Mein Waterloo

„Sein Waterloo erleben“ gilt als Synonym für eine totale Niederlage. Die Schlacht am Little Big Horn kommt mir aber auch in den Sinn, wenn ich an meine Fronleichnams-Runde mit Frau Oelmann denke….

Dank der mir angeborenen Bescheidenheit hielt ich mich im Zaum. Meine damalige Berichterstattung anlässlich der drei Runden Matchplay gegen Frau Oelmann ließ kaum erkennen, dass sie gegen mein Spiel keine Chance gehabt hatte. Diskret, wie es meine Art ist, vermied ich es, meine emotionalen Ausbrüche und meine „Sieger! Sieger!“- Schreie ausführlich zu beschreiben. Auch meine Freudentänze hinter dem 18. Grün in Winnerod (um nach dem Sprung in den Teich wieder trocken zu werden) erwähnte ich mit keinem Wort.

Nein – meine Berichterstattung war ein Musterbeispiel sportlicher Fairness und voller Respekt gegenüber einer Frau Oelmann, der es in etlichen Jahren nur einmal gelungen war, ein Spiel gegen mich zu gewinnen.

Es ist nun keinesfalls so, dass ich mir nur Leute einlade, bei denen ich sicher sein kann, dass ich sie im Matchplay besiege – aber es stimmt schon, dass ich mir Gäste von extern einladen muss, da ich in meinem Club wegen meinem mürrischen Dauergesabbel – und noch schlimmer – wegen meiner Schwungtipps – ziemlich unbeliebt bin.
An Matchplay-Serien und Turnieren nehme ich längst nicht mehr teil, da ich nicht nur den Mangel an Etikette, sondern auch die allgemeine Verwahrlosung der Sitten verabscheue, insbesondere was die Bekleidung der Spieler/Innen angeht. (Leggins Damengröße 50 und verschwitzte Senioren mit Hemd über der Dreiviertel-Kargo-Hose – mehr sage ich nicht!)

Kurz und gut: Ich bin einer der Korinthenkacker geworden, über die ich zwei Jahrzehnte gelästert habe und werde auch optisch den Karikaturen immer ähnlicher, mit denen Peter Ruge Golfer in meinen Büchern so treffend überzeichnet hat.

Aber wenn sich eine Spielerin wie Frau Oelmann beknien lässt, unsere jährliche Matchplayserie auch in 2018 fortzusetzen, dann kann ich sie natürlich nicht öffentlich mit Häme und dem Spott überschütten. Nein, natürlich nicht. Ergo genoss ich meinen Triumph in Stille … wenn man mal davon absieht, dass ich JEDEM, der nicht schnell genug davon laufen konnte, erzählen musste, wie ich Frau Oelmann an diesen drei Tagen vorgeführt habe.

Schnee von gestern, könnte man meinen, aber dann kam kürzlich – wie alle Jahre wieder – die Idee auf, Frau Oelmann endlich in ihrem Heimatclub zu besuchen. Vor Jahren war ich schon einmal auf Durchreise in ihrem Revier gewesen, damals aber so krank, dass ich sie und ihren fluchenden Spielpartner (Lehrer!) nur über ein paar Bahnen begleiten konnte, ohne selbst zu spielen. Damals hatte ich in meinem Fieberwahn einen 9-Loch-Kurzplatz als Tatort abgespeichert.

Ein Feiertag wird erst dann zu einem echten Feiertag, wenn man sich den Lorbeer auch auf einem fremden Platz auf das schüttere Haupthaar setzen darf und ich hatte keinerlei Bedenken, Frau Oelmann‘s Einladung zu folgen. Gewittergefahr bestand angeblich nicht. Eine Startzeit war auch nicht nötig. Die Sonne prangte am Himmel, es war heiß, aber die Bäume spendeten Schatten. Ja. die Bäume. Der Platz hat Bäume. Meist gewaltige Eichen, aber auch andere Bäume und hinter den Bäumen sind Biotope, was mich aber nicht abschreckt, da ich für meine kerzengerade Spielweise bekannt bin.

Wie üblich werde ich nicht die ganze Runde im Detail erzählen. Das halte ich so, weil meine verehrten Leser die Schilderungen meiner Zauber-Schläge, crispen Wedges und Monster-Putts für Aufschneiderei halten könnten. Auch heute werde ich es so halten, muss jedoch vorsichtig andeuten, dass es diesmal keine Zauber-Schläge, crispen Wedges und Monster-Putts gab.
Dafür gab es Bäume und Biotope und ein winziges Schwungproblem, das dazu führte, dass ich den Ball, so konzentriert ich ihn auch ansprach, grundsätzlich nach links verzog. Links stand gewöhnlich ein Baum, von dem aus der Ball abprallte und ins Biotop sprang.

Frau Oelmann, die ihre Bälle noch vor wenigen Tagen breit über die hessischen Savannen gestreut hatte, schlug dagegen kerzengerade Hammer-Drives, um mir dann bei der Ballsuche zu helfen.

Der beliebte Spruch „Den Zweiten kann jeder“ hatte für mich auf dieser Runde keine Gültigkeit, denn auch der 2. war weg. Nach einigen Bahnen schlug Frau Oelmann vor, dass wir doch auch etwas Golf spielen sollten, denn Bälle suchen könnten wir auch, ohne Greenfee zu zahlen.
Ich verstand den Hinweis und spielte fortan jeden Ball, den ich im Gras fand, darunter sogar Marken, die ich sonst wie die Pest meide (Nike und Vice).

Erst war ich eins down, dann zwei down, dann drei down, dann vier down, dann fünf down, dann sechs down, dann wurde es Frau Oelmann langweilig und sie winkte sich eine Freundin herbei, die gerade die 18 beendet hatte.

Ich kannte die Dame von einer Lesung. Also versuchte ich mich zusammenzureißen und ging prompt auf 7 down. Unsere Mitspielerin hatte am Vormittag bereits 18 Loch in einem anderen Club gespielt, stak dann auf ihrem Heimatplatz neun Loch hinter Anfängern fest und wollte mit uns noch ein paar flotte Bahnen spielen. So sind die Damen im Revier: Unermüdlich – und wetterfest, wie sich bald herausstellen sollte.

Auf dem Weg zum 10. Abschlag befindet sich die Toilette, die ich aufsuchte. Beim Händewaschen sah ich im Spiegel einen Mann mit verzweifelten Gesichtszügen, zerzaust, das durchgeschwitzte Hemd hing über der kurzen Hose aus der zwei dürre, weiße Beinchen ragten. Eine vollkommene Verwahrlosung der Sitten – ich überlegte kurz, ob ich mir selbst einen Platzverweis aussprechen sollte.

Da ich mich in meinem Hochmut darauf eingelassen hatte, von Gelb anstatt von blau zu spielen, hatte ich lange Wege zu rennen, um die Damen einzuholen, deren Abschläge meist 60-100 Meter vor dem Herrenabschlag befindet. Ich rannte so schnell, dass mir Insekten auf die Brillengläser klatschten, nur um dann zusehen, wie die Damen ihre Bälle gnadenlos zwischen den Bäumen hindurch auf die Bahn prügelten.

Frau Oelmann vom Damenabschlag – das ist so, als würde man Dartpfeile kaum aus einem Meter Entfernung auf die Scheibe werfen.

Nur zweimal konnte ich ein Loch gewinnen. Natürlich nicht aus eigener Kraft, sondern weil Frau Oelmann ihre Dartpfeile ins Biotop schoss, vermutlich um mir Hoffnung zu machen. Immerhin hatte ich nach dem Fiasko auf der ersten Neun meine Taktik geändert! Ich zielte direkt auf die Eichen, die gewöhnlich Mitte Fairway stehen, wodurch ich wenigstens zwei Drives auf die Bahn brachte. (Frau Oelmann merkt an, es gäbe nur auf der 14. eine Eiche Mitte Fairway, aber das ist natürlich selektive Wahrnehmung. Nach meiner Erinnerung standen auf jeder Bahn dicke Eichen…).

Auf besagter 14 setzte Regen ein. „Nur eine kleine Wolke“, sagten die Damen und schlugen ab.

Der nachfolgende Guss war zwar nicht mit dem Wolkenbruch zu vergleichen, den ich vor ein paar Tagen in Gießen erlebt hatte, aber im Gegensatz zu früher, als ich das Spiel im Regen noch als eine besondere Kunst und Herausforderung genoss, macht es mir keinen Spaß mehr, mit glitschigen Händen nach einem Balls zu schlagen, der sich dann nur ein paar Meter durch das nasse Gras bewegt.

Frau Oelmann und ihre Freundin bewegten sich wie die Fische im Wasser. Als ich mir nach einem heftigen Regenschauer an der 15 eine Pause erbettelte, musste Frau Oelmann zugeben, dass unser Match längst beendet war. 7 auf 6!

An der 16. Bahn gab es gottlob eine Abkürzung zum Clubhaus. Die Damen wären gerne weitergeschwommen, aber dann sahen sie das hinkende Häufchen Elend, zeigten Erbarmen und führen mich auf dem kürzesten Weg zum Parkplatz, wo wir unsere Sachen verluden. Meine Tränen trockneten und der Regen wich der Abendsonne während Frau Oelmann mit ihrer Freundin besprach, wie man einen Skalp trocknet. (ep)

PS: Dass Frau Oelmann am 2.6. beim Monatsbecher der Damen das 1. Brutto erlegte, verwundert niemanden und sei nur der Vollständigkeit halber vermerkt.