Worum es beim Golfspiel geht

Im Herbst, wenn nur noch die wetterfesten Spieler im letzten Büchsenlicht unterwegs sind um ihre Bälle aus dem Schlamm zu pulen, kommt bisweilen der eine oder andere Clubmanager auf die Idee, die Schnuppergolfer der letzten Saison zu einem Informationsabend einzuladen.
Wer bisher noch nicht angebissen hat, lässt sich bei einer solchen Geselligkeit vielleicht an den Haken nehmen und auch der Clubgastronom freut sich, besonders nach einem nassen Sommer wie diesem.
Manchmal werde ich gebeten, diese Informationsabende zu begleiten, wie kürzlich im Golfclub Bauernburg. Nach einem Prosecco zum Empfang begrüßte Präsident Fahrenbach die Gäste und übergab das Wort dann an Vize Prof. Klausthaler. Der bekam rote Backen vor Freude, bei seiner Schilderung wie schön das Golfer-Leben ist, insbesondere im Golfclub Bauernburg! Gemeinschaft, Freunde, frische Luft, herrliche Aussicht…!

Dann wurde ich vorgestellt und schaute in die Runde. Da saßen sie nun, die Golfer von morgen mit ihren fragenden Gesichtern. Unschuldig wie Lämmer, nicht wissend, was auf sie zukommt, wie dieser Sport ihr Leben umkrempeln würde.
„Wer von Ihnen hat Kinder“, fragte ich.
Die meisten hoben die Hand.
„Und wissen Sie noch, wie das erste Kind Ihr Leben vollkommen auf den Kopf gestellt hat? Wie alles anders wurde?“
Viele nickten.
„So wird es auch werden, wenn Sie Ihr Leben dem ‚Spirit of Golf‘ weihen. Das Spiel verändert Ihr Leben. Komplett!“

Meine Stimme hatte gerade eine gewisse Dramatik angenommen, was einen älteren Herren in der ersten Reihe nicht davon abhielt, mein ausgefeiltes rhetorisches Konzept durch eine Frage aus dem Rhythmus zu bringen: „Bevor Sie uns hier Angst vor einem Golfgeist machen – wollen Sie uns nicht erstmal erzählen, worum es beim Golfspiel eigentlich geht?“

„Äh, ja natürlich…“, stotterte ich. „Also …äh… Golf ist ein Zielspiel über 9 oder 18 Spielbahnen verschiedener Länge. Sie und Ihre Mitspieler (Mitbewerber genannt und mit Ihnen maximal vier Personen) versuchen dabei einen kleinen Ball mit maximal 14 Schlägern von einer Abschlagsfläche (Tee genannt) über einen Rasen (Fairway genannt) zu einer kurz gemähten Fläche (Grün genannt) zu treiben, um den Ball dort in ein ca. zehn Zentimeter breites Loch einzulochen, das durch eine Fahne gekennzeichnet ist? Alles klar?“

Manche Zuhörer nickten bereits, während andere noch versuchten, den Satz zu verdauen. Eine Dame hob die Hand.
„Und warum maximal 14 Schläger?“ „Das hat man in Schottland irgendwann so festgelegt. 14 Schläger, weil der Caddie sonst zu schnell müde wird. Und 18 Bahnen, denn dann ist die Whisky-Flasche leer.“
„Und was unterscheidet diese Schläger?“
„Von einer Whisky-Flasche?“
„Nein, untereinander!“
„Die Schlagflächen haben verschiedene Winkel, auch Loft genannt, um – theoretisch mit dem gleichen, um Ihre Körperachse verlaufenden Schwung – den Ball auf verschieden hohe Flugbahnen schicken, um damit unterschiedliche Entfernungen zu erzielen.“
„Aha. Und wer vom Abschlag auf der ersten Bahn bis zum letzten Einlochen auf der 18. Bahn die wenigsten Schläge braucht, hat gewonnen?“ hakte die Dame nach.
„Genauso ist es! Es handelt sich beim Golfen also um ein Geschicklichkeitsspiel mit Schläger und Ball, bei dem der Ball oft – meist unfreiwillig – angeschnitten wird….“, versuchte ich auszuführen.
„Also ähnlich wie Tischtennis?“ fiel mir der ältere Herr ins Wort. „Nun ja, ein Golfball ist viel schwerer als ein Tischtennisball, fliegt also über längere Distanzen. Angeschnitten landet er deshalb oft jenseits der gemähten Fläche im hohen Gras (Rough).“
„Und die Abenteuer, die man auf dem Weg durch die Wildnis bis zum 18. Loch erlebt, darf man dann jedem, der sich nicht schnell genug aus dem Staub macht, an Bar der Clubhauses erzählen! Ha, Ha!“
Der Senior lachte. Er schien meine Bücher zu kennen. Die Zuhörer schmunzelten.
„Ja, so ähnlich“, bestätigte ich. „So ähnlich“.
Eine Dame meldet sich: 
„Das klingt alles recht einfach, ist es aber nicht. Ich habe es nämlich probiert.“
Stille. Ich gab dem Wirt ein Zeichen noch mal nachzuschenken.
„Der Haken ist nämlich“, fuhr der ältere Herr in meinem Vortrag fort, „Erstens kommt beim Golf alles anders und zweitens als man denkt!“
Er holte Luft – ich grätsche ihm in den Satz:
Golf ist der unlösbare Konflikt zwischen Wollen und Können!
Aber gerade das macht das Spiel so spannend. Ein guter Golfer kann den Ball nicht nur fast punktgenau in exakten Distanzen schlagen, sondern auch angeschnitten mit Rechts- oder Linksdrall um eine hundert Meter entfernte Baumgruppe lenken. Dabei trifft das Schlägerblatt mit über hundert Stundenkilometern Schlägerkopfgeschwindigkeit auf eine runde Balloberfläche von ein paar Quadratmillimetern! Gute Golfer spielen den Ball mit wenigen Schlägen an die Fahne, damit der Ball möglichst mit einem Schlag eingelocht werden kann. Auf diesem spielerischen Niveau ist Golf ein Strategiespiel, das dem Schach ähnlich ist. Man überlegt sich, welche Landezone den Ball in eine gute Lage für den übernächsten Schlag bringt…“.
„Und weniger gute Golfer?“ fragte ein Herr aus der 2. Reihe, der aufmerksam zugehört hatte. „Was gute Golfer machen, dürfte uns in den nächsten Jahren erstmal egal sein, oder?“
„Na, so lange wird’s je nach Talent nicht dauern“, beschwichtigte ich.
„Nach meinen Erfahrungen“, sagte der Herr aus der 2. Reihe, „erreichen wir Amateure – egal mit welchem Schläger – nur zwei verschiedene Ballfluglängen: zu lang oder zu kurz. Der Ball bleibt selten in der Nähe der Fahne liegen, und wenn doch, dann rollt er immer noch nicht mit einem Putt ins Loch.“
Er blickte resigniert in die Runde. „Und je mehr man sich bemüht, umso weniger klappt es.“

Ich sah, wie der Clubmanager zuckte. Der Abend lief in die falsche Richtung. Wir wollten doch Begeisterung erzeugen und keine Depression!
„Das kann nur am falschen Material liegen!“ warf ich ein. „Dann wird Golf zum Glücksspiel. Oder Sie nahmen keine Golfstunden mehr, nachdem Sie die Platzreife erlangt haben. Auch das rächt sich.“
Der Herr schwieg, worauf ich fortfuhr, Golf als ein interessantes Hobby mit Frischluftcharakter und gesellschaftlicher Komponente zu beschreiben. Ich erzählte ein paar Schnurren, die Leute lachten, die Stimmung lockerte sich. Noch Fragen? Die Zuhörer unterhielten sich angeregt. Allgemeine Aufregung bei dem Gedanken, es doch mal zu versuchen. Im nächsten Frühjahr! „Jetzt ernsthaft, machst du mit?“ fragte eine Dame ihre Freundin.

Zeit für Prof. Klausthaler, noch einmal das Wort zu ergreifen: „Unser Club bietet Ihnen zum Einstig eine Jahresmitgliedschaft zu sehr interessanten Konditionen an. Auf diese Weise können Sie feststellen, ob das Spiel zu Ihnen passt und ob die Chemie im Club für Sie stimmt. Ich stelle Ihnen das mal kurz im Detail vor.“
‚Klausi‘ öffnete seinen Laptop und warf einige Grafiken mit Angeboten an die Wand. Die Zuhörer lauschten aufmerksam. Manche machten sich Notizen.

Ich hatte mich gesetzt. Das Summen der Stimmen machte mich schläfrig. Vage erinnerte ich mich daran, wie es bei mir damals war, als mir mein schottischer Schwiegervater erstmals einen Schläger in die Hand drückte und ich meine ersten Versuche unternahm, einen Ball in die gewünschte Richtung zu schlagen. 30 Jahre später versuche ich das immer noch. Manchmal klappt es, manchmal nicht. Golf ist ein Geschicklichkeitsspiel, mit Schläger und Ball. Ein Spiel, das wir heute lieben und morgen verfluchen, von dem wir aber nicht mehr lassen werden. Aber darum geht es ja, beim Golfspiel. Oder?

(c) by Eugen Pletsch 2015