strafe mitfinanzieren. Das kann doch wohl wahr nicht sein!

Also kontaktierte ich die HGON und erhielt ein Schreiben von Dr. Tobias Erik Reiners – dem Vorsitzenden der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V:
Der Biodiversitätsverlust gehört zu den größten Krisen unserer Zeit. Unser Verband hat dies über 50 Jahre insbesondere anhand des Rückgangs unser Vogelwelt eingehend dokumentiert. Hierbei betrifft der Rückgang der Biodiversität und Vogelwelt alle Lebensräume, den Wald, die Gewässerlebensräume, das Offenland und auch den Siedlungsbereich gleichermaßen. Neben der zunehmenden Versiegelung ist im Siedlungsbereich der Verlust von Bruthabitaten ursächlich für den Rückgang der Vögel.

Die Fällung einer gesunden Fichte am Ortsrand mag im Einzelfall trivial und „nicht wichtig“ erscheinen. Und doch ist der in allen Siedlungen seit Jahren fortwährende Verlust von größeren Bäumen, insbesondere von Nadelbäumen, ursächlich für den Rückgang von bspw. Girlitz, Grünfink und Türkentaube. Auch beim Turmfalke nimmt die Anzahl von Bruten in Bäumen stetig ab.

Eine Fällung von Bäumen, wie diese Fichte, ist aus unserer Sicht eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensraumausstattung in ihren Siedlungsbereich. Der Verlust wirkt dabei ebenso schädlich auf die Biodiversität, wie die allerorts vorhanden Schottergärten. Wir möchten die Hauseigentümer bitten ihre Entscheidung zu überdenken und gerne anbieten bei einer gemeinsamen Begehung über die wertvollen Effekte dieser Einzelbäume im Siedlungsbereich aufzuklären. Gleichwohl will ich auch auf die Verbotstatbestände hinweisen, die gesetzlich verbieten Brutbäume zu fällen. Die Klimawirksamkeit dieses Baumes in CO2 Speicherung, Beschattung und Wasserrückhaltevermögen durch das Wurzelwerk lassen Sie in Ihren Vorhaben scheinbar auch unberücksichtigt. Solche wie diese Einzelentscheidungen führen zu tausenden in unseren Siedlungen zu einer lebensfeindlicheren Zukunft.“
Beste Grüße 
Dr. Tobias Erik Reiners 

Fichte in Feierabendstimmung Foto: Eugen Pletsch

Ich bekam auch Rückendeckung von Herrn Wenisch, einem landesweit bekannten Artenschützer und NABU Beauftragten in Langgöns, der mir die nochmalige Kontaktaufnahme mit der Unteren Naturschutzbehörde dringend empfahl. Er habe den Baum gesichtet und keinen Grund zur Fällung entdecken können. Ein paar Tage später kam auch Herr Oberländer, der frühere Vorsitzende der NABU Oberes Kleebachtal und renommierter Baumkenner zu Besuch, um sich die Fichte anzuschauen.
Er konnte keine Schäden am Baum entdecken, im Gegenteil. Er avisierte einen zweiten Besuch zwecks genauerer Untersuchung. Ich erzählte ihm von meinen Beobachtungen im Frühsommer, als die Tauben mit Nistmaterial im Baum verschwanden.

Taube am Eingang zum Nest
Ringeltaube checkt den Eingang
Ringeltaube in der Fichte

Die Bilder mit Tauben im Baum stammen vom Frühsommer. Mittlerweile sieht man sie zwar noch oft auf den Außenästen sitzen, aber sie klettern nicht nicht mehr in den Baum, um dort mit Zweigen im Schnabel zu verschwinden.

4. Akt
Frau Thiele und Herrn Oberländer kommen am 10.8.2022, um die Fichte auführlich ausgiebig zu begutachten.
Das Ergebnis erhielt ich am 13.8.2022 von Herrn Oberländer. Ich werde seine Artenschutzprüfung den zuständigen Stellen weiterleiten und hoffe, dass die Hausverwaltung den Text auch den Miteigentümern zukommen lässt. Immerhin habe ich der Hausgemeinschaft die Kosten einer Fällung von ca. EUR 3000.- sowie die Kosten einer Begutachtung und mögliche Strafen wegen Verstößen gegen den Artenschutz erspart. Ich denke, es ist an der Zeit, meinen Fight for Fichte zu beenden.

Eugen Pletsch
Das Schlusswort hat Günther Oberländer:

Artenschutzprüfung
Stellungnahme zum Vorhaben „Fällung einer Rot-Fichte (Picea abies)“ in der Gemeinde 35428 Langgöns/OT Lilienstraße 18

Sehr geehrter Herr Pletsch,
Ihrer Bitte entsprechend haben wir am 27.07.2022 eine Artenschutzprüfung im o.g. Objekt in Ihrer Anwesenheit durchgeführt.
Im Ergebnis dieser Prüfung konnte zur Frage der Schutzwürdigkeit des Baumes folgendes festgestellt werden:
Die betreffende Rotfichte (Picea abies) wurde auf Beschädigungen durch Fremdeinwirkung, auf Sturmschäden, Wuchsschäden, Schadinsektenbefall, Wurzelschäden sowie auf Trockenschäden augenscheinlich untersucht.
Es konnten keine Schäden festgestellt werden.
Für die Befürchtung einiger Bewohner des Hauses Lilienstraße 18, der Baum wäre umsturzgefährdet und könne am Haus große Schäden verursachen, gibt es aktuell keine Anhaltspunkte. Dies bedeutet natürlich nicht, dass der Baum bei einer Extrem-Wettersituation auch umgeworfen werden kann.
Die Fichte zeigt sich in einem ausgesprochen vitalen und gesunden Zustand.
Ein zu starkes Beschneiden der unteren Astquirle über die Höhe des Grundstückszaunes hinaus sollte jedoch vermieden werden.

Angebliche erhebliche Schäden durch Wurzeln der Rotfichte am Pflaster im sichtbaren Teil der Parkflächen konnten zum Zeitpunkt nicht festgestellt werden. Die zum Zeitpunkt sichtbaren Pflasterschäden resultieren möglicherweise aus einer schlechten Verlegung der Steine.

Im Weiteren konnte festgestellt und mit aktuellen Fotos belegt werden:

  • dass offensichtlich schon mehrere Jahre (2022 nachgewiesen) zwei bis drei Bruten der Ringeltaube (Columba palumbus) erfolgreich stattfanden,
  • dass Brüten von verschiedenen Singvogelarten (konnten aktuell nicht untersucht werden) sehr wahrscheinlich ist,
  • dass die Fichte als Ansitzwarte für die Jagd regelmäßig vom Turmfalken und als Schlafbaum von Singvögeln genutzt wird.

    Aus oben genannten Feststellungen ergeben sich für den oder die Besitzer eines Privatgrundstückes folgende rechtliche Konsequenzen:
  • Gemäß Europäischer Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG vom 30.11.2009 ist der Erhalt sämtlicher im Gebiet der Europäischen Union natürlicherweise vorkommenden Vogelarten einschließlich der Zugvögel sowie deren Lebensräume und Lebensstätten zu sichern oder wiederherzustellen.
  • Gemäß Bundes-Naturschutzgesetz, §§ gilt:
    Der Artenschutz ist IMMER zu beachten. Die rechtlichen Grundlagen sind in § 39 und §44 BNatSchG näher beschrieben.
    Grundsätzlich gilt:

    Wenn ein Baum gefällt werden soll ist eigenverantwortlich zu prüfen, ob Tiere den Baum als Ruhe- und Fortpflanzungsstätte oder Lebensstätte nutzen. Ist dies der Fall, darf der Baum nicht einfach gefällt werden. Stattdessen ist mit der Unterer Naturschutzbehörde Gießen Kontakt aufzunehmen, um weitere Schritte abzuklären.
    Bei allen Vogelarten greift der besondere Artenschutz nach §44 BNatSchG, der mit strengeren Auflagen verbunden ist.

Aus Gründen des Artenschutzes gibt es für das Fällen der Rot-Fichte aus unserer Sicht erhebliche Bedenken, sodass aus rechtlicher Sicht einer Fällung der Rot-Fichte nicht zugestimmt werden kann.

Mit freundlichen Grüßen

Günther Oberländer
NABU-Gruppe Oberes Kleebachtal

Update Oktober 2022
Der Baum wurden an den unteren Ästen vom Hausmeister sehr schön zurückgestutzt. Es sieht gut aus und der Zaun wird nicht mehr angedrückt.
Im Moment herrscht Frieden im Haus und ich hoffe, es bleibt so.
Ein Blumenbeet als Bienenweidewurde von den Baumgegnerinnen bisher (4/24) nicht angelegt. (ep)

Herbst 2022: Fette Ernte für etliche Piepmätze, die den Baum anfliegen.

Unsere Fichte im Herbst 2022