Einen Spitz kannte ich nur aus Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ bis mich so ein kleiner, weißer Giftzahn eines Tages auf meinem Schulweg angriff und ins Bein biss. Ich war in der 2. Klasse und nicht der Typ, der Bisswunden mal so eben wegsteckt oder zurück beißt.
Kurz gesagt: Dieser schmerzhafte Überfall inkl. Tetanus-Spritze hatte mich derart traumatisiert, dass ich ein Leben lang die Straßenseite wechselte, wenn mir ein Hund entgegen kam. Selbst winzige Wuschel auf Trippelbeinchen, die sich vor Mäusen und Kanarienvögeln fürchten, genossen meine Angst-Pheromone und rissen an der Leine in der Hoffnung meine 90 kg bis auf den Knochen abzunagen.
Ende der 1970er Jahre, als Aussteiger mit meiner jungen Familie auf dem Land lebend, bekamen wir einen jungen Berg-Afghanen geschenkt. Die sind kleiner und kurzhaarig, perfekte Hütehunde und gute Begleiter, wenn man zu Pferd unterwegs ist. Ich hatte aber kein Pferd (vor denen habe ich noch mehr Angst als vor kleinen Hunden) und weil sich Linka, wie sie hieß, auf unserem Grundstück fürchterlich langweilte, büchste sie täglich aus und trieb Kühe über die Weiden, was die Bauern der Gegend überhaupt nicht mochten.
Also kaufte ich ein Buch über Erziehung von Jagd- und Schäferhunden, aber Linka war mindestens so störrisch, wie das afghanische Volk unter ausländischer Besatzung. Nachdem wir zwei Kinder hatten und unsere Lebensweise änderten, wurde es meiner damaligen Frau zu viel und sie verschenkte den Hund an einen Tankwart, den Linka sehr mochte. Ich war erleichtert, zumal ich weder den Geruch von nassem Fell mag, noch den Geruch von Trockenfutter-Blähungen.
Jetzt, im Alter, auf meinen Waldspaziergängen, bleibt es nicht aus, immer wieder Hunden zu begegnen. Der Befehl: „Rambo! Monster! Hierher! … Keine Sorge, die wollen nur spielen“ … ist für Hunde-Phobiker wie mich wenig hilfreich, wenn Rambo und Monster mit MIR spielen wollen. Das führt zu Angstzuständen, die Hundebesitzer erst verstehen werden, wenn ihr eigener Liebling eines Tages Opfer einer Attacke wird.
Wie schlimm das werden kann beschreibt die Inhaberin der Gießener Büchergilde, Dagmar Tenten, in ihrem Buch „Timmy Schatze-Tatze“: Ihr Hund Timmy wurde von einem größeren Hund angefallen und so schwer verletzt, dass Timmy zu der Zeit, als ich Dagmar kennenlernte, noch im Kinderwagen durch die Stadt gefahren werden musste. Sie pflegte ihn jahrelang liebevoll und aufopfernd. Wenn ich bis dahin keinen Draht zu Hunden hatte, so änderte sich das nach der Lektüre ihres wunderbaren Buches und jenem Tag, an dem ich die „Büchergilde“ besuchte: Mir ging es seelisch nicht gut und wollte mich etwas ausruhen. Da kam Timmy zu mir und setzte sich zwischen meine Beine. Ich dachte, er wollte gekrault werden, aber nach einer Weile spürte ich, dass es mir Beistand leisten wollte. Jedenfalls empfand ich das so, denn danach ging es mir besser.
Um meine innere Einstellung Hunden gegenüber zu verändern versuche ich mittlerweile, Ihnen freundliche Gedanken zuzusenden. Verblüffend ist, dass die meisten „Frauchen“ und Herrchen“ ihre Hunde seitdem an der Leine haben oder bei Fuß halten, wenn sie mir begegnen.
Im Sommer 2020 begann ich eine Art Hunde-Therapie. Eine ehemalige Tierheilpraktikerin, Mitte 80, versorgt mit ihrer Tochter in einer alten Mühle ca. 20 Tiere (Hunde, Katzen, Waschbären, Gänse, Hühner und Pferde).
Die drei Hunde sehen aus, als wären sie meinen schlimmsten Albträumen entsprungen: Da ist der dicke Seppel, ein Hütehund, der kleinen Kindern wie der Hund von Baskerville vorkommen muss, Lisa, seine Schwester, etwas kleiner, höchst wachsam und zu jedem Kampf bereit, sowie Babette, eine traumatisierte griechische Flokati-Hündin, die vertrottelt wirkt, sich aber wild aufführen kann, wenn sie kleineren Hunden begegnet.
Die Meute muss täglich bewegt werden und da jeder entgegenkommende Hund kräftig verbellt und bedroht wird, gehen wir meist zu dritt, von einer Freundin mit Taschen voller Leckerli begleitet, die ein besonders Verhältnis zu Lisa pflegt.
Mitglied der berüchtigten „Mühlenhunde-Gang“ zu sein verschafft mir eine späte Genugtuung. Ich war nie bei den Hells Angels, aber so ähnlich muss sich das anfühlen: Das Gefühl wilder Macht und Stärke! Aus der Ferne sehen wir ziemlich gefährlich aus, denn die Hunde sind bei Begegnungen meist giftig am Bellen.
Dass Seppi taub ist, Lisa krank, Babette kaum unter ihren Flusen hervorschauen kann (siehe Bild) und alle drei Leckerli-süchtige verschmuste Bettelhunde sind, können die anderen ja nicht ahnen.

© Eugen Pletsch 2021